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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Der Aufstand der Bergarbeiter

dafür zu sorgen, daß es nicht an Überschüssen fehle. Was hat man über
Stephan und seine PostVerwaltung geklagt. Mau hat von Staatssklaven ge¬
sprochen und dem Staate wegen seiner "Fiskalität" bittere Vorwürfe gemacht.
Wenn es sich aber um ungerechtfertigte Klagen der Arbeiterschaft handelt, so
wird der Staat auch uicht anders verfahren können als eine Privat¬
gesellschaft.

Daß auch bei einer staatlichen Verwaltung Aufstände vorkommen können,
hat der Aufstand im Saargebiet bewiesen. Der Staat konnte es nicht hin-
dern, daß bei schlechter werdender Geschäftslage und sinkenden Preisen der
Lohn, der im Jahre 1889 6 bis 7 Mark für den Hüner betrug, jetzt auf
4,50 Mark zurückgegangen ist, wobei überdies die Verminderung des Kohlen¬
preises 14 Prozent, die des Lohnes nur 7 Prozent betrug, er würde auch bei
einem Monopol ein Schwanken des Preises und des Lohnes uicht hindern
können. Beim gegenwärtigen Aufstande hat er sogar durch eine neue Arbeits¬
ordnung den Anlaß zum Streik gegeben.

Hierzu kommt, daß der Staat bei seinen Unternehmungen nicht aus himm¬
lische Heerscharen, sondern auf Menschen angewiesen ist, und zwar auf seine
Beamten, eine Klasse von Menschen, die neben ihren Tugenden auch ihre
Mängel haben. Die Verwaltuiigsmaschine mag zwar feine Arbeit liefern, aber
es ist eine schwerfällige Maschine. Dies zeigt sich ebenso sehr in der geschäft¬
lichen Behandlung, wie im persönlichen Verkehr mit der Arbeiterschaft. Und
dann ist der Staat einer aufgesetzten Arbeiterschaft gegenüber eigentlich in
einer schwierigeren Lage als die Privatindustrie. Freiherr von Stumm hat
in der Sitzung des Reichstags vom 12. Januar der Bergverwaltuug schwere
Vorwürfe über ihr Verhalten den Arbeitern gegenüber gemacht. Er wies
darauf hin, daß die Bergleute der Privatbergwerke, 30000 Mann, gar nicht
daran dächten, zu Streite,,. Alle diese Bergleute seien ihren Arbeitgebern sogar
dankbar, weil sie fühlten, daß sie eine feste Hand vor dem Terrorismus schütze,
der andern Arbeitern gegenüber ausgeübt werde. Die Vergwerksbehörde habe
bald nach dem Ausbruch des Streiks einen Aufruf erlassen, der in die nichts¬
sagende Wendung ausgelaufen sei, daß sich jeder streikende die Folgen seiner
Handlungsweise selbst zuzuschreiben habe. Statt dessen hätte sie eine Aufforde¬
rung an die Bergleute ergehen lassen müssen: Wer binnen drei Tagen die
Arbeit nicht wieder aufgenommen hat, ist für immer entlassen. Es sei nötig,
den Grundsatz aufzustellen, daß der Staat als Arbeitgeber ebenso wenig wie
ein Privatmann berechtigt sei, einen Arbeiter, der notorisch sozialdemokra-
tischen Bestrebungen huldige oder ihnen Vorschub leiste, in seinen Diensten zu
behalte,,. Wenn dieser Grundsatz bestünde, so wäre der Streik nicht aus-
gebrochen. Nur durch diesen Grundsatz werde den erhaltenden Elementen, den
Behörden, auch den Geistlichen beider Konfesstonen, die Möglichkeit gegeben,
ihren beruhigenden Einfluß auszuüben. Nachdem das Svzialistengesetz beseitigt


Der Aufstand der Bergarbeiter

dafür zu sorgen, daß es nicht an Überschüssen fehle. Was hat man über
Stephan und seine PostVerwaltung geklagt. Mau hat von Staatssklaven ge¬
sprochen und dem Staate wegen seiner „Fiskalität" bittere Vorwürfe gemacht.
Wenn es sich aber um ungerechtfertigte Klagen der Arbeiterschaft handelt, so
wird der Staat auch uicht anders verfahren können als eine Privat¬
gesellschaft.

Daß auch bei einer staatlichen Verwaltung Aufstände vorkommen können,
hat der Aufstand im Saargebiet bewiesen. Der Staat konnte es nicht hin-
dern, daß bei schlechter werdender Geschäftslage und sinkenden Preisen der
Lohn, der im Jahre 1889 6 bis 7 Mark für den Hüner betrug, jetzt auf
4,50 Mark zurückgegangen ist, wobei überdies die Verminderung des Kohlen¬
preises 14 Prozent, die des Lohnes nur 7 Prozent betrug, er würde auch bei
einem Monopol ein Schwanken des Preises und des Lohnes uicht hindern
können. Beim gegenwärtigen Aufstande hat er sogar durch eine neue Arbeits¬
ordnung den Anlaß zum Streik gegeben.

Hierzu kommt, daß der Staat bei seinen Unternehmungen nicht aus himm¬
lische Heerscharen, sondern auf Menschen angewiesen ist, und zwar auf seine
Beamten, eine Klasse von Menschen, die neben ihren Tugenden auch ihre
Mängel haben. Die Verwaltuiigsmaschine mag zwar feine Arbeit liefern, aber
es ist eine schwerfällige Maschine. Dies zeigt sich ebenso sehr in der geschäft¬
lichen Behandlung, wie im persönlichen Verkehr mit der Arbeiterschaft. Und
dann ist der Staat einer aufgesetzten Arbeiterschaft gegenüber eigentlich in
einer schwierigeren Lage als die Privatindustrie. Freiherr von Stumm hat
in der Sitzung des Reichstags vom 12. Januar der Bergverwaltuug schwere
Vorwürfe über ihr Verhalten den Arbeitern gegenüber gemacht. Er wies
darauf hin, daß die Bergleute der Privatbergwerke, 30000 Mann, gar nicht
daran dächten, zu Streite,,. Alle diese Bergleute seien ihren Arbeitgebern sogar
dankbar, weil sie fühlten, daß sie eine feste Hand vor dem Terrorismus schütze,
der andern Arbeitern gegenüber ausgeübt werde. Die Vergwerksbehörde habe
bald nach dem Ausbruch des Streiks einen Aufruf erlassen, der in die nichts¬
sagende Wendung ausgelaufen sei, daß sich jeder streikende die Folgen seiner
Handlungsweise selbst zuzuschreiben habe. Statt dessen hätte sie eine Aufforde¬
rung an die Bergleute ergehen lassen müssen: Wer binnen drei Tagen die
Arbeit nicht wieder aufgenommen hat, ist für immer entlassen. Es sei nötig,
den Grundsatz aufzustellen, daß der Staat als Arbeitgeber ebenso wenig wie
ein Privatmann berechtigt sei, einen Arbeiter, der notorisch sozialdemokra-
tischen Bestrebungen huldige oder ihnen Vorschub leiste, in seinen Diensten zu
behalte,,. Wenn dieser Grundsatz bestünde, so wäre der Streik nicht aus-
gebrochen. Nur durch diesen Grundsatz werde den erhaltenden Elementen, den
Behörden, auch den Geistlichen beider Konfesstonen, die Möglichkeit gegeben,
ihren beruhigenden Einfluß auszuüben. Nachdem das Svzialistengesetz beseitigt


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[0216] Der Aufstand der Bergarbeiter dafür zu sorgen, daß es nicht an Überschüssen fehle. Was hat man über Stephan und seine PostVerwaltung geklagt. Mau hat von Staatssklaven ge¬ sprochen und dem Staate wegen seiner „Fiskalität" bittere Vorwürfe gemacht. Wenn es sich aber um ungerechtfertigte Klagen der Arbeiterschaft handelt, so wird der Staat auch uicht anders verfahren können als eine Privat¬ gesellschaft. Daß auch bei einer staatlichen Verwaltung Aufstände vorkommen können, hat der Aufstand im Saargebiet bewiesen. Der Staat konnte es nicht hin- dern, daß bei schlechter werdender Geschäftslage und sinkenden Preisen der Lohn, der im Jahre 1889 6 bis 7 Mark für den Hüner betrug, jetzt auf 4,50 Mark zurückgegangen ist, wobei überdies die Verminderung des Kohlen¬ preises 14 Prozent, die des Lohnes nur 7 Prozent betrug, er würde auch bei einem Monopol ein Schwanken des Preises und des Lohnes uicht hindern können. Beim gegenwärtigen Aufstande hat er sogar durch eine neue Arbeits¬ ordnung den Anlaß zum Streik gegeben. Hierzu kommt, daß der Staat bei seinen Unternehmungen nicht aus himm¬ lische Heerscharen, sondern auf Menschen angewiesen ist, und zwar auf seine Beamten, eine Klasse von Menschen, die neben ihren Tugenden auch ihre Mängel haben. Die Verwaltuiigsmaschine mag zwar feine Arbeit liefern, aber es ist eine schwerfällige Maschine. Dies zeigt sich ebenso sehr in der geschäft¬ lichen Behandlung, wie im persönlichen Verkehr mit der Arbeiterschaft. Und dann ist der Staat einer aufgesetzten Arbeiterschaft gegenüber eigentlich in einer schwierigeren Lage als die Privatindustrie. Freiherr von Stumm hat in der Sitzung des Reichstags vom 12. Januar der Bergverwaltuug schwere Vorwürfe über ihr Verhalten den Arbeitern gegenüber gemacht. Er wies darauf hin, daß die Bergleute der Privatbergwerke, 30000 Mann, gar nicht daran dächten, zu Streite,,. Alle diese Bergleute seien ihren Arbeitgebern sogar dankbar, weil sie fühlten, daß sie eine feste Hand vor dem Terrorismus schütze, der andern Arbeitern gegenüber ausgeübt werde. Die Vergwerksbehörde habe bald nach dem Ausbruch des Streiks einen Aufruf erlassen, der in die nichts¬ sagende Wendung ausgelaufen sei, daß sich jeder streikende die Folgen seiner Handlungsweise selbst zuzuschreiben habe. Statt dessen hätte sie eine Aufforde¬ rung an die Bergleute ergehen lassen müssen: Wer binnen drei Tagen die Arbeit nicht wieder aufgenommen hat, ist für immer entlassen. Es sei nötig, den Grundsatz aufzustellen, daß der Staat als Arbeitgeber ebenso wenig wie ein Privatmann berechtigt sei, einen Arbeiter, der notorisch sozialdemokra- tischen Bestrebungen huldige oder ihnen Vorschub leiste, in seinen Diensten zu behalte,,. Wenn dieser Grundsatz bestünde, so wäre der Streik nicht aus- gebrochen. Nur durch diesen Grundsatz werde den erhaltenden Elementen, den Behörden, auch den Geistlichen beider Konfesstonen, die Möglichkeit gegeben, ihren beruhigenden Einfluß auszuüben. Nachdem das Svzialistengesetz beseitigt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/216>, abgerufen am 06.06.2024.