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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Die Börsenagenten

die den Niedergang der letzten Jahre zur Folge hatten, weit weniger an der
Börse selbst zu suchen seien als vielmehr in den weiten Kreisen der uner¬
fahrenen, der Börse fernstehenden großen Masse, mit andern Worten in der
Beteiligung des Privatpublikums an Börsengeschäften. Wie weit auch die
Reformvorschläge der Einzelnen auseinandergehen mögen, der eine Gedanke kommt
überall zum Durchbruch, daß, wenn die Gesetzgebung überhaupt ernsthaft an
eine Besserung der heutigen Zustünde zu gehen gedenkt, das Hauptziel ihrer
ganzen Reformarbeit das sein muß, das große Publikum möglichst von Zeit¬
geschäften fernzuhalten. Abgesehen von den gefährlichen sozialen Wirkungen,
die eine solche Beteiligung unfehlbar zur Folge haben muß, ist es gerade die
unerfahrene Menge, die, weil sie die Chancen des Marktes zu übersehn weder
die Gelegenheit noch die Fähigkeit hat, durch ihre Aufträge an der Börse jene
Verwirrung in den ordnungsmäßigen Gang der Preise bringt, die den Nähr¬
boden der schwindelhafter Spekulation bildet.

Ich habe schon an andrer Stelle diese Gedanken näher ausgeführt und
Mittel und Wege zur Abhilfe anzugeben versucht. An dieser Stelle sei es ge¬
stattet, auf eine einzelne, bisher nur wenig beachtete Ursache hinzuweisen, die be¬
sonders dazu beiträgt, die Spiellust und Spekulationswut in die große Menge
zu tragen, und die Beteiligung gerade der unerfahrensten und unberufensten
Kreise am Börsenspiel in gemeinschüdlichster Weise ermöglicht: ich meine das
in erschreckender Weise überhandnehmende Unwesen des Börsenngententums.
Ich bin weit davon entfernt, für jeden Schaden, der sich im Wirtschaftskörpcr
zeigt, sofort die Hilfe der Gesetzgebung anzurufen, aber aus sittlichen und
öffentlichen Gründen halte ich es für eine Pflicht der öffentlichen Gewalten,
diesem Gebiet ihr Augenmerk zuzuwenden.

Es ist bekannt, daß ein Privatmann, der an der Börse ein Geschäft ein¬
gehen will, sich zur Vermittlung eines börsenberechtigten Konuinssionshauses
bedienen muß, dein er den Auftrag zum Kauf oder Verkauf übergiebt. Um
nun diese Vermittlung zu erleichtern, haben die Bankhäuser begönne" -- den
Anfang machte eine bekannte Berliner Kvmmissionsfirma -- in die Provinzen
Agenten zu schicken, die die Aufgabe haben, für ihre Häuser Kunden zur Spe¬
kulativ" zu werben. Die Kommissionäre, insbesondre der Produktenbörse, über¬
senden den Agenten täglich ihre sogenannten "Anstellungen," d. h. Offerten
zum Abschluß von Termingeschäften, die sie nach Börsenschluß unter Angabe
ihrer Preise festsetzen, und an die sie sich auf eine bestimmte Zeit binden. Und
die Agenten ihrerseits suchen nun diese Offerten im Publikum zu verbreiten
und auf ihrer Grundlage Aufträge zum Ankauf und Verkauf an ihre An¬
stellungshäuser zu übermitteln. An diesen festen "Anstellungen" an sich wäre
nun nicht das geringste auszusetzen, sie wirken in, Gegenteil -- was man noch
vielfach verkennt -- fördernd ein ans die Solidität des Terminhandels und
sind für eine ganze Reihe von Geschäften, namentlich im Distanzgeschäft, zu


Grenzboten I 18W 27
Die Börsenagenten

die den Niedergang der letzten Jahre zur Folge hatten, weit weniger an der
Börse selbst zu suchen seien als vielmehr in den weiten Kreisen der uner¬
fahrenen, der Börse fernstehenden großen Masse, mit andern Worten in der
Beteiligung des Privatpublikums an Börsengeschäften. Wie weit auch die
Reformvorschläge der Einzelnen auseinandergehen mögen, der eine Gedanke kommt
überall zum Durchbruch, daß, wenn die Gesetzgebung überhaupt ernsthaft an
eine Besserung der heutigen Zustünde zu gehen gedenkt, das Hauptziel ihrer
ganzen Reformarbeit das sein muß, das große Publikum möglichst von Zeit¬
geschäften fernzuhalten. Abgesehen von den gefährlichen sozialen Wirkungen,
die eine solche Beteiligung unfehlbar zur Folge haben muß, ist es gerade die
unerfahrene Menge, die, weil sie die Chancen des Marktes zu übersehn weder
die Gelegenheit noch die Fähigkeit hat, durch ihre Aufträge an der Börse jene
Verwirrung in den ordnungsmäßigen Gang der Preise bringt, die den Nähr¬
boden der schwindelhafter Spekulation bildet.

Ich habe schon an andrer Stelle diese Gedanken näher ausgeführt und
Mittel und Wege zur Abhilfe anzugeben versucht. An dieser Stelle sei es ge¬
stattet, auf eine einzelne, bisher nur wenig beachtete Ursache hinzuweisen, die be¬
sonders dazu beiträgt, die Spiellust und Spekulationswut in die große Menge
zu tragen, und die Beteiligung gerade der unerfahrensten und unberufensten
Kreise am Börsenspiel in gemeinschüdlichster Weise ermöglicht: ich meine das
in erschreckender Weise überhandnehmende Unwesen des Börsenngententums.
Ich bin weit davon entfernt, für jeden Schaden, der sich im Wirtschaftskörpcr
zeigt, sofort die Hilfe der Gesetzgebung anzurufen, aber aus sittlichen und
öffentlichen Gründen halte ich es für eine Pflicht der öffentlichen Gewalten,
diesem Gebiet ihr Augenmerk zuzuwenden.

Es ist bekannt, daß ein Privatmann, der an der Börse ein Geschäft ein¬
gehen will, sich zur Vermittlung eines börsenberechtigten Konuinssionshauses
bedienen muß, dein er den Auftrag zum Kauf oder Verkauf übergiebt. Um
nun diese Vermittlung zu erleichtern, haben die Bankhäuser begönne« — den
Anfang machte eine bekannte Berliner Kvmmissionsfirma — in die Provinzen
Agenten zu schicken, die die Aufgabe haben, für ihre Häuser Kunden zur Spe¬
kulativ» zu werben. Die Kommissionäre, insbesondre der Produktenbörse, über¬
senden den Agenten täglich ihre sogenannten „Anstellungen," d. h. Offerten
zum Abschluß von Termingeschäften, die sie nach Börsenschluß unter Angabe
ihrer Preise festsetzen, und an die sie sich auf eine bestimmte Zeit binden. Und
die Agenten ihrerseits suchen nun diese Offerten im Publikum zu verbreiten
und auf ihrer Grundlage Aufträge zum Ankauf und Verkauf an ihre An¬
stellungshäuser zu übermitteln. An diesen festen „Anstellungen" an sich wäre
nun nicht das geringste auszusetzen, sie wirken in, Gegenteil — was man noch
vielfach verkennt — fördernd ein ans die Solidität des Terminhandels und
sind für eine ganze Reihe von Geschäften, namentlich im Distanzgeschäft, zu


Grenzboten I 18W 27
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[0219] Die Börsenagenten die den Niedergang der letzten Jahre zur Folge hatten, weit weniger an der Börse selbst zu suchen seien als vielmehr in den weiten Kreisen der uner¬ fahrenen, der Börse fernstehenden großen Masse, mit andern Worten in der Beteiligung des Privatpublikums an Börsengeschäften. Wie weit auch die Reformvorschläge der Einzelnen auseinandergehen mögen, der eine Gedanke kommt überall zum Durchbruch, daß, wenn die Gesetzgebung überhaupt ernsthaft an eine Besserung der heutigen Zustünde zu gehen gedenkt, das Hauptziel ihrer ganzen Reformarbeit das sein muß, das große Publikum möglichst von Zeit¬ geschäften fernzuhalten. Abgesehen von den gefährlichen sozialen Wirkungen, die eine solche Beteiligung unfehlbar zur Folge haben muß, ist es gerade die unerfahrene Menge, die, weil sie die Chancen des Marktes zu übersehn weder die Gelegenheit noch die Fähigkeit hat, durch ihre Aufträge an der Börse jene Verwirrung in den ordnungsmäßigen Gang der Preise bringt, die den Nähr¬ boden der schwindelhafter Spekulation bildet. Ich habe schon an andrer Stelle diese Gedanken näher ausgeführt und Mittel und Wege zur Abhilfe anzugeben versucht. An dieser Stelle sei es ge¬ stattet, auf eine einzelne, bisher nur wenig beachtete Ursache hinzuweisen, die be¬ sonders dazu beiträgt, die Spiellust und Spekulationswut in die große Menge zu tragen, und die Beteiligung gerade der unerfahrensten und unberufensten Kreise am Börsenspiel in gemeinschüdlichster Weise ermöglicht: ich meine das in erschreckender Weise überhandnehmende Unwesen des Börsenngententums. Ich bin weit davon entfernt, für jeden Schaden, der sich im Wirtschaftskörpcr zeigt, sofort die Hilfe der Gesetzgebung anzurufen, aber aus sittlichen und öffentlichen Gründen halte ich es für eine Pflicht der öffentlichen Gewalten, diesem Gebiet ihr Augenmerk zuzuwenden. Es ist bekannt, daß ein Privatmann, der an der Börse ein Geschäft ein¬ gehen will, sich zur Vermittlung eines börsenberechtigten Konuinssionshauses bedienen muß, dein er den Auftrag zum Kauf oder Verkauf übergiebt. Um nun diese Vermittlung zu erleichtern, haben die Bankhäuser begönne« — den Anfang machte eine bekannte Berliner Kvmmissionsfirma — in die Provinzen Agenten zu schicken, die die Aufgabe haben, für ihre Häuser Kunden zur Spe¬ kulativ» zu werben. Die Kommissionäre, insbesondre der Produktenbörse, über¬ senden den Agenten täglich ihre sogenannten „Anstellungen," d. h. Offerten zum Abschluß von Termingeschäften, die sie nach Börsenschluß unter Angabe ihrer Preise festsetzen, und an die sie sich auf eine bestimmte Zeit binden. Und die Agenten ihrerseits suchen nun diese Offerten im Publikum zu verbreiten und auf ihrer Grundlage Aufträge zum Ankauf und Verkauf an ihre An¬ stellungshäuser zu übermitteln. An diesen festen „Anstellungen" an sich wäre nun nicht das geringste auszusetzen, sie wirken in, Gegenteil — was man noch vielfach verkennt — fördernd ein ans die Solidität des Terminhandels und sind für eine ganze Reihe von Geschäften, namentlich im Distanzgeschäft, zu Grenzboten I 18W 27

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/219>, abgerufen am 13.05.2024.