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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Die Börseuageiiten

einer wirtschaftliche" Notwendigkeit geworden. Die Gefahr beginnt erst mit
den unsaubern Manipulationen, die das Agententum mit diesen Anstellungen
mißbräuchlich treibt, wobei ihm die Leichtigkeit, womit solche Anstellungen
zu Ultimogeschäften benutzbar sind, in bewegten Zeiten besonders zu statte"
kommt.

Die Zentralstelle der Thätigkeit solcher Agenten liegt in deu mittlern und
kleinen Provinzialstädten, jn sie haben sich in letzter Zeit bereits aufs Land
gewagt, und die Erfolge, von denen ihr erstes Auftreten dort begleitet war,
haben bald zur Nachfolge angeregt. Sie suchen sich dabei mit Vorliebe die
Schichten der Bevölkerung zu ihren Opfern aus, denen sie am wenigsten
Fassungsgabe zutrauen. Mit größtem Raffinement drängen sie so lange in
unerfahrene große und kleine Kapitalisten, bis ihnen diese durch Hergabe eines
geringen Depots die Unterlage für Börseuspetulationeu geschaffen haben. Um
die Unterschrift der Leute auf dein vom Bankier für effektive Lieferung und
effektive Abnahme ausgestellten Schlußschein zu erlangen, spiegelt ihnen der
Agent vor, daß diese Fassung und die Hergabe des Depots eine reine Form¬
sache sei, da jn doch das ganze Geschüft "nur die etwaige" Differenzen" zum
Gegenstände habe. Nichts ist dem Agenten heilig. Dein Pfarrer weiß er die
augenblicklichen Vorzüge von "Laura" in den hellsten Farben zu schildern und
dem Nachtwächter "Seel Patent" aufzuschwatzen. Dein Arzt giebt er die
rvsigsten Aussichten für deu Weizenmarkt, dein Barbier prophezeit er gleich¬
zeitig dessen Niedergang, den einen läßt er darauf ü. l-r Hauffe, den andern
In. Baisse spekuliren. Selbst das ehrwürdige Stadtoberhaupt bleibt vor
"Portugiese,!" nicht sicher. Wie kürzlich glaubwürdig berichtet wurde, hatte
es ein findiger Kopf fertig gebracht, einen biedern Provinzialen zu gleichzei¬
tigem Kauf und Verkauf derselben Menge auf denselben Liefernngstermin,
also zu gleichzeitiger Hauffe- und Baissespekulation zu bestimmen -- natürlich
mit doppelter Provisivusberechuuug.

Nur durch die Thätigkeit solcher "Schlepper" werden die in überraschender
Weise, sich mehrenden Fälle erklärbar, wo sich Leute niedrigsten Standes mit
ihren armseligen Ersparnissen in Börsenspekulationen einlassen, von deren Natur
und Wesen sie nicht die leiseste Ahnung habe" konnte". Haben sich doch in
einzelnen Städte" ganze Konsortien von Agenten gebildet, die sich gegenseitig
in die Hände arbeiten und nach wohldurchdachten Plane Hunderte von urteils-
lvseii Le"te" an den Bettelstab bringen.

Zur Ehre unsrer Kommissivnshäuser sei es gesagt, daß diese selbst, wie aus
einem großen Teil der anhängig gewordnen Prozesse hervorgeht, in deu meisten
Fällen von den unsaubern Geschäften ihrer Agenten keine Kenntnis haben. Jn
es ist nicht selten vorgekommen, daß sich der Agent mit dem Kunden zu dem
Zweck verbindet, deu Bankier zu übervorteile", indem er irgend einen ver-
mögeiislvse" Mensche" dem Bankier als "sehr fein" schildert, den Bankier


Die Börseuageiiten

einer wirtschaftliche« Notwendigkeit geworden. Die Gefahr beginnt erst mit
den unsaubern Manipulationen, die das Agententum mit diesen Anstellungen
mißbräuchlich treibt, wobei ihm die Leichtigkeit, womit solche Anstellungen
zu Ultimogeschäften benutzbar sind, in bewegten Zeiten besonders zu statte»
kommt.

Die Zentralstelle der Thätigkeit solcher Agenten liegt in deu mittlern und
kleinen Provinzialstädten, jn sie haben sich in letzter Zeit bereits aufs Land
gewagt, und die Erfolge, von denen ihr erstes Auftreten dort begleitet war,
haben bald zur Nachfolge angeregt. Sie suchen sich dabei mit Vorliebe die
Schichten der Bevölkerung zu ihren Opfern aus, denen sie am wenigsten
Fassungsgabe zutrauen. Mit größtem Raffinement drängen sie so lange in
unerfahrene große und kleine Kapitalisten, bis ihnen diese durch Hergabe eines
geringen Depots die Unterlage für Börseuspetulationeu geschaffen haben. Um
die Unterschrift der Leute auf dein vom Bankier für effektive Lieferung und
effektive Abnahme ausgestellten Schlußschein zu erlangen, spiegelt ihnen der
Agent vor, daß diese Fassung und die Hergabe des Depots eine reine Form¬
sache sei, da jn doch das ganze Geschüft „nur die etwaige» Differenzen" zum
Gegenstände habe. Nichts ist dem Agenten heilig. Dein Pfarrer weiß er die
augenblicklichen Vorzüge von „Laura" in den hellsten Farben zu schildern und
dem Nachtwächter „Seel Patent" aufzuschwatzen. Dein Arzt giebt er die
rvsigsten Aussichten für deu Weizenmarkt, dein Barbier prophezeit er gleich¬
zeitig dessen Niedergang, den einen läßt er darauf ü. l-r Hauffe, den andern
In. Baisse spekuliren. Selbst das ehrwürdige Stadtoberhaupt bleibt vor
„Portugiese,!" nicht sicher. Wie kürzlich glaubwürdig berichtet wurde, hatte
es ein findiger Kopf fertig gebracht, einen biedern Provinzialen zu gleichzei¬
tigem Kauf und Verkauf derselben Menge auf denselben Liefernngstermin,
also zu gleichzeitiger Hauffe- und Baissespekulation zu bestimmen — natürlich
mit doppelter Provisivusberechuuug.

Nur durch die Thätigkeit solcher „Schlepper" werden die in überraschender
Weise, sich mehrenden Fälle erklärbar, wo sich Leute niedrigsten Standes mit
ihren armseligen Ersparnissen in Börsenspekulationen einlassen, von deren Natur
und Wesen sie nicht die leiseste Ahnung habe» konnte». Haben sich doch in
einzelnen Städte» ganze Konsortien von Agenten gebildet, die sich gegenseitig
in die Hände arbeiten und nach wohldurchdachten Plane Hunderte von urteils-
lvseii Le»te» an den Bettelstab bringen.

Zur Ehre unsrer Kommissivnshäuser sei es gesagt, daß diese selbst, wie aus
einem großen Teil der anhängig gewordnen Prozesse hervorgeht, in deu meisten
Fällen von den unsaubern Geschäften ihrer Agenten keine Kenntnis haben. Jn
es ist nicht selten vorgekommen, daß sich der Agent mit dem Kunden zu dem
Zweck verbindet, deu Bankier zu übervorteile», indem er irgend einen ver-
mögeiislvse» Mensche» dem Bankier als „sehr fein" schildert, den Bankier


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[0220] Die Börseuageiiten einer wirtschaftliche« Notwendigkeit geworden. Die Gefahr beginnt erst mit den unsaubern Manipulationen, die das Agententum mit diesen Anstellungen mißbräuchlich treibt, wobei ihm die Leichtigkeit, womit solche Anstellungen zu Ultimogeschäften benutzbar sind, in bewegten Zeiten besonders zu statte» kommt. Die Zentralstelle der Thätigkeit solcher Agenten liegt in deu mittlern und kleinen Provinzialstädten, jn sie haben sich in letzter Zeit bereits aufs Land gewagt, und die Erfolge, von denen ihr erstes Auftreten dort begleitet war, haben bald zur Nachfolge angeregt. Sie suchen sich dabei mit Vorliebe die Schichten der Bevölkerung zu ihren Opfern aus, denen sie am wenigsten Fassungsgabe zutrauen. Mit größtem Raffinement drängen sie so lange in unerfahrene große und kleine Kapitalisten, bis ihnen diese durch Hergabe eines geringen Depots die Unterlage für Börseuspetulationeu geschaffen haben. Um die Unterschrift der Leute auf dein vom Bankier für effektive Lieferung und effektive Abnahme ausgestellten Schlußschein zu erlangen, spiegelt ihnen der Agent vor, daß diese Fassung und die Hergabe des Depots eine reine Form¬ sache sei, da jn doch das ganze Geschüft „nur die etwaige» Differenzen" zum Gegenstände habe. Nichts ist dem Agenten heilig. Dein Pfarrer weiß er die augenblicklichen Vorzüge von „Laura" in den hellsten Farben zu schildern und dem Nachtwächter „Seel Patent" aufzuschwatzen. Dein Arzt giebt er die rvsigsten Aussichten für deu Weizenmarkt, dein Barbier prophezeit er gleich¬ zeitig dessen Niedergang, den einen läßt er darauf ü. l-r Hauffe, den andern In. Baisse spekuliren. Selbst das ehrwürdige Stadtoberhaupt bleibt vor „Portugiese,!" nicht sicher. Wie kürzlich glaubwürdig berichtet wurde, hatte es ein findiger Kopf fertig gebracht, einen biedern Provinzialen zu gleichzei¬ tigem Kauf und Verkauf derselben Menge auf denselben Liefernngstermin, also zu gleichzeitiger Hauffe- und Baissespekulation zu bestimmen — natürlich mit doppelter Provisivusberechuuug. Nur durch die Thätigkeit solcher „Schlepper" werden die in überraschender Weise, sich mehrenden Fälle erklärbar, wo sich Leute niedrigsten Standes mit ihren armseligen Ersparnissen in Börsenspekulationen einlassen, von deren Natur und Wesen sie nicht die leiseste Ahnung habe» konnte». Haben sich doch in einzelnen Städte» ganze Konsortien von Agenten gebildet, die sich gegenseitig in die Hände arbeiten und nach wohldurchdachten Plane Hunderte von urteils- lvseii Le»te» an den Bettelstab bringen. Zur Ehre unsrer Kommissivnshäuser sei es gesagt, daß diese selbst, wie aus einem großen Teil der anhängig gewordnen Prozesse hervorgeht, in deu meisten Fällen von den unsaubern Geschäften ihrer Agenten keine Kenntnis haben. Jn es ist nicht selten vorgekommen, daß sich der Agent mit dem Kunden zu dem Zweck verbindet, deu Bankier zu übervorteile», indem er irgend einen ver- mögeiislvse» Mensche» dem Bankier als „sehr fein" schildert, den Bankier

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/220>, abgerufen am 23.05.2024.