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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Weder Aommmiismus noch Kapitalismus

einem von Dantes Verdammten im Feuerregen muß er laufen, immer laufen,
um nicht durch Verweilen an einem ihm nicht gehörigen Orte der Strafe zu
verfallen. Für die Menschen ohne Grund- und andern Besitz, und diese macheu
heute die Mehrzahl aus, giebt es uur ein Mittel, sich das zum Leben er¬
forderliche zu verschaffen, sie müssen es sich kaufen, vorher aber das Geld
dazu mit einer Arbeit verdienen, die nicht zur Befriedigung ihrer eignen Be¬
dürfnisse dient. Und weil zur Befriedigung der Bedürfnisse der Reichen ein
sehr kleiner Teil der vorhandnen Arbeiter hinreicht, die Armen aber nicht
genug Geld haben, alles Notwendige zu kaufen, demnach für die Befriedigung
ihrer Bedürfnisse bei weitem nicht so viel Arbeiter thätig sein können, als
eigentlich sollten, so bietet einem großen Teile des Volks nur noch der Luxus
der Reichen Gelegenheit zur Arbeit. Einiges von diesem Luxus gelaugt ja
nun auch in den Besitz des Mittelstandes, wenn auch zum Teil nur leihweise,
und ein schäbiger Abraum davon verschönert sogar die Außenseite des höhern
Prvletarierdaseins. So sehen wir denn täglich neue Luxusindustrien hervor¬
sprießen, denen sich noch zwei andre Gattungen völlig unnötiger Industrien
beigesellen: nämlich solche, die schlechterdings keinen andern Zweck haben, als
einen Fabrikanten zu bereichern, wie die Anfertigung einer angeblich neuen
und daher patentirter Art von Hosenträgern oder von Bartsalbe oder von
Schvnheitsseife, und solche, die der Reklame aller übrigen zum Teil über¬
flüssigen Fabrikaten dienen, wie die Anfertigung von illustrirten Katalogen
oder von üppigen Frauenbildern, die eine neue Cigarrensorte vorstellen sollen,
oder von kokett einladenden und fingerzeigcnden Mädchen- und Kinderfiguren
in den Ecken der Schaufenster. Und weil die Kaufkraft der Reiche" alle not¬
wendigen Dinge, vor allem den Erdboden, in solchem Umfange mit Beschlag
belegt, daß dem Armen nicht einmal eine Pesthöhle als Wohnstätte umsonst
zur Verfügung steht, so ist er gezwungen, um jeden Preis Geld zu verdienen
und seine Arbeitskraft in einer jener Luxusindustrien um einen Spottpreis zu
verkaufen. Er muß zehn bis zwölf Stunden des Tags oder der Nacht ar¬
beiten, nicht um für sich und die Seinen Nahrung, Kleidung und Wohnung
zu schaffen, sondern um einen Plunder herzustellen, den fast niemand mehr
umsonst mag; ob dann das Geld, das er damit verdient, dazu hinreicht, ihm
zu verschaffen, was er braucht, darum kümmert sich niemand. Oder er muß
Dinge, die an sich schön und wertvoll sind, und an denen er, wenn man ihm
Zeit ließe und ihn ordentlich bezahlte, mit Lust und Liebe arbeiten würde,
in solchen Massen herstellen, daß ihm die Arbeit zur Pein und er selber
schwindsüchtig, blind und bucklig dabei wird. Wie der vou Troia zurückkehrende
Agamemnon in des Aischylos gleichnamigen Drama vom Wagen steigen will,
bemerkt er, daß Klhtaimnestra den Weg zum Palastthor mit Teppichen hat
belegen lassen. Er will den Purpur nicht betreten:


Weder Aommmiismus noch Kapitalismus

einem von Dantes Verdammten im Feuerregen muß er laufen, immer laufen,
um nicht durch Verweilen an einem ihm nicht gehörigen Orte der Strafe zu
verfallen. Für die Menschen ohne Grund- und andern Besitz, und diese macheu
heute die Mehrzahl aus, giebt es uur ein Mittel, sich das zum Leben er¬
forderliche zu verschaffen, sie müssen es sich kaufen, vorher aber das Geld
dazu mit einer Arbeit verdienen, die nicht zur Befriedigung ihrer eignen Be¬
dürfnisse dient. Und weil zur Befriedigung der Bedürfnisse der Reichen ein
sehr kleiner Teil der vorhandnen Arbeiter hinreicht, die Armen aber nicht
genug Geld haben, alles Notwendige zu kaufen, demnach für die Befriedigung
ihrer Bedürfnisse bei weitem nicht so viel Arbeiter thätig sein können, als
eigentlich sollten, so bietet einem großen Teile des Volks nur noch der Luxus
der Reichen Gelegenheit zur Arbeit. Einiges von diesem Luxus gelaugt ja
nun auch in den Besitz des Mittelstandes, wenn auch zum Teil nur leihweise,
und ein schäbiger Abraum davon verschönert sogar die Außenseite des höhern
Prvletarierdaseins. So sehen wir denn täglich neue Luxusindustrien hervor¬
sprießen, denen sich noch zwei andre Gattungen völlig unnötiger Industrien
beigesellen: nämlich solche, die schlechterdings keinen andern Zweck haben, als
einen Fabrikanten zu bereichern, wie die Anfertigung einer angeblich neuen
und daher patentirter Art von Hosenträgern oder von Bartsalbe oder von
Schvnheitsseife, und solche, die der Reklame aller übrigen zum Teil über¬
flüssigen Fabrikaten dienen, wie die Anfertigung von illustrirten Katalogen
oder von üppigen Frauenbildern, die eine neue Cigarrensorte vorstellen sollen,
oder von kokett einladenden und fingerzeigcnden Mädchen- und Kinderfiguren
in den Ecken der Schaufenster. Und weil die Kaufkraft der Reiche» alle not¬
wendigen Dinge, vor allem den Erdboden, in solchem Umfange mit Beschlag
belegt, daß dem Armen nicht einmal eine Pesthöhle als Wohnstätte umsonst
zur Verfügung steht, so ist er gezwungen, um jeden Preis Geld zu verdienen
und seine Arbeitskraft in einer jener Luxusindustrien um einen Spottpreis zu
verkaufen. Er muß zehn bis zwölf Stunden des Tags oder der Nacht ar¬
beiten, nicht um für sich und die Seinen Nahrung, Kleidung und Wohnung
zu schaffen, sondern um einen Plunder herzustellen, den fast niemand mehr
umsonst mag; ob dann das Geld, das er damit verdient, dazu hinreicht, ihm
zu verschaffen, was er braucht, darum kümmert sich niemand. Oder er muß
Dinge, die an sich schön und wertvoll sind, und an denen er, wenn man ihm
Zeit ließe und ihn ordentlich bezahlte, mit Lust und Liebe arbeiten würde,
in solchen Massen herstellen, daß ihm die Arbeit zur Pein und er selber
schwindsüchtig, blind und bucklig dabei wird. Wie der vou Troia zurückkehrende
Agamemnon in des Aischylos gleichnamigen Drama vom Wagen steigen will,
bemerkt er, daß Klhtaimnestra den Weg zum Palastthor mit Teppichen hat
belegen lassen. Er will den Purpur nicht betreten:


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/230>, abgerufen am 06.06.2024.