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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Vie Sprache des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuchs

Als verfehlt ist die Wendung zu bezeichnen: eine Erklärung kommt
einem zu 1288). Zukommen bedeutet so viel wie zustehen: es kommt
oder steht z. B. einem das letzte Wort zu. Der Entwurf will aber sagen, daß
einem eine Erklärung zugeht, an ihn gelaugt.

H 70" nennt die Person, der ein Schaden zugefügt worden ist, den Be¬
schädigtem, und zwar auch in den Füllen, wo es sich nur um eine Ver¬
mögensschädigung handelt. Wenn mir aber jemand Steine in mein Gewächs¬
haus wirft, so bin nicht ich der Beschädigte, sondern das Gewächshaus ist
beschädigt. Wohl aber bin ich der Geschädigte. Ob mau einen körperlich
verletzten den Beschädigtem nennen kann, will ich dahingestellt sein lassen;
jedenfalls kann man auch ihn den Geschädigten nennen; dieser Ausdruck
paßt für alle Fälle. Ebenso ist für beschädigende Handlung zu setzen:
schädigende Handlung.

8 914 nennt den Finderlohn unzutreffend Fundlohn; nicht der Fund
wird belohnt, sondern der Finder, und dieser nicht sür den Fund, sondern für
die Ablieferung.

Ungebräuchlich ist es, von Beziehung der Leibrente, der Früchte, der
Nutzungen zu sprechen (ZZ 858, 900, 1027, 1154 u. a.). Schopenhauer freilich,
der das Wort Bezug nur beim Sofa gelten lassen wollte, würde an dieser
Anwendung seine Freude gehabt haben. Aber der allgemeine Sprachgebrauch
hat sich -- zutreffend -- anders entschieden; er wendet Beziehung nur in
übertragnem Sinne an; von Rentenbeziehung aber spricht niemand, sondern
jedermann sagt Rentenbezug. Man spricht auch nicht, wie der Entwurf,
von Erträgen, sondern von Erträgnissen; Ertrag ist die Gesamtheit der
Erträgnisse.

Scharf unterscheidet der Sprachgebrauch zwischen sofern und soweit.
Sofern ist reines Bedingungswort, gleichbedeutend mit wenn; soweit be¬
zeichnet eine Einschränkung dem Umfange nach. Im EntWurfe findet sich aber
sofern zuweilen in der Bedeutung von soweit angewendet; so z. B. in
§ 193".

In den Gesetzen wie in den Lehrbüchern hat sich von jeher ein Schwanken
zwischen den Ausdrücken Zurückhaltungsrecht und Zurückbehaltnngs-
recht gezeigt. Der Entwurf (§8 2JZ f., !.)15, 938) hat sich für das zweite ent¬
schieden, aber mit Unrecht. Man kann eine Handlung, z. B. die Zahlung
einer Schuld, die Ausführung eines Auftrags, die Abgabe einer Erklärung,
nicht zurückbehalten, sondern nur zurückhalten. Behalten setzt eine Jn-
habnng, also ein körperliches Verhältnis zu einer Sache voraus. Aber selbst
bei Sachen ist die Jnhabung nicht immer zur Ausübung des Zurückhaltungs¬
rechts erforderlich. Wenn ein Mieter, der mir, seinem Vermieter, Mietzins
schuldet, aus den von ihm noch bewohnten Zimmern einzelne Möbelstücke weg¬
schaffen will, so kann ich diese zurückhalten; zurückbehalten kann ich sie


Grenzboten 1 1893 W
Vie Sprache des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuchs

Als verfehlt ist die Wendung zu bezeichnen: eine Erklärung kommt
einem zu 1288). Zukommen bedeutet so viel wie zustehen: es kommt
oder steht z. B. einem das letzte Wort zu. Der Entwurf will aber sagen, daß
einem eine Erklärung zugeht, an ihn gelaugt.

H 70» nennt die Person, der ein Schaden zugefügt worden ist, den Be¬
schädigtem, und zwar auch in den Füllen, wo es sich nur um eine Ver¬
mögensschädigung handelt. Wenn mir aber jemand Steine in mein Gewächs¬
haus wirft, so bin nicht ich der Beschädigte, sondern das Gewächshaus ist
beschädigt. Wohl aber bin ich der Geschädigte. Ob mau einen körperlich
verletzten den Beschädigtem nennen kann, will ich dahingestellt sein lassen;
jedenfalls kann man auch ihn den Geschädigten nennen; dieser Ausdruck
paßt für alle Fälle. Ebenso ist für beschädigende Handlung zu setzen:
schädigende Handlung.

8 914 nennt den Finderlohn unzutreffend Fundlohn; nicht der Fund
wird belohnt, sondern der Finder, und dieser nicht sür den Fund, sondern für
die Ablieferung.

Ungebräuchlich ist es, von Beziehung der Leibrente, der Früchte, der
Nutzungen zu sprechen (ZZ 858, 900, 1027, 1154 u. a.). Schopenhauer freilich,
der das Wort Bezug nur beim Sofa gelten lassen wollte, würde an dieser
Anwendung seine Freude gehabt haben. Aber der allgemeine Sprachgebrauch
hat sich — zutreffend — anders entschieden; er wendet Beziehung nur in
übertragnem Sinne an; von Rentenbeziehung aber spricht niemand, sondern
jedermann sagt Rentenbezug. Man spricht auch nicht, wie der Entwurf,
von Erträgen, sondern von Erträgnissen; Ertrag ist die Gesamtheit der
Erträgnisse.

Scharf unterscheidet der Sprachgebrauch zwischen sofern und soweit.
Sofern ist reines Bedingungswort, gleichbedeutend mit wenn; soweit be¬
zeichnet eine Einschränkung dem Umfange nach. Im EntWurfe findet sich aber
sofern zuweilen in der Bedeutung von soweit angewendet; so z. B. in
§ 193».

In den Gesetzen wie in den Lehrbüchern hat sich von jeher ein Schwanken
zwischen den Ausdrücken Zurückhaltungsrecht und Zurückbehaltnngs-
recht gezeigt. Der Entwurf (§8 2JZ f., !.)15, 938) hat sich für das zweite ent¬
schieden, aber mit Unrecht. Man kann eine Handlung, z. B. die Zahlung
einer Schuld, die Ausführung eines Auftrags, die Abgabe einer Erklärung,
nicht zurückbehalten, sondern nur zurückhalten. Behalten setzt eine Jn-
habnng, also ein körperliches Verhältnis zu einer Sache voraus. Aber selbst
bei Sachen ist die Jnhabung nicht immer zur Ausübung des Zurückhaltungs¬
rechts erforderlich. Wenn ein Mieter, der mir, seinem Vermieter, Mietzins
schuldet, aus den von ihm noch bewohnten Zimmern einzelne Möbelstücke weg¬
schaffen will, so kann ich diese zurückhalten; zurückbehalten kann ich sie


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[0235] Vie Sprache des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuchs Als verfehlt ist die Wendung zu bezeichnen: eine Erklärung kommt einem zu 1288). Zukommen bedeutet so viel wie zustehen: es kommt oder steht z. B. einem das letzte Wort zu. Der Entwurf will aber sagen, daß einem eine Erklärung zugeht, an ihn gelaugt. H 70» nennt die Person, der ein Schaden zugefügt worden ist, den Be¬ schädigtem, und zwar auch in den Füllen, wo es sich nur um eine Ver¬ mögensschädigung handelt. Wenn mir aber jemand Steine in mein Gewächs¬ haus wirft, so bin nicht ich der Beschädigte, sondern das Gewächshaus ist beschädigt. Wohl aber bin ich der Geschädigte. Ob mau einen körperlich verletzten den Beschädigtem nennen kann, will ich dahingestellt sein lassen; jedenfalls kann man auch ihn den Geschädigten nennen; dieser Ausdruck paßt für alle Fälle. Ebenso ist für beschädigende Handlung zu setzen: schädigende Handlung. 8 914 nennt den Finderlohn unzutreffend Fundlohn; nicht der Fund wird belohnt, sondern der Finder, und dieser nicht sür den Fund, sondern für die Ablieferung. Ungebräuchlich ist es, von Beziehung der Leibrente, der Früchte, der Nutzungen zu sprechen (ZZ 858, 900, 1027, 1154 u. a.). Schopenhauer freilich, der das Wort Bezug nur beim Sofa gelten lassen wollte, würde an dieser Anwendung seine Freude gehabt haben. Aber der allgemeine Sprachgebrauch hat sich — zutreffend — anders entschieden; er wendet Beziehung nur in übertragnem Sinne an; von Rentenbeziehung aber spricht niemand, sondern jedermann sagt Rentenbezug. Man spricht auch nicht, wie der Entwurf, von Erträgen, sondern von Erträgnissen; Ertrag ist die Gesamtheit der Erträgnisse. Scharf unterscheidet der Sprachgebrauch zwischen sofern und soweit. Sofern ist reines Bedingungswort, gleichbedeutend mit wenn; soweit be¬ zeichnet eine Einschränkung dem Umfange nach. Im EntWurfe findet sich aber sofern zuweilen in der Bedeutung von soweit angewendet; so z. B. in § 193». In den Gesetzen wie in den Lehrbüchern hat sich von jeher ein Schwanken zwischen den Ausdrücken Zurückhaltungsrecht und Zurückbehaltnngs- recht gezeigt. Der Entwurf (§8 2JZ f., !.)15, 938) hat sich für das zweite ent¬ schieden, aber mit Unrecht. Man kann eine Handlung, z. B. die Zahlung einer Schuld, die Ausführung eines Auftrags, die Abgabe einer Erklärung, nicht zurückbehalten, sondern nur zurückhalten. Behalten setzt eine Jn- habnng, also ein körperliches Verhältnis zu einer Sache voraus. Aber selbst bei Sachen ist die Jnhabung nicht immer zur Ausübung des Zurückhaltungs¬ rechts erforderlich. Wenn ein Mieter, der mir, seinem Vermieter, Mietzins schuldet, aus den von ihm noch bewohnten Zimmern einzelne Möbelstücke weg¬ schaffen will, so kann ich diese zurückhalten; zurückbehalten kann ich sie Grenzboten 1 1893 W

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/235>, abgerufen am 25.05.2024.