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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Die Sprache des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuchs

seine Unkenntniß auch nicht auf grober Fahrlässigkeit beruht hat." Augen¬
scheinlich fürchtet man, es könnte sonst jemand auch deu Fall einer nach
der Erwerbszeit verschuldeten (und deshalb einflußloser) Unkenntnis hierher
rechnen wollen. Ferner i? 240: "Kann der Schuldner seine Verbindlich¬
keit nicht erfüllen, weil die ihm obliegende Leistung in Folge eines von
ihm zu vertretenden llmstnndes unmöglich geworden ist, so ist der Schuldner
verpflichtet, den Schaden zu ersetzen." Also: Kann der Schuldner, so ist
der Schuldner u. s. w.! Warum nicht er? Als ob jemand auf deu Gedanken
kommen könnte, das er auf das Wort "Umstand" zu beziehen! § 885: "Die
Erhitzung gilt als nicht unterbrochen, wenn der Ersitzende den Besitz ohne
seinen Willen verloren hat und entweder den Besitz binnen Jahresfrist wieder¬
erlangt oder auf Herausgabe der Sache binnen Jahresfrist Klage erhebt und
mittels der Klage den Besitz wiedererlangt." Der Satz könnte einfach so
lauten: ,,wenn der Ersitzende deu Besitz ohne seineu Willen verloren hat und
ihn entweder binnen Jahresfrist oder auf eine binnen gleicher Frist erhobne
Klage wiedererlangt." § 906: "Ein ausgezogener Bienenschwarm wird
herrenlos, wenn der Eigenthümer denselben nicht unverzüglich verfolgt,
oder wenn der Eigenthümer die Verfolgung aufgiebt oder deu Schwarm der¬
gestalt aus dem Gesichte verliert, daß er nicht mehr weiß, wo derselbe ^ sich
befindet." Zweimal der Eigentümer, zweimal der Schwarm, zweimal derselbe!
Und dies alles, offenbar nnr damit man nicht etwa auf den Gedanken komme,
der Eigentümer wisse nicht mehr, wo er sich selber befinde! Was wäre gegen
folgende einfache Fassung einzuwenden: "Ein aufziehender Bienenschwarm wird
herrenlos, wenn ihn der Eigentümer nicht unverzüglich verfolgt oder seine
Verfolgung ausgiebt oder ihn dergestalt aus dem Gesichte verliert, daß er ihn
nicht mehr zu finden weiß?" 8 1681 Abs. 1: "Ist zu einem Rechtsgeschäfte
die Genehmigung des Vormuudschaftsgerichtes erforderlich, so kann diese Ge¬
nehmigung (sie!) . . . erklärt werden." Abs. 4: "Solange der Vertrag
noch wirksam werden kann, ist der andere Vertragschließende nicht berechtigt,
von dem Vertrage (davon!) zurückzutreten." Dergleichen Breitspurigleiten
finden sich in großer Menge.

Viel trägt auch zur Steifheit bei die ausnahmslos festgehaltn" Verwen¬
dung des e im Genetiv: des Gerichtes, des Urteiles. Hier muß doch wohl
der Gebrauch, müssen auch Gründe des Wohlklangs entscheiden. Man sagt
nicht: Blatts, Grunds, Klubs; aber man sagt andrerseits auch nicht:
Irrtumes, Anspruches, Eigentumes, oder gar Abkömmling es, Monates.
Im Entwürfe heißt es ohne jede Rücksicht auf Mißklang und Härte stets:
Gesetzbuches, Papieres, Inbegriffes, Vertrages. Die Beständigkeit geht
sogar so weit, daß man (Z 1437) das e dreimal hinter einander erscheinen
läßt: "Der Antrag kann auf Eintragung eines Theiles des Inhaltes des
Vertrages beschränkt werden." Besser wäre: eines Teils von dem Inhalte


Die Sprache des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuchs

seine Unkenntniß auch nicht auf grober Fahrlässigkeit beruht hat." Augen¬
scheinlich fürchtet man, es könnte sonst jemand auch deu Fall einer nach
der Erwerbszeit verschuldeten (und deshalb einflußloser) Unkenntnis hierher
rechnen wollen. Ferner i? 240: „Kann der Schuldner seine Verbindlich¬
keit nicht erfüllen, weil die ihm obliegende Leistung in Folge eines von
ihm zu vertretenden llmstnndes unmöglich geworden ist, so ist der Schuldner
verpflichtet, den Schaden zu ersetzen." Also: Kann der Schuldner, so ist
der Schuldner u. s. w.! Warum nicht er? Als ob jemand auf deu Gedanken
kommen könnte, das er auf das Wort „Umstand" zu beziehen! § 885: „Die
Erhitzung gilt als nicht unterbrochen, wenn der Ersitzende den Besitz ohne
seinen Willen verloren hat und entweder den Besitz binnen Jahresfrist wieder¬
erlangt oder auf Herausgabe der Sache binnen Jahresfrist Klage erhebt und
mittels der Klage den Besitz wiedererlangt." Der Satz könnte einfach so
lauten: ,,wenn der Ersitzende deu Besitz ohne seineu Willen verloren hat und
ihn entweder binnen Jahresfrist oder auf eine binnen gleicher Frist erhobne
Klage wiedererlangt." § 906: „Ein ausgezogener Bienenschwarm wird
herrenlos, wenn der Eigenthümer denselben nicht unverzüglich verfolgt,
oder wenn der Eigenthümer die Verfolgung aufgiebt oder deu Schwarm der¬
gestalt aus dem Gesichte verliert, daß er nicht mehr weiß, wo derselbe ^ sich
befindet." Zweimal der Eigentümer, zweimal der Schwarm, zweimal derselbe!
Und dies alles, offenbar nnr damit man nicht etwa auf den Gedanken komme,
der Eigentümer wisse nicht mehr, wo er sich selber befinde! Was wäre gegen
folgende einfache Fassung einzuwenden: „Ein aufziehender Bienenschwarm wird
herrenlos, wenn ihn der Eigentümer nicht unverzüglich verfolgt oder seine
Verfolgung ausgiebt oder ihn dergestalt aus dem Gesichte verliert, daß er ihn
nicht mehr zu finden weiß?" 8 1681 Abs. 1: „Ist zu einem Rechtsgeschäfte
die Genehmigung des Vormuudschaftsgerichtes erforderlich, so kann diese Ge¬
nehmigung (sie!) . . . erklärt werden." Abs. 4: „Solange der Vertrag
noch wirksam werden kann, ist der andere Vertragschließende nicht berechtigt,
von dem Vertrage (davon!) zurückzutreten." Dergleichen Breitspurigleiten
finden sich in großer Menge.

Viel trägt auch zur Steifheit bei die ausnahmslos festgehaltn« Verwen¬
dung des e im Genetiv: des Gerichtes, des Urteiles. Hier muß doch wohl
der Gebrauch, müssen auch Gründe des Wohlklangs entscheiden. Man sagt
nicht: Blatts, Grunds, Klubs; aber man sagt andrerseits auch nicht:
Irrtumes, Anspruches, Eigentumes, oder gar Abkömmling es, Monates.
Im Entwürfe heißt es ohne jede Rücksicht auf Mißklang und Härte stets:
Gesetzbuches, Papieres, Inbegriffes, Vertrages. Die Beständigkeit geht
sogar so weit, daß man (Z 1437) das e dreimal hinter einander erscheinen
läßt: „Der Antrag kann auf Eintragung eines Theiles des Inhaltes des
Vertrages beschränkt werden." Besser wäre: eines Teils von dem Inhalte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/241>, abgerufen am 23.05.2024.