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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Die Sprache des Entwurfs eines bürgerliche" Gesetzbuchs

auch wenn sich die Annahme an Kindesstatt auf diese Abkömmlinge nicht er¬
streckt hat -- in H1501: das minderjährige eheliche Kind (der ganze Titel
handelt von ehelichen Kindern, hier aber soll von einem minderjährigen ge¬
sprochen werden) -- in H 15)!!!: Erfüllung einer ihm dem Kinde gegenüber
obliegenden Verbindlichkeit -- in 1L07: Wer an Kindesstatt angenommen
ist, kann von einem Dritten nicht vor Aufhebung des durch die Annahme be¬
gründeten Verhältnisses an Kindesstatt angenommen werden ("nicht vor" ge¬
hört zusammen). § 2019 Abs. 1 lautet: "Durch einen zwischen dem Erblasser
und einem Verwandten oder dem Ehegatten des Erblassers zu schließenden
Vertrag kann der Verwandte oder Ehegatte von der gesetzlichen Erbfolge aus¬
geschlossen werden." Die wiederholte Nennung der Verwandten und des Ehe¬
gatten ist unnötig. Es genügt: "Verwandte und der Ehegatte des Erblassers
können durch einen zwischen ihnen und dem Erblasser abzuschließenden Ver¬
trag u. s. w."

Den Schluß des Unschönen möge ein wahres Unglücksgeschöpf von einem
Worte bilden: der Voraus^) 1971. Darunter soll verstanden werden:
das Recht des überlebenden Ehegatten, neben seinem Gattenerbteil unter ge¬
wissen Voraussetzungen vermächtnisweise die Hochzeitsgeschenke und den im
gewöhnlichen Gebrauche gewesenen Hausrat (Hanshaltungsinventar genannt)
zu empfangen. Dieses Wort ist nicht eine Schöpfung der Verfasser des Ent¬
wurfs; es ist ans dem preußischen Landrechte herübergenommen, findet sich
aber schon in alten deutschen Nechtsbüchern, in diesen freilich nur auf gewisse
Vorzugsrechte der Kinder angewendet. Dort werden aber für dieses Vorzugs¬
recht auch die Bezeichnungen der Vorzug, der Vorteil (-^ Vor-Teil), der
Vvrlaß angewendet. Warum hat man nicht statt jener Mißgeburt das sinn¬
reiche und wohlgebildete Wort Vorlaß gewählt?

Einen besondern Abschnitt möchte ich endlich noch den Fremdwörtern
widmen. Die Kommission selber sagt darüber in ihrem Protokoll vom 19. Sep¬
tember 1874, die Mitglieder seien darüber einig, "daß die Redaktoren sich,
was die Terminologie angeht, möglichst der deutschen Sprache bedienen sollen,
soweit es, ohne in Purismus zu verfallen, ausführbar." Kühne Hoff¬
nungen durfte man nach diesem -- abscheulich gefaßten -- Allsspruch ebeu
nicht hegen. Aber der Entwurf steht im Punkte der Fremdwörter weit höher
als das Ziel, das er sich selber gesteckt hat. Adolf Keller sagt darüber in
seinem schon erwähnten Aufsätze: "Die überwältigende Macht der Mutter¬
sprache, der unerschöpfliche Born des Geistes der deutscheu Sprache ist im
Entwürfe zum Durchbruch gekommen und hat die gewaltigen Hindernisse, welche



Beiläufig sei hier auf die verfehlte Schreibweise im Boraus (in der Bedeutung
"vor anderm" oder "von vornherein") hingewiesen. Man, denkt dabei an die erbschaftliche
Einrichtung des Bvrnus. Im voraus ist zu schreiben, denn wir haben da kein Haupt¬
wort, sondern ein Adverbium der Zeit vor uns.
Die Sprache des Entwurfs eines bürgerliche» Gesetzbuchs

auch wenn sich die Annahme an Kindesstatt auf diese Abkömmlinge nicht er¬
streckt hat — in H1501: das minderjährige eheliche Kind (der ganze Titel
handelt von ehelichen Kindern, hier aber soll von einem minderjährigen ge¬
sprochen werden) — in H 15)!!!: Erfüllung einer ihm dem Kinde gegenüber
obliegenden Verbindlichkeit — in 1L07: Wer an Kindesstatt angenommen
ist, kann von einem Dritten nicht vor Aufhebung des durch die Annahme be¬
gründeten Verhältnisses an Kindesstatt angenommen werden („nicht vor" ge¬
hört zusammen). § 2019 Abs. 1 lautet: „Durch einen zwischen dem Erblasser
und einem Verwandten oder dem Ehegatten des Erblassers zu schließenden
Vertrag kann der Verwandte oder Ehegatte von der gesetzlichen Erbfolge aus¬
geschlossen werden." Die wiederholte Nennung der Verwandten und des Ehe¬
gatten ist unnötig. Es genügt: „Verwandte und der Ehegatte des Erblassers
können durch einen zwischen ihnen und dem Erblasser abzuschließenden Ver¬
trag u. s. w."

Den Schluß des Unschönen möge ein wahres Unglücksgeschöpf von einem
Worte bilden: der Voraus^) 1971. Darunter soll verstanden werden:
das Recht des überlebenden Ehegatten, neben seinem Gattenerbteil unter ge¬
wissen Voraussetzungen vermächtnisweise die Hochzeitsgeschenke und den im
gewöhnlichen Gebrauche gewesenen Hausrat (Hanshaltungsinventar genannt)
zu empfangen. Dieses Wort ist nicht eine Schöpfung der Verfasser des Ent¬
wurfs; es ist ans dem preußischen Landrechte herübergenommen, findet sich
aber schon in alten deutschen Nechtsbüchern, in diesen freilich nur auf gewisse
Vorzugsrechte der Kinder angewendet. Dort werden aber für dieses Vorzugs¬
recht auch die Bezeichnungen der Vorzug, der Vorteil (-^ Vor-Teil), der
Vvrlaß angewendet. Warum hat man nicht statt jener Mißgeburt das sinn¬
reiche und wohlgebildete Wort Vorlaß gewählt?

Einen besondern Abschnitt möchte ich endlich noch den Fremdwörtern
widmen. Die Kommission selber sagt darüber in ihrem Protokoll vom 19. Sep¬
tember 1874, die Mitglieder seien darüber einig, „daß die Redaktoren sich,
was die Terminologie angeht, möglichst der deutschen Sprache bedienen sollen,
soweit es, ohne in Purismus zu verfallen, ausführbar." Kühne Hoff¬
nungen durfte man nach diesem — abscheulich gefaßten — Allsspruch ebeu
nicht hegen. Aber der Entwurf steht im Punkte der Fremdwörter weit höher
als das Ziel, das er sich selber gesteckt hat. Adolf Keller sagt darüber in
seinem schon erwähnten Aufsätze: „Die überwältigende Macht der Mutter¬
sprache, der unerschöpfliche Born des Geistes der deutscheu Sprache ist im
Entwürfe zum Durchbruch gekommen und hat die gewaltigen Hindernisse, welche



Beiläufig sei hier auf die verfehlte Schreibweise im Boraus (in der Bedeutung
„vor anderm" oder „von vornherein") hingewiesen. Man, denkt dabei an die erbschaftliche
Einrichtung des Bvrnus. Im voraus ist zu schreiben, denn wir haben da kein Haupt¬
wort, sondern ein Adverbium der Zeit vor uns.
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[0244] Die Sprache des Entwurfs eines bürgerliche» Gesetzbuchs auch wenn sich die Annahme an Kindesstatt auf diese Abkömmlinge nicht er¬ streckt hat — in H1501: das minderjährige eheliche Kind (der ganze Titel handelt von ehelichen Kindern, hier aber soll von einem minderjährigen ge¬ sprochen werden) — in H 15)!!!: Erfüllung einer ihm dem Kinde gegenüber obliegenden Verbindlichkeit — in 1L07: Wer an Kindesstatt angenommen ist, kann von einem Dritten nicht vor Aufhebung des durch die Annahme be¬ gründeten Verhältnisses an Kindesstatt angenommen werden („nicht vor" ge¬ hört zusammen). § 2019 Abs. 1 lautet: „Durch einen zwischen dem Erblasser und einem Verwandten oder dem Ehegatten des Erblassers zu schließenden Vertrag kann der Verwandte oder Ehegatte von der gesetzlichen Erbfolge aus¬ geschlossen werden." Die wiederholte Nennung der Verwandten und des Ehe¬ gatten ist unnötig. Es genügt: „Verwandte und der Ehegatte des Erblassers können durch einen zwischen ihnen und dem Erblasser abzuschließenden Ver¬ trag u. s. w." Den Schluß des Unschönen möge ein wahres Unglücksgeschöpf von einem Worte bilden: der Voraus^) 1971. Darunter soll verstanden werden: das Recht des überlebenden Ehegatten, neben seinem Gattenerbteil unter ge¬ wissen Voraussetzungen vermächtnisweise die Hochzeitsgeschenke und den im gewöhnlichen Gebrauche gewesenen Hausrat (Hanshaltungsinventar genannt) zu empfangen. Dieses Wort ist nicht eine Schöpfung der Verfasser des Ent¬ wurfs; es ist ans dem preußischen Landrechte herübergenommen, findet sich aber schon in alten deutschen Nechtsbüchern, in diesen freilich nur auf gewisse Vorzugsrechte der Kinder angewendet. Dort werden aber für dieses Vorzugs¬ recht auch die Bezeichnungen der Vorzug, der Vorteil (-^ Vor-Teil), der Vvrlaß angewendet. Warum hat man nicht statt jener Mißgeburt das sinn¬ reiche und wohlgebildete Wort Vorlaß gewählt? Einen besondern Abschnitt möchte ich endlich noch den Fremdwörtern widmen. Die Kommission selber sagt darüber in ihrem Protokoll vom 19. Sep¬ tember 1874, die Mitglieder seien darüber einig, „daß die Redaktoren sich, was die Terminologie angeht, möglichst der deutschen Sprache bedienen sollen, soweit es, ohne in Purismus zu verfallen, ausführbar." Kühne Hoff¬ nungen durfte man nach diesem — abscheulich gefaßten — Allsspruch ebeu nicht hegen. Aber der Entwurf steht im Punkte der Fremdwörter weit höher als das Ziel, das er sich selber gesteckt hat. Adolf Keller sagt darüber in seinem schon erwähnten Aufsätze: „Die überwältigende Macht der Mutter¬ sprache, der unerschöpfliche Born des Geistes der deutscheu Sprache ist im Entwürfe zum Durchbruch gekommen und hat die gewaltigen Hindernisse, welche Beiläufig sei hier auf die verfehlte Schreibweise im Boraus (in der Bedeutung „vor anderm" oder „von vornherein") hingewiesen. Man, denkt dabei an die erbschaftliche Einrichtung des Bvrnus. Im voraus ist zu schreiben, denn wir haben da kein Haupt¬ wort, sondern ein Adverbium der Zeit vor uns.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/244>, abgerufen am 23.05.2024.