Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

französisch und halb deutsch Pangsjohn ausgesprochen!), Dispensation,
Honorar, Bilanz. Man berufe sich nicht ans etwaige Notwendigkeit des
Einklangs mit bestehenden Gesetzein Wenn man bei einer solchen Neuschöpfung
nicht neue Bahnen betreten dürfte -- wann sonst?

Doch wie gesagt -- in der Fremdwvrterfrage sind wir den Verfassern
des Entwurfs Anerkennung schuldig. Des Entwurfs! Aber den Verfassern
der "Motive"?

Mit der rechten Hand schreibe" sie den deutschen Ausdruck in das Gesetz,
und mit der linken bieten sie uns die Begründung dar, in der sich das ganze
Kauzleikauderwelsch wohlverwahrt wiederfindet. Das Buch ist deutsch; blickt
man aber in die Werkstatt, wo es hergestellt worden ist, und wo mau sich über
das Warum und Wozu der Bestimmungen unterrichten will, so findet man
allerorten, vor allem in der Abteilung "Recht der Schuldverhältnisse," aus¬
ländisches. Es ist wie bei gewisse" Wareuläden: im Schaufenster alles schön
und gut, im Laden selbst aber vielfach alte Ladenhüter.

Wohlgemerkt: äußerlich, in der Sprache. Denn den innern Gehalt dieses
4144 Seiten betragenden VegründungSwerks kann man nnr mit Bewunderung
betrachten; und wer nicht, wie Gierke und Dahn, den Wert eines deutschen
Gesetzgebungswerks "ach der deutsch-nationalen Gestaltung und Entwicklung
bemißt, den muß dieses Werk, worin sich eine Fülle juristischer Weisheit nieder¬
gelegt findet, mit Freude und mit Stolz auf solche deutsche Geistesarbeit er¬
füllen. Um so größer das Bedauern über die unebenbürtige Sprache.

Schon daß man das Werk mit der ausländische" und nicht nur entbehr-
lichen, souderu begrifflich unzutreffender Überschrift ,.Motive" versehen hat, ist
bedauerlich. Motive heißt: Beweggründe; aber nicht bloß um diese handelt
es sich, sondern um die vollständige Begründung. Der Unterschied liegt
auf der Hand. So ist z. B. der Beweggrund für die Festhaltung des Grund¬
satzes ,,Kauf bricht Miete" der, daß man die freie wirtschaftliche Ausnutzung
des Grundeigentums höher stellt, als die Nnshaltnng eines persönlichen Ver¬
trags über das Grundstück. Das ist aber noch keine Begründung der Nichtig¬
keit dieser Höherstellnng.

Nun zur Sprache der "Motive" selbst! Da wimmelt es von Definition,
Intention, Interpretation, Fiktion. Modifikation; von Exhibition, Restitution,
Emanation, Tradition, Nogativn, Surrogation, Novation, Delation, Succession,
Desertion, Oblation, Recession, Exkulpatiou, Präklusion, Sequestration, Kon¬
zession, Liquidation, Argumentation. Auch das schöne Wort Struktiou findet
sich vor. Da heißt es: Resultat, Institut, Prinzip, Differenz. Existenz, Kon¬
flikt, Konnexität, Humanität, Nativität, Singularität (für Besonderheit), Zessi-
bilität, Fungibilität, Reminiszenz, Konvaleszenz (für Wirksnmwerdung), Krite¬
rium, Essentiale, Fundament, Snbstantiirnng, Regirung, Regulirung, Formu-
lirung, Privatautonomie (deutsch: Selbstbestimmung, 2, 425), Kontrakt und


französisch und halb deutsch Pangsjohn ausgesprochen!), Dispensation,
Honorar, Bilanz. Man berufe sich nicht ans etwaige Notwendigkeit des
Einklangs mit bestehenden Gesetzein Wenn man bei einer solchen Neuschöpfung
nicht neue Bahnen betreten dürfte — wann sonst?

Doch wie gesagt — in der Fremdwvrterfrage sind wir den Verfassern
des Entwurfs Anerkennung schuldig. Des Entwurfs! Aber den Verfassern
der „Motive"?

Mit der rechten Hand schreibe» sie den deutschen Ausdruck in das Gesetz,
und mit der linken bieten sie uns die Begründung dar, in der sich das ganze
Kauzleikauderwelsch wohlverwahrt wiederfindet. Das Buch ist deutsch; blickt
man aber in die Werkstatt, wo es hergestellt worden ist, und wo mau sich über
das Warum und Wozu der Bestimmungen unterrichten will, so findet man
allerorten, vor allem in der Abteilung „Recht der Schuldverhältnisse," aus¬
ländisches. Es ist wie bei gewisse» Wareuläden: im Schaufenster alles schön
und gut, im Laden selbst aber vielfach alte Ladenhüter.

Wohlgemerkt: äußerlich, in der Sprache. Denn den innern Gehalt dieses
4144 Seiten betragenden VegründungSwerks kann man nnr mit Bewunderung
betrachten; und wer nicht, wie Gierke und Dahn, den Wert eines deutschen
Gesetzgebungswerks »ach der deutsch-nationalen Gestaltung und Entwicklung
bemißt, den muß dieses Werk, worin sich eine Fülle juristischer Weisheit nieder¬
gelegt findet, mit Freude und mit Stolz auf solche deutsche Geistesarbeit er¬
füllen. Um so größer das Bedauern über die unebenbürtige Sprache.

Schon daß man das Werk mit der ausländische» und nicht nur entbehr-
lichen, souderu begrifflich unzutreffender Überschrift ,.Motive" versehen hat, ist
bedauerlich. Motive heißt: Beweggründe; aber nicht bloß um diese handelt
es sich, sondern um die vollständige Begründung. Der Unterschied liegt
auf der Hand. So ist z. B. der Beweggrund für die Festhaltung des Grund¬
satzes ,,Kauf bricht Miete" der, daß man die freie wirtschaftliche Ausnutzung
des Grundeigentums höher stellt, als die Nnshaltnng eines persönlichen Ver¬
trags über das Grundstück. Das ist aber noch keine Begründung der Nichtig¬
keit dieser Höherstellnng.

Nun zur Sprache der „Motive" selbst! Da wimmelt es von Definition,
Intention, Interpretation, Fiktion. Modifikation; von Exhibition, Restitution,
Emanation, Tradition, Nogativn, Surrogation, Novation, Delation, Succession,
Desertion, Oblation, Recession, Exkulpatiou, Präklusion, Sequestration, Kon¬
zession, Liquidation, Argumentation. Auch das schöne Wort Struktiou findet
sich vor. Da heißt es: Resultat, Institut, Prinzip, Differenz. Existenz, Kon¬
flikt, Konnexität, Humanität, Nativität, Singularität (für Besonderheit), Zessi-
bilität, Fungibilität, Reminiszenz, Konvaleszenz (für Wirksnmwerdung), Krite¬
rium, Essentiale, Fundament, Snbstantiirnng, Regirung, Regulirung, Formu-
lirung, Privatautonomie (deutsch: Selbstbestimmung, 2, 425), Kontrakt und


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0246" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/214038"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_802" prev="#ID_801"> französisch und halb deutsch Pangsjohn ausgesprochen!), Dispensation,<lb/>
Honorar, Bilanz. Man berufe sich nicht ans etwaige Notwendigkeit des<lb/>
Einklangs mit bestehenden Gesetzein Wenn man bei einer solchen Neuschöpfung<lb/>
nicht neue Bahnen betreten dürfte &#x2014; wann sonst?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_803"> Doch wie gesagt &#x2014; in der Fremdwvrterfrage sind wir den Verfassern<lb/>
des Entwurfs Anerkennung schuldig. Des Entwurfs! Aber den Verfassern<lb/>
der &#x201E;Motive"?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_804"> Mit der rechten Hand schreibe» sie den deutschen Ausdruck in das Gesetz,<lb/>
und mit der linken bieten sie uns die Begründung dar, in der sich das ganze<lb/>
Kauzleikauderwelsch wohlverwahrt wiederfindet. Das Buch ist deutsch; blickt<lb/>
man aber in die Werkstatt, wo es hergestellt worden ist, und wo mau sich über<lb/>
das Warum und Wozu der Bestimmungen unterrichten will, so findet man<lb/>
allerorten, vor allem in der Abteilung &#x201E;Recht der Schuldverhältnisse," aus¬<lb/>
ländisches. Es ist wie bei gewisse» Wareuläden: im Schaufenster alles schön<lb/>
und gut, im Laden selbst aber vielfach alte Ladenhüter.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_805"> Wohlgemerkt: äußerlich, in der Sprache. Denn den innern Gehalt dieses<lb/>
4144 Seiten betragenden VegründungSwerks kann man nnr mit Bewunderung<lb/>
betrachten; und wer nicht, wie Gierke und Dahn, den Wert eines deutschen<lb/>
Gesetzgebungswerks »ach der deutsch-nationalen Gestaltung und Entwicklung<lb/>
bemißt, den muß dieses Werk, worin sich eine Fülle juristischer Weisheit nieder¬<lb/>
gelegt findet, mit Freude und mit Stolz auf solche deutsche Geistesarbeit er¬<lb/>
füllen.  Um so größer das Bedauern über die unebenbürtige Sprache.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_806"> Schon daß man das Werk mit der ausländische» und nicht nur entbehr-<lb/>
lichen, souderu begrifflich unzutreffender Überschrift ,.Motive" versehen hat, ist<lb/>
bedauerlich. Motive heißt: Beweggründe; aber nicht bloß um diese handelt<lb/>
es sich, sondern um die vollständige Begründung. Der Unterschied liegt<lb/>
auf der Hand. So ist z. B. der Beweggrund für die Festhaltung des Grund¬<lb/>
satzes ,,Kauf bricht Miete" der, daß man die freie wirtschaftliche Ausnutzung<lb/>
des Grundeigentums höher stellt, als die Nnshaltnng eines persönlichen Ver¬<lb/>
trags über das Grundstück. Das ist aber noch keine Begründung der Nichtig¬<lb/>
keit dieser Höherstellnng.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_807" next="#ID_808"> Nun zur Sprache der &#x201E;Motive" selbst! Da wimmelt es von Definition,<lb/>
Intention, Interpretation, Fiktion. Modifikation; von Exhibition, Restitution,<lb/>
Emanation, Tradition, Nogativn, Surrogation, Novation, Delation, Succession,<lb/>
Desertion, Oblation, Recession, Exkulpatiou, Präklusion, Sequestration, Kon¬<lb/>
zession, Liquidation, Argumentation. Auch das schöne Wort Struktiou findet<lb/>
sich vor. Da heißt es: Resultat, Institut, Prinzip, Differenz. Existenz, Kon¬<lb/>
flikt, Konnexität, Humanität, Nativität, Singularität (für Besonderheit), Zessi-<lb/>
bilität, Fungibilität, Reminiszenz, Konvaleszenz (für Wirksnmwerdung), Krite¬<lb/>
rium, Essentiale, Fundament, Snbstantiirnng, Regirung, Regulirung, Formu-<lb/>
lirung, Privatautonomie (deutsch: Selbstbestimmung, 2, 425), Kontrakt und</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0246] französisch und halb deutsch Pangsjohn ausgesprochen!), Dispensation, Honorar, Bilanz. Man berufe sich nicht ans etwaige Notwendigkeit des Einklangs mit bestehenden Gesetzein Wenn man bei einer solchen Neuschöpfung nicht neue Bahnen betreten dürfte — wann sonst? Doch wie gesagt — in der Fremdwvrterfrage sind wir den Verfassern des Entwurfs Anerkennung schuldig. Des Entwurfs! Aber den Verfassern der „Motive"? Mit der rechten Hand schreibe» sie den deutschen Ausdruck in das Gesetz, und mit der linken bieten sie uns die Begründung dar, in der sich das ganze Kauzleikauderwelsch wohlverwahrt wiederfindet. Das Buch ist deutsch; blickt man aber in die Werkstatt, wo es hergestellt worden ist, und wo mau sich über das Warum und Wozu der Bestimmungen unterrichten will, so findet man allerorten, vor allem in der Abteilung „Recht der Schuldverhältnisse," aus¬ ländisches. Es ist wie bei gewisse» Wareuläden: im Schaufenster alles schön und gut, im Laden selbst aber vielfach alte Ladenhüter. Wohlgemerkt: äußerlich, in der Sprache. Denn den innern Gehalt dieses 4144 Seiten betragenden VegründungSwerks kann man nnr mit Bewunderung betrachten; und wer nicht, wie Gierke und Dahn, den Wert eines deutschen Gesetzgebungswerks »ach der deutsch-nationalen Gestaltung und Entwicklung bemißt, den muß dieses Werk, worin sich eine Fülle juristischer Weisheit nieder¬ gelegt findet, mit Freude und mit Stolz auf solche deutsche Geistesarbeit er¬ füllen. Um so größer das Bedauern über die unebenbürtige Sprache. Schon daß man das Werk mit der ausländische» und nicht nur entbehr- lichen, souderu begrifflich unzutreffender Überschrift ,.Motive" versehen hat, ist bedauerlich. Motive heißt: Beweggründe; aber nicht bloß um diese handelt es sich, sondern um die vollständige Begründung. Der Unterschied liegt auf der Hand. So ist z. B. der Beweggrund für die Festhaltung des Grund¬ satzes ,,Kauf bricht Miete" der, daß man die freie wirtschaftliche Ausnutzung des Grundeigentums höher stellt, als die Nnshaltnng eines persönlichen Ver¬ trags über das Grundstück. Das ist aber noch keine Begründung der Nichtig¬ keit dieser Höherstellnng. Nun zur Sprache der „Motive" selbst! Da wimmelt es von Definition, Intention, Interpretation, Fiktion. Modifikation; von Exhibition, Restitution, Emanation, Tradition, Nogativn, Surrogation, Novation, Delation, Succession, Desertion, Oblation, Recession, Exkulpatiou, Präklusion, Sequestration, Kon¬ zession, Liquidation, Argumentation. Auch das schöne Wort Struktiou findet sich vor. Da heißt es: Resultat, Institut, Prinzip, Differenz. Existenz, Kon¬ flikt, Konnexität, Humanität, Nativität, Singularität (für Besonderheit), Zessi- bilität, Fungibilität, Reminiszenz, Konvaleszenz (für Wirksnmwerdung), Krite¬ rium, Essentiale, Fundament, Snbstantiirnng, Regirung, Regulirung, Formu- lirung, Privatautonomie (deutsch: Selbstbestimmung, 2, 425), Kontrakt und

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/246
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/246>, abgerufen am 06.06.2024.