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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Die Sprache des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuchs

Deal das Beispiel ist ein gewaltiger Hebel. Wie die Sache jetzt liegt, werden
sie denken: Wenn ich so spreche und schreibe, wie die Verfasser des Gesetzbuchs
in der Werkstätte gesprochen und geschrieben haben, so ist mein Deutsch gut genug.

Ich habe den Ausspruch des Professor Uhrig erwähnt, die Sprachreinigung
sei im Entwürfe bis an die Grenze des Lächerlichen getrieben. Ich hoffe und
behaupte, es wird eine Zeit kommen, wo jedermann vielmehr das Deutsch der
"Motive" mit Verwundrung ansehen wird. Die Zeiten ändern sich. Es gab
eine Zeit, wo sich niemand wunderte, wenn ein Gelehrter -- wie Friedrich
Schlegel") -- schrieb: "Die Epideixis der Universalität und der Synfonisnms
der Fragmente würde durch die reale Abstrakzion und praktische Kritik des
Ganzen in beiden Stücken eine formale Destrukziou erleiden." Sollte es heute
noch jemand geben, der eine solche Meugerei nicht lächerlich fände?

Zum Schluß uoch einmal zurück zum Entwürfe. Die Belegstellen, die
ich sür die verschiednen Arten seiner Sprachmängel angeführt habe, sind nur
Beispiele; es finden sich deren von jeder Art weit mehr. Dennoch stehe ich
nicht an, zu behaupten, das; die bittern Tadelsworte der im Eingange ge¬
nannten Rechtslehrer starke Übertreibungen enthalten. Es ist wahr: die Sprache
des Entwurfs leidet hie und da an Ängstlichkeit und Umständlichkeit, und der
Entwurf hat zwei starke Mängel: er ist nicht frei von Juristendeutsch und
Zeitungsdeutsch. Aber seine Mängel sind doch nur Auswüchse. Nicht das
Ganze ist verfehlt und unbrauchbar. Es kaun uicht entfernt davon die Rede
sein, daß "es gelungen sei, die Fassung dem Sprach- und Denkgebrauch mög¬
lichst fern zu rücken," daß "der Jurist erst nach vielen Mühen den Sinn zu
enträseln vermöge," daß "man dein Volke die Thore zum Verständnis der
Rechtsordnung planmäßig verriegelt habe." Werden die Auswüchse beseitigt,
so wird sich das deutsche Volk wie über den Inhalt, so auch über die Sprache
nicht zu beklagen haben.

Andrerseits ist die Sache damit uicht erschöpft. Ich habe hier nur die
grober" Mängel zeichnen können. Für eine Darlegung der feinern fehlt hier
der Raum; man müßte, wie es Bähr und Nocholl für das Juristische
gethan haben, einen selbständigen Gegenentwurf aufstellen. Aber daß in
Beziehung auf Feinheiten der Satzbildung und der Wortstellung, auf Wohl¬
klang, Abrundung und Flüssigkeit der Sprache -- trotz der Enge der oben
bezeichneten Grenzen -- noch viele Wünsche übrig bleiben, das wird jeder zu¬
geben müssen, der einen Begriff hat von der Hoheit und Schönheit, von der
Tiefe, dem Reichtum und der Biegsamkeit unsrer Muttersprache.

Möge es den jetzt berufnen Männern gelingen, auch in der Sprache ein
Werk zu schaffen, von dem man sagen kann: Die deutsche Geistesarbeit ist
groß bis ins kleinste!



*) In einem Briefe an seinen Bruder August WUHelm,
Die Sprache des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuchs

Deal das Beispiel ist ein gewaltiger Hebel. Wie die Sache jetzt liegt, werden
sie denken: Wenn ich so spreche und schreibe, wie die Verfasser des Gesetzbuchs
in der Werkstätte gesprochen und geschrieben haben, so ist mein Deutsch gut genug.

Ich habe den Ausspruch des Professor Uhrig erwähnt, die Sprachreinigung
sei im Entwürfe bis an die Grenze des Lächerlichen getrieben. Ich hoffe und
behaupte, es wird eine Zeit kommen, wo jedermann vielmehr das Deutsch der
„Motive" mit Verwundrung ansehen wird. Die Zeiten ändern sich. Es gab
eine Zeit, wo sich niemand wunderte, wenn ein Gelehrter — wie Friedrich
Schlegel") — schrieb: „Die Epideixis der Universalität und der Synfonisnms
der Fragmente würde durch die reale Abstrakzion und praktische Kritik des
Ganzen in beiden Stücken eine formale Destrukziou erleiden." Sollte es heute
noch jemand geben, der eine solche Meugerei nicht lächerlich fände?

Zum Schluß uoch einmal zurück zum Entwürfe. Die Belegstellen, die
ich sür die verschiednen Arten seiner Sprachmängel angeführt habe, sind nur
Beispiele; es finden sich deren von jeder Art weit mehr. Dennoch stehe ich
nicht an, zu behaupten, das; die bittern Tadelsworte der im Eingange ge¬
nannten Rechtslehrer starke Übertreibungen enthalten. Es ist wahr: die Sprache
des Entwurfs leidet hie und da an Ängstlichkeit und Umständlichkeit, und der
Entwurf hat zwei starke Mängel: er ist nicht frei von Juristendeutsch und
Zeitungsdeutsch. Aber seine Mängel sind doch nur Auswüchse. Nicht das
Ganze ist verfehlt und unbrauchbar. Es kaun uicht entfernt davon die Rede
sein, daß „es gelungen sei, die Fassung dem Sprach- und Denkgebrauch mög¬
lichst fern zu rücken," daß „der Jurist erst nach vielen Mühen den Sinn zu
enträseln vermöge," daß „man dein Volke die Thore zum Verständnis der
Rechtsordnung planmäßig verriegelt habe." Werden die Auswüchse beseitigt,
so wird sich das deutsche Volk wie über den Inhalt, so auch über die Sprache
nicht zu beklagen haben.

Andrerseits ist die Sache damit uicht erschöpft. Ich habe hier nur die
grober» Mängel zeichnen können. Für eine Darlegung der feinern fehlt hier
der Raum; man müßte, wie es Bähr und Nocholl für das Juristische
gethan haben, einen selbständigen Gegenentwurf aufstellen. Aber daß in
Beziehung auf Feinheiten der Satzbildung und der Wortstellung, auf Wohl¬
klang, Abrundung und Flüssigkeit der Sprache — trotz der Enge der oben
bezeichneten Grenzen — noch viele Wünsche übrig bleiben, das wird jeder zu¬
geben müssen, der einen Begriff hat von der Hoheit und Schönheit, von der
Tiefe, dem Reichtum und der Biegsamkeit unsrer Muttersprache.

Möge es den jetzt berufnen Männern gelingen, auch in der Sprache ein
Werk zu schaffen, von dem man sagen kann: Die deutsche Geistesarbeit ist
groß bis ins kleinste!



*) In einem Briefe an seinen Bruder August WUHelm,
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[0248] Die Sprache des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuchs Deal das Beispiel ist ein gewaltiger Hebel. Wie die Sache jetzt liegt, werden sie denken: Wenn ich so spreche und schreibe, wie die Verfasser des Gesetzbuchs in der Werkstätte gesprochen und geschrieben haben, so ist mein Deutsch gut genug. Ich habe den Ausspruch des Professor Uhrig erwähnt, die Sprachreinigung sei im Entwürfe bis an die Grenze des Lächerlichen getrieben. Ich hoffe und behaupte, es wird eine Zeit kommen, wo jedermann vielmehr das Deutsch der „Motive" mit Verwundrung ansehen wird. Die Zeiten ändern sich. Es gab eine Zeit, wo sich niemand wunderte, wenn ein Gelehrter — wie Friedrich Schlegel") — schrieb: „Die Epideixis der Universalität und der Synfonisnms der Fragmente würde durch die reale Abstrakzion und praktische Kritik des Ganzen in beiden Stücken eine formale Destrukziou erleiden." Sollte es heute noch jemand geben, der eine solche Meugerei nicht lächerlich fände? Zum Schluß uoch einmal zurück zum Entwürfe. Die Belegstellen, die ich sür die verschiednen Arten seiner Sprachmängel angeführt habe, sind nur Beispiele; es finden sich deren von jeder Art weit mehr. Dennoch stehe ich nicht an, zu behaupten, das; die bittern Tadelsworte der im Eingange ge¬ nannten Rechtslehrer starke Übertreibungen enthalten. Es ist wahr: die Sprache des Entwurfs leidet hie und da an Ängstlichkeit und Umständlichkeit, und der Entwurf hat zwei starke Mängel: er ist nicht frei von Juristendeutsch und Zeitungsdeutsch. Aber seine Mängel sind doch nur Auswüchse. Nicht das Ganze ist verfehlt und unbrauchbar. Es kaun uicht entfernt davon die Rede sein, daß „es gelungen sei, die Fassung dem Sprach- und Denkgebrauch mög¬ lichst fern zu rücken," daß „der Jurist erst nach vielen Mühen den Sinn zu enträseln vermöge," daß „man dein Volke die Thore zum Verständnis der Rechtsordnung planmäßig verriegelt habe." Werden die Auswüchse beseitigt, so wird sich das deutsche Volk wie über den Inhalt, so auch über die Sprache nicht zu beklagen haben. Andrerseits ist die Sache damit uicht erschöpft. Ich habe hier nur die grober» Mängel zeichnen können. Für eine Darlegung der feinern fehlt hier der Raum; man müßte, wie es Bähr und Nocholl für das Juristische gethan haben, einen selbständigen Gegenentwurf aufstellen. Aber daß in Beziehung auf Feinheiten der Satzbildung und der Wortstellung, auf Wohl¬ klang, Abrundung und Flüssigkeit der Sprache — trotz der Enge der oben bezeichneten Grenzen — noch viele Wünsche übrig bleiben, das wird jeder zu¬ geben müssen, der einen Begriff hat von der Hoheit und Schönheit, von der Tiefe, dem Reichtum und der Biegsamkeit unsrer Muttersprache. Möge es den jetzt berufnen Männern gelingen, auch in der Sprache ein Werk zu schaffen, von dem man sagen kann: Die deutsche Geistesarbeit ist groß bis ins kleinste! *) In einem Briefe an seinen Bruder August WUHelm,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/248>, abgerufen am 13.05.2024.