Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Geschichte von einem, der nichts durfte

mutig. Für Ihr Anerbieten danke ich Ihnen, Herr PostHalter; es kommt aber
ein Wagen vom Gute des Barons, der die sterbliche Hülle des Grasen in das
Erbbegräbnis sährt. Sie brauchen sich also nicht zu bemühen!

Dann machte sie eine entlassende Handbewegung, der PostHalter aber
rührte sich nicht. Dn hatte mein Krischan doch Recht. Er sagt zu mich, passen
Sie man auf, wenn uns ohl Graf dod is, denn darf er nich auf unsern Leichen¬
wagen fahren. Allens, was er in sein Leben gewollt hat, das hat er nich
gedurft. So sagt mein Krischan, und ich seh, daß er Ihnen gut beurteilt hat.
Mit den Erbbegräbnis is mich das nu einerlei. Vor meinswegen kann der
Graf in son alt muchelige") Kapelle kommen, denn wenn der Mensch tot is,
denn is ihn das einerlei, wo er zu liegen kommt. Abers wenn ich Ihnen
wär, Fru Gräfin, denn legt ich ihm hier aufn Kirchhof, mitten zwischen die
andern Menschen. Da scheint die Sonne, und da singen die Vögelns, und
Krischnn und ich kommen da später doch auch hin. Und ich glaub, in sein
irdischen Leben is er doch um liebsten bei uns in die Wagenremise gewesen.
Abers wie ich vordem sagte, wenn Sie ein Platz für ihn in son alt Erb¬
begräbnis haben, denn will ich Sie da nich in stören. Krischan und ich, wir
wullen ihm abers fahren, wie weit es auch is, das haben wir ihn versprochen,
zu oft und zu oft, da kann ich nich von abgehen. Und wenn Sie mich Sper-
renzien machen, Fru Gräfin, deun komme ich mit die Rechnungen von all
Ihr Spazierenfahrten, wo Sie mir nie und uümmer bezahlt haben und doch
so großartig thun, als müßt das so sein. Und den Herrn Baron Schliessen
kenn ich auch. Der hat was anders zu thun, als Ihre Schuldens zu bezahlen
und mag das Geld lieber in seine Tasche stecken, als in andere Leute ihr.
Und heute Nachmittag krieg ich Bescheid!

Die Frau Gräfin soll eine Zeit lang ohnmächtig gewesen sein nach dieser
Rede. Der Posthalter aber und sein Krischan bekamen ihren Willen. Sie
durften nicht allein den Grafen mit dem schönen Leichenwagen zur letzten Ruhe¬
stätte fahren, diese befand sich auch auf dem Kirchhofe der kleinen Stadt. Es
stellte sich nämlich heraus, daß im Schlieffenschen Erbbegräbnis nur noch ein
einziger Platz für einen Verwandten frei war. Da beschloß die Gräfin, diesen
Platz doch lieber für sich zu behalten und ihren Gatten in der gemischten
Gesellschaft zu lassen, in der er sich die letzten Jahre seines Lebens so wohl
befunden hatte.

So ist es gekommen, daß über dem Grabe des Grafen dieselben Vögel
singen, wie über dem Grabe Krischans. Beide Grabstätten liegen nahe zu¬
sammen, und beide sind sehr verwildert. Denn der PostHalter, der für beide
sorgte, ist nun auch schon in jenes Land hinübergegangen, wo selbst ein Graf
thun darf, was er will.





*) modrig.
Die Geschichte von einem, der nichts durfte

mutig. Für Ihr Anerbieten danke ich Ihnen, Herr PostHalter; es kommt aber
ein Wagen vom Gute des Barons, der die sterbliche Hülle des Grasen in das
Erbbegräbnis sährt. Sie brauchen sich also nicht zu bemühen!

Dann machte sie eine entlassende Handbewegung, der PostHalter aber
rührte sich nicht. Dn hatte mein Krischan doch Recht. Er sagt zu mich, passen
Sie man auf, wenn uns ohl Graf dod is, denn darf er nich auf unsern Leichen¬
wagen fahren. Allens, was er in sein Leben gewollt hat, das hat er nich
gedurft. So sagt mein Krischan, und ich seh, daß er Ihnen gut beurteilt hat.
Mit den Erbbegräbnis is mich das nu einerlei. Vor meinswegen kann der
Graf in son alt muchelige") Kapelle kommen, denn wenn der Mensch tot is,
denn is ihn das einerlei, wo er zu liegen kommt. Abers wenn ich Ihnen
wär, Fru Gräfin, denn legt ich ihm hier aufn Kirchhof, mitten zwischen die
andern Menschen. Da scheint die Sonne, und da singen die Vögelns, und
Krischnn und ich kommen da später doch auch hin. Und ich glaub, in sein
irdischen Leben is er doch um liebsten bei uns in die Wagenremise gewesen.
Abers wie ich vordem sagte, wenn Sie ein Platz für ihn in son alt Erb¬
begräbnis haben, denn will ich Sie da nich in stören. Krischan und ich, wir
wullen ihm abers fahren, wie weit es auch is, das haben wir ihn versprochen,
zu oft und zu oft, da kann ich nich von abgehen. Und wenn Sie mich Sper-
renzien machen, Fru Gräfin, deun komme ich mit die Rechnungen von all
Ihr Spazierenfahrten, wo Sie mir nie und uümmer bezahlt haben und doch
so großartig thun, als müßt das so sein. Und den Herrn Baron Schliessen
kenn ich auch. Der hat was anders zu thun, als Ihre Schuldens zu bezahlen
und mag das Geld lieber in seine Tasche stecken, als in andere Leute ihr.
Und heute Nachmittag krieg ich Bescheid!

Die Frau Gräfin soll eine Zeit lang ohnmächtig gewesen sein nach dieser
Rede. Der Posthalter aber und sein Krischan bekamen ihren Willen. Sie
durften nicht allein den Grafen mit dem schönen Leichenwagen zur letzten Ruhe¬
stätte fahren, diese befand sich auch auf dem Kirchhofe der kleinen Stadt. Es
stellte sich nämlich heraus, daß im Schlieffenschen Erbbegräbnis nur noch ein
einziger Platz für einen Verwandten frei war. Da beschloß die Gräfin, diesen
Platz doch lieber für sich zu behalten und ihren Gatten in der gemischten
Gesellschaft zu lassen, in der er sich die letzten Jahre seines Lebens so wohl
befunden hatte.

So ist es gekommen, daß über dem Grabe des Grafen dieselben Vögel
singen, wie über dem Grabe Krischans. Beide Grabstätten liegen nahe zu¬
sammen, und beide sind sehr verwildert. Denn der PostHalter, der für beide
sorgte, ist nun auch schon in jenes Land hinübergegangen, wo selbst ein Graf
thun darf, was er will.





*) modrig.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0264" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/214056"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Geschichte von einem, der nichts durfte</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_921" prev="#ID_920"> mutig. Für Ihr Anerbieten danke ich Ihnen, Herr PostHalter; es kommt aber<lb/>
ein Wagen vom Gute des Barons, der die sterbliche Hülle des Grasen in das<lb/>
Erbbegräbnis sährt.  Sie brauchen sich also nicht zu bemühen!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_922"> Dann machte sie eine entlassende Handbewegung, der PostHalter aber<lb/>
rührte sich nicht. Dn hatte mein Krischan doch Recht. Er sagt zu mich, passen<lb/>
Sie man auf, wenn uns ohl Graf dod is, denn darf er nich auf unsern Leichen¬<lb/>
wagen fahren. Allens, was er in sein Leben gewollt hat, das hat er nich<lb/>
gedurft. So sagt mein Krischan, und ich seh, daß er Ihnen gut beurteilt hat.<lb/>
Mit den Erbbegräbnis is mich das nu einerlei. Vor meinswegen kann der<lb/>
Graf in son alt muchelige") Kapelle kommen, denn wenn der Mensch tot is,<lb/>
denn is ihn das einerlei, wo er zu liegen kommt. Abers wenn ich Ihnen<lb/>
wär, Fru Gräfin, denn legt ich ihm hier aufn Kirchhof, mitten zwischen die<lb/>
andern Menschen. Da scheint die Sonne, und da singen die Vögelns, und<lb/>
Krischnn und ich kommen da später doch auch hin. Und ich glaub, in sein<lb/>
irdischen Leben is er doch um liebsten bei uns in die Wagenremise gewesen.<lb/>
Abers wie ich vordem sagte, wenn Sie ein Platz für ihn in son alt Erb¬<lb/>
begräbnis haben, denn will ich Sie da nich in stören. Krischan und ich, wir<lb/>
wullen ihm abers fahren, wie weit es auch is, das haben wir ihn versprochen,<lb/>
zu oft und zu oft, da kann ich nich von abgehen. Und wenn Sie mich Sper-<lb/>
renzien machen, Fru Gräfin, deun komme ich mit die Rechnungen von all<lb/>
Ihr Spazierenfahrten, wo Sie mir nie und uümmer bezahlt haben und doch<lb/>
so großartig thun, als müßt das so sein. Und den Herrn Baron Schliessen<lb/>
kenn ich auch. Der hat was anders zu thun, als Ihre Schuldens zu bezahlen<lb/>
und mag das Geld lieber in seine Tasche stecken, als in andere Leute ihr.<lb/>
Und heute Nachmittag krieg ich Bescheid!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_923"> Die Frau Gräfin soll eine Zeit lang ohnmächtig gewesen sein nach dieser<lb/>
Rede. Der Posthalter aber und sein Krischan bekamen ihren Willen. Sie<lb/>
durften nicht allein den Grafen mit dem schönen Leichenwagen zur letzten Ruhe¬<lb/>
stätte fahren, diese befand sich auch auf dem Kirchhofe der kleinen Stadt. Es<lb/>
stellte sich nämlich heraus, daß im Schlieffenschen Erbbegräbnis nur noch ein<lb/>
einziger Platz für einen Verwandten frei war. Da beschloß die Gräfin, diesen<lb/>
Platz doch lieber für sich zu behalten und ihren Gatten in der gemischten<lb/>
Gesellschaft zu lassen, in der er sich die letzten Jahre seines Lebens so wohl<lb/>
befunden hatte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_924"> So ist es gekommen, daß über dem Grabe des Grafen dieselben Vögel<lb/>
singen, wie über dem Grabe Krischans. Beide Grabstätten liegen nahe zu¬<lb/>
sammen, und beide sind sehr verwildert. Denn der PostHalter, der für beide<lb/>
sorgte, ist nun auch schon in jenes Land hinübergegangen, wo selbst ein Graf<lb/>
thun darf, was er will.</p><lb/>
          <note xml:id="FID_22" place="foot"> *) modrig.</note><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0264] Die Geschichte von einem, der nichts durfte mutig. Für Ihr Anerbieten danke ich Ihnen, Herr PostHalter; es kommt aber ein Wagen vom Gute des Barons, der die sterbliche Hülle des Grasen in das Erbbegräbnis sährt. Sie brauchen sich also nicht zu bemühen! Dann machte sie eine entlassende Handbewegung, der PostHalter aber rührte sich nicht. Dn hatte mein Krischan doch Recht. Er sagt zu mich, passen Sie man auf, wenn uns ohl Graf dod is, denn darf er nich auf unsern Leichen¬ wagen fahren. Allens, was er in sein Leben gewollt hat, das hat er nich gedurft. So sagt mein Krischan, und ich seh, daß er Ihnen gut beurteilt hat. Mit den Erbbegräbnis is mich das nu einerlei. Vor meinswegen kann der Graf in son alt muchelige") Kapelle kommen, denn wenn der Mensch tot is, denn is ihn das einerlei, wo er zu liegen kommt. Abers wenn ich Ihnen wär, Fru Gräfin, denn legt ich ihm hier aufn Kirchhof, mitten zwischen die andern Menschen. Da scheint die Sonne, und da singen die Vögelns, und Krischnn und ich kommen da später doch auch hin. Und ich glaub, in sein irdischen Leben is er doch um liebsten bei uns in die Wagenremise gewesen. Abers wie ich vordem sagte, wenn Sie ein Platz für ihn in son alt Erb¬ begräbnis haben, denn will ich Sie da nich in stören. Krischan und ich, wir wullen ihm abers fahren, wie weit es auch is, das haben wir ihn versprochen, zu oft und zu oft, da kann ich nich von abgehen. Und wenn Sie mich Sper- renzien machen, Fru Gräfin, deun komme ich mit die Rechnungen von all Ihr Spazierenfahrten, wo Sie mir nie und uümmer bezahlt haben und doch so großartig thun, als müßt das so sein. Und den Herrn Baron Schliessen kenn ich auch. Der hat was anders zu thun, als Ihre Schuldens zu bezahlen und mag das Geld lieber in seine Tasche stecken, als in andere Leute ihr. Und heute Nachmittag krieg ich Bescheid! Die Frau Gräfin soll eine Zeit lang ohnmächtig gewesen sein nach dieser Rede. Der Posthalter aber und sein Krischan bekamen ihren Willen. Sie durften nicht allein den Grafen mit dem schönen Leichenwagen zur letzten Ruhe¬ stätte fahren, diese befand sich auch auf dem Kirchhofe der kleinen Stadt. Es stellte sich nämlich heraus, daß im Schlieffenschen Erbbegräbnis nur noch ein einziger Platz für einen Verwandten frei war. Da beschloß die Gräfin, diesen Platz doch lieber für sich zu behalten und ihren Gatten in der gemischten Gesellschaft zu lassen, in der er sich die letzten Jahre seines Lebens so wohl befunden hatte. So ist es gekommen, daß über dem Grabe des Grafen dieselben Vögel singen, wie über dem Grabe Krischans. Beide Grabstätten liegen nahe zu¬ sammen, und beide sind sehr verwildert. Denn der PostHalter, der für beide sorgte, ist nun auch schon in jenes Land hinübergegangen, wo selbst ein Graf thun darf, was er will. *) modrig.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/264
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/264>, abgerufen am 16.06.2024.