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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Verwalter, wie nur später mitgeteilt wurde, einen begeisterten Bericht von
meinem musterhaften Lebenswandel und meinem Fleiße gegeben. "Der kommt
stets vor Mitternacht heim, morgens sitzt er schon um acht bei seinen Büchern,
also zu einer Zeit, wo sich meine andern Gäste eben erst schlafen gelegt haben.
ES ist zwar unangenehm, daß der Herr seine Zimmer schon um zwölf in
Ordnung sehen will, aber es wird nach seinem Wunsche gehandelt."

Um die Erlaubnis zum Besuche einiger nicht öffentlichen Kollegien an
der Sorbonne zu erhalten, machte ich bei zwei Professoren Besuche, andern
stellte ich mich im Sprechzimmer der Universität vor -- überall sand ich nicht
nur bereitwilliges, sondern wirklich liebenswürdiges Entgegenkommen. Und
dies Entgegenkommen galt nicht etwa meiner Person -- es wäre lächerliche
Eitelkeit, das anzunehmen --, sondern lediglich dem deutschen Kollegen, der
im Interesse der Wissenschaft nach Paris gekommen war.

In einer Vorlesung über vergleichende Sprachwissenschaft, die ich im
(vollÜAv av I'mnov hörte, wurde die deutsche Forschung in einer Weise an¬
erkannt, wurden die Leistungen von Männern wie Bopp, Schleicher, Curtius u.a.
mit einer Verehrung besprochen, die jeden Deutschen mit Stolz erfüllen mußte.
Wir pflegen die französischen Studenten zu den hervorragendsten Trägern der
Revancheideen, zu den erbittertsten und verblendetsten Feinden des Deutschtums
zu rechnen; wenn wir auch dnriu Recht haben, so muß mau doch um so mehr
Achtung hegen vor einer so vorurteilsfreien, gerechte" Würdigung deutscher
Leistungen, wie sie mir da entgegentrat.

Natürlich wurde ich durch solche Erfolge kühner. Ich wandte mich an
den lisewur as 1'IIniv<zr8no ä<z Kranes, der unmittelbar unter dem Unter-
richtsminister steht und das höhere Schulwesen Frankreichs leitet, um die Er¬
laubnis zu erhalten, an einzelnen Schulen dem Unterrichte beizuwohnen. Auch
das wurde mir sofort gewährt, obwohl man mir weder in Deutschland noch
in Frankreich irgend welche Hoffnung auf Erfüllung dieses Wunsches gemacht
hatte. Ich wurde ersucht, selbst die Anstalten zu nennen, wo ich hospitiren
wollte, und dort bin ich dann nicht nur von den Leitern und Leiterinnen,
sondern auch von den Lehrern und Lehrerinnen in meiner Bemühung, in der
kurzen Zeit möglichst viel vom Pariser Schulwesen kennen zu lernen, aufs
entgegenkommendste unterstützt worden. "Der Herr ist ein Deutscher, der unsre
Schulen studirt," sagte gewöhnlich der Direktor zu dem Lehrer, in dessen Klasse
wir eintraten; "haben Sie die Güte, ihm jede in Ihrer Macht stehende Ge¬
fälligkeit zu erweisen." Und das geschah. Das Interesse, das ich zeigte,
schien die Lehrer immer freundlicher zu stimmen, in den Pansen wurden mir
ganze Stöße von Probearbeiten, Zeichnungen, Handarbeiten u. s. w. vorgelegt,
jeder nur angedeutete Wunsch wurde erfüllt.

Ich habe auch in keiner der von mir besuchten Anstalten Lehrbücher zu
Gesicht bekommen, die etwa Haß gegen Deutschland predigten, dagegen sehr viele,


Verwalter, wie nur später mitgeteilt wurde, einen begeisterten Bericht von
meinem musterhaften Lebenswandel und meinem Fleiße gegeben. „Der kommt
stets vor Mitternacht heim, morgens sitzt er schon um acht bei seinen Büchern,
also zu einer Zeit, wo sich meine andern Gäste eben erst schlafen gelegt haben.
ES ist zwar unangenehm, daß der Herr seine Zimmer schon um zwölf in
Ordnung sehen will, aber es wird nach seinem Wunsche gehandelt."

Um die Erlaubnis zum Besuche einiger nicht öffentlichen Kollegien an
der Sorbonne zu erhalten, machte ich bei zwei Professoren Besuche, andern
stellte ich mich im Sprechzimmer der Universität vor — überall sand ich nicht
nur bereitwilliges, sondern wirklich liebenswürdiges Entgegenkommen. Und
dies Entgegenkommen galt nicht etwa meiner Person — es wäre lächerliche
Eitelkeit, das anzunehmen —, sondern lediglich dem deutschen Kollegen, der
im Interesse der Wissenschaft nach Paris gekommen war.

In einer Vorlesung über vergleichende Sprachwissenschaft, die ich im
(vollÜAv av I'mnov hörte, wurde die deutsche Forschung in einer Weise an¬
erkannt, wurden die Leistungen von Männern wie Bopp, Schleicher, Curtius u.a.
mit einer Verehrung besprochen, die jeden Deutschen mit Stolz erfüllen mußte.
Wir pflegen die französischen Studenten zu den hervorragendsten Trägern der
Revancheideen, zu den erbittertsten und verblendetsten Feinden des Deutschtums
zu rechnen; wenn wir auch dnriu Recht haben, so muß mau doch um so mehr
Achtung hegen vor einer so vorurteilsfreien, gerechte» Würdigung deutscher
Leistungen, wie sie mir da entgegentrat.

Natürlich wurde ich durch solche Erfolge kühner. Ich wandte mich an
den lisewur as 1'IIniv<zr8no ä<z Kranes, der unmittelbar unter dem Unter-
richtsminister steht und das höhere Schulwesen Frankreichs leitet, um die Er¬
laubnis zu erhalten, an einzelnen Schulen dem Unterrichte beizuwohnen. Auch
das wurde mir sofort gewährt, obwohl man mir weder in Deutschland noch
in Frankreich irgend welche Hoffnung auf Erfüllung dieses Wunsches gemacht
hatte. Ich wurde ersucht, selbst die Anstalten zu nennen, wo ich hospitiren
wollte, und dort bin ich dann nicht nur von den Leitern und Leiterinnen,
sondern auch von den Lehrern und Lehrerinnen in meiner Bemühung, in der
kurzen Zeit möglichst viel vom Pariser Schulwesen kennen zu lernen, aufs
entgegenkommendste unterstützt worden. „Der Herr ist ein Deutscher, der unsre
Schulen studirt," sagte gewöhnlich der Direktor zu dem Lehrer, in dessen Klasse
wir eintraten; „haben Sie die Güte, ihm jede in Ihrer Macht stehende Ge¬
fälligkeit zu erweisen." Und das geschah. Das Interesse, das ich zeigte,
schien die Lehrer immer freundlicher zu stimmen, in den Pansen wurden mir
ganze Stöße von Probearbeiten, Zeichnungen, Handarbeiten u. s. w. vorgelegt,
jeder nur angedeutete Wunsch wurde erfüllt.

Ich habe auch in keiner der von mir besuchten Anstalten Lehrbücher zu
Gesicht bekommen, die etwa Haß gegen Deutschland predigten, dagegen sehr viele,


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[0269] Verwalter, wie nur später mitgeteilt wurde, einen begeisterten Bericht von meinem musterhaften Lebenswandel und meinem Fleiße gegeben. „Der kommt stets vor Mitternacht heim, morgens sitzt er schon um acht bei seinen Büchern, also zu einer Zeit, wo sich meine andern Gäste eben erst schlafen gelegt haben. ES ist zwar unangenehm, daß der Herr seine Zimmer schon um zwölf in Ordnung sehen will, aber es wird nach seinem Wunsche gehandelt." Um die Erlaubnis zum Besuche einiger nicht öffentlichen Kollegien an der Sorbonne zu erhalten, machte ich bei zwei Professoren Besuche, andern stellte ich mich im Sprechzimmer der Universität vor — überall sand ich nicht nur bereitwilliges, sondern wirklich liebenswürdiges Entgegenkommen. Und dies Entgegenkommen galt nicht etwa meiner Person — es wäre lächerliche Eitelkeit, das anzunehmen —, sondern lediglich dem deutschen Kollegen, der im Interesse der Wissenschaft nach Paris gekommen war. In einer Vorlesung über vergleichende Sprachwissenschaft, die ich im (vollÜAv av I'mnov hörte, wurde die deutsche Forschung in einer Weise an¬ erkannt, wurden die Leistungen von Männern wie Bopp, Schleicher, Curtius u.a. mit einer Verehrung besprochen, die jeden Deutschen mit Stolz erfüllen mußte. Wir pflegen die französischen Studenten zu den hervorragendsten Trägern der Revancheideen, zu den erbittertsten und verblendetsten Feinden des Deutschtums zu rechnen; wenn wir auch dnriu Recht haben, so muß mau doch um so mehr Achtung hegen vor einer so vorurteilsfreien, gerechte» Würdigung deutscher Leistungen, wie sie mir da entgegentrat. Natürlich wurde ich durch solche Erfolge kühner. Ich wandte mich an den lisewur as 1'IIniv<zr8no ä<z Kranes, der unmittelbar unter dem Unter- richtsminister steht und das höhere Schulwesen Frankreichs leitet, um die Er¬ laubnis zu erhalten, an einzelnen Schulen dem Unterrichte beizuwohnen. Auch das wurde mir sofort gewährt, obwohl man mir weder in Deutschland noch in Frankreich irgend welche Hoffnung auf Erfüllung dieses Wunsches gemacht hatte. Ich wurde ersucht, selbst die Anstalten zu nennen, wo ich hospitiren wollte, und dort bin ich dann nicht nur von den Leitern und Leiterinnen, sondern auch von den Lehrern und Lehrerinnen in meiner Bemühung, in der kurzen Zeit möglichst viel vom Pariser Schulwesen kennen zu lernen, aufs entgegenkommendste unterstützt worden. „Der Herr ist ein Deutscher, der unsre Schulen studirt," sagte gewöhnlich der Direktor zu dem Lehrer, in dessen Klasse wir eintraten; „haben Sie die Güte, ihm jede in Ihrer Macht stehende Ge¬ fälligkeit zu erweisen." Und das geschah. Das Interesse, das ich zeigte, schien die Lehrer immer freundlicher zu stimmen, in den Pansen wurden mir ganze Stöße von Probearbeiten, Zeichnungen, Handarbeiten u. s. w. vorgelegt, jeder nur angedeutete Wunsch wurde erfüllt. Ich habe auch in keiner der von mir besuchten Anstalten Lehrbücher zu Gesicht bekommen, die etwa Haß gegen Deutschland predigten, dagegen sehr viele,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/269>, abgerufen am 16.06.2024.