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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Der Oentschenhaß bei unsern Nachbarn

die einen auffallenden Mangel an Liebe zum französischen Vaterlande, ja das
reine Weltbürgertum zur Schau trugen. Ich stelle damit natürlich nicht in
Abrede, daß auch chauvinistische Gesinnungen in französischen Schulbüchern ge¬
pflegt werden, unsre Zeitungen bringen ja bisweilen erstaunliche, wegen ihrer
Verdrehung geschichtlicher Thatsachen empörende Proben dieser Litteratur, aber
ich glaube, sie sind wenig verbreitet. Auch in den Buchhandlungen und Anti¬
quariate", die, wie jeder Besucher von Paris weiß, fast immer von Menschen
umlagert sind, habe ich nichts gesehen, was unser Nationalgefühl verletzen
könnte. In den großen Reklameräumeu der Redaktion des Figaro war unter
den Bildnissen der bedeutendsten Männer der Gegenwart Kaiser Wilhelm der
Zweite in einer großen, sehr guten Photographie vertreten, und in den Schau¬
fenstern der herrlichen Kuustläceu des Loulciv^ra ävs <Ä,puoiiuZ8 und der
ein<z ac la Z?g.ix habe ich mehrfach das bekannte Richtersche Bild der Königin
Luise ausgestellt gesehen.

Weder im Theater, uoch in den zahlreichen von mir besuchten religiösen,
politischen und sozialen Bersammlungen ist mir Deutschenhaß aufgefallen. Ich
will auch daran erinnern, wie nach einigen kläglichen Versuchen, die Auffüh-
rung der Wagnerschen Opern in Paris zu hintertreiben, die verschwindende
Minderheit der chauvinistischen Schreier der Mehrheit der anständigen Pariser
weichen mußte. Die anständigen Zeitungen haben auch rückhaltlos ihrer Ent¬
rüstung Ausdruck gegeben über das Betragen einiger frechen Lümmel der Kaiserin
Friedrich gegenüber. Daß es noch solche Schreier giebt, daß sie vorüber¬
gehend die öffentliche Meinung terrorisiren können, daß es Zeitungen und Zeit¬
schriften giebt, die den Haß gegen Deutschland nähren, daß sich bei einzelnen
Festlichkeiten, wie seiner Zeit in Nancy, eine schwache Regierung durch die
Duldung deutschfeindlicher Strömungen Kraft und Beliebtheit zu verschaffen
sucht, ist schuld daran, daß man bei uns annimmt, das: ^. Im" les ^UerrmmK!
sei in Frankreich für das Volk wie für die Regierung als allein giltiges
und alle Schwankungen der Politik überdauerndes Losungswort ausgegeben.
In Wahrheit sind das vereinzelte Erscheinungen, die zur Beurteilung der
öffentlichen Meinung eines ganzen Volkes sehr untauglich sind. Wenn wir
aus ihnen verallgemeinernde Schlüsse auf die Gesinnung des französischen
Volkes ziehen wollten, so wäre das gerade so, wie wenn wir aus Sigls Vater¬
land eine Preußen- und reichsfeindliche Stimmung der Baiern folgern wollten.
Das thut kein vernünftiger Mensch. Wir finden es erklärlich und vielleicht
sogar verzeihlich, daß man in einzelnen Kreisen Vaierns das Jahr 1866 noch
nicht ganz verwunden hat, wir ertragen die maßlosesten Angriffe der Tschechen
und Polen mit Gleichmut und Geduld, obwohl wir uns sagen müssen, daß
die deutschfeindliche Bewegung in den slawischen Provinzen Österreichs viel
stärker und, da Österreich unser Bundesgenosse ist, viel gefährlicher ist, als
die in Frankreich. Warum sehn wir es da als eine Beleidigung an, wenn


Der Oentschenhaß bei unsern Nachbarn

die einen auffallenden Mangel an Liebe zum französischen Vaterlande, ja das
reine Weltbürgertum zur Schau trugen. Ich stelle damit natürlich nicht in
Abrede, daß auch chauvinistische Gesinnungen in französischen Schulbüchern ge¬
pflegt werden, unsre Zeitungen bringen ja bisweilen erstaunliche, wegen ihrer
Verdrehung geschichtlicher Thatsachen empörende Proben dieser Litteratur, aber
ich glaube, sie sind wenig verbreitet. Auch in den Buchhandlungen und Anti¬
quariate», die, wie jeder Besucher von Paris weiß, fast immer von Menschen
umlagert sind, habe ich nichts gesehen, was unser Nationalgefühl verletzen
könnte. In den großen Reklameräumeu der Redaktion des Figaro war unter
den Bildnissen der bedeutendsten Männer der Gegenwart Kaiser Wilhelm der
Zweite in einer großen, sehr guten Photographie vertreten, und in den Schau¬
fenstern der herrlichen Kuustläceu des Loulciv^ra ävs <Ä,puoiiuZ8 und der
ein<z ac la Z?g.ix habe ich mehrfach das bekannte Richtersche Bild der Königin
Luise ausgestellt gesehen.

Weder im Theater, uoch in den zahlreichen von mir besuchten religiösen,
politischen und sozialen Bersammlungen ist mir Deutschenhaß aufgefallen. Ich
will auch daran erinnern, wie nach einigen kläglichen Versuchen, die Auffüh-
rung der Wagnerschen Opern in Paris zu hintertreiben, die verschwindende
Minderheit der chauvinistischen Schreier der Mehrheit der anständigen Pariser
weichen mußte. Die anständigen Zeitungen haben auch rückhaltlos ihrer Ent¬
rüstung Ausdruck gegeben über das Betragen einiger frechen Lümmel der Kaiserin
Friedrich gegenüber. Daß es noch solche Schreier giebt, daß sie vorüber¬
gehend die öffentliche Meinung terrorisiren können, daß es Zeitungen und Zeit¬
schriften giebt, die den Haß gegen Deutschland nähren, daß sich bei einzelnen
Festlichkeiten, wie seiner Zeit in Nancy, eine schwache Regierung durch die
Duldung deutschfeindlicher Strömungen Kraft und Beliebtheit zu verschaffen
sucht, ist schuld daran, daß man bei uns annimmt, das: ^. Im« les ^UerrmmK!
sei in Frankreich für das Volk wie für die Regierung als allein giltiges
und alle Schwankungen der Politik überdauerndes Losungswort ausgegeben.
In Wahrheit sind das vereinzelte Erscheinungen, die zur Beurteilung der
öffentlichen Meinung eines ganzen Volkes sehr untauglich sind. Wenn wir
aus ihnen verallgemeinernde Schlüsse auf die Gesinnung des französischen
Volkes ziehen wollten, so wäre das gerade so, wie wenn wir aus Sigls Vater¬
land eine Preußen- und reichsfeindliche Stimmung der Baiern folgern wollten.
Das thut kein vernünftiger Mensch. Wir finden es erklärlich und vielleicht
sogar verzeihlich, daß man in einzelnen Kreisen Vaierns das Jahr 1866 noch
nicht ganz verwunden hat, wir ertragen die maßlosesten Angriffe der Tschechen
und Polen mit Gleichmut und Geduld, obwohl wir uns sagen müssen, daß
die deutschfeindliche Bewegung in den slawischen Provinzen Österreichs viel
stärker und, da Österreich unser Bundesgenosse ist, viel gefährlicher ist, als
die in Frankreich. Warum sehn wir es da als eine Beleidigung an, wenn


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[0270] Der Oentschenhaß bei unsern Nachbarn die einen auffallenden Mangel an Liebe zum französischen Vaterlande, ja das reine Weltbürgertum zur Schau trugen. Ich stelle damit natürlich nicht in Abrede, daß auch chauvinistische Gesinnungen in französischen Schulbüchern ge¬ pflegt werden, unsre Zeitungen bringen ja bisweilen erstaunliche, wegen ihrer Verdrehung geschichtlicher Thatsachen empörende Proben dieser Litteratur, aber ich glaube, sie sind wenig verbreitet. Auch in den Buchhandlungen und Anti¬ quariate», die, wie jeder Besucher von Paris weiß, fast immer von Menschen umlagert sind, habe ich nichts gesehen, was unser Nationalgefühl verletzen könnte. In den großen Reklameräumeu der Redaktion des Figaro war unter den Bildnissen der bedeutendsten Männer der Gegenwart Kaiser Wilhelm der Zweite in einer großen, sehr guten Photographie vertreten, und in den Schau¬ fenstern der herrlichen Kuustläceu des Loulciv^ra ävs <Ä,puoiiuZ8 und der ein<z ac la Z?g.ix habe ich mehrfach das bekannte Richtersche Bild der Königin Luise ausgestellt gesehen. Weder im Theater, uoch in den zahlreichen von mir besuchten religiösen, politischen und sozialen Bersammlungen ist mir Deutschenhaß aufgefallen. Ich will auch daran erinnern, wie nach einigen kläglichen Versuchen, die Auffüh- rung der Wagnerschen Opern in Paris zu hintertreiben, die verschwindende Minderheit der chauvinistischen Schreier der Mehrheit der anständigen Pariser weichen mußte. Die anständigen Zeitungen haben auch rückhaltlos ihrer Ent¬ rüstung Ausdruck gegeben über das Betragen einiger frechen Lümmel der Kaiserin Friedrich gegenüber. Daß es noch solche Schreier giebt, daß sie vorüber¬ gehend die öffentliche Meinung terrorisiren können, daß es Zeitungen und Zeit¬ schriften giebt, die den Haß gegen Deutschland nähren, daß sich bei einzelnen Festlichkeiten, wie seiner Zeit in Nancy, eine schwache Regierung durch die Duldung deutschfeindlicher Strömungen Kraft und Beliebtheit zu verschaffen sucht, ist schuld daran, daß man bei uns annimmt, das: ^. Im« les ^UerrmmK! sei in Frankreich für das Volk wie für die Regierung als allein giltiges und alle Schwankungen der Politik überdauerndes Losungswort ausgegeben. In Wahrheit sind das vereinzelte Erscheinungen, die zur Beurteilung der öffentlichen Meinung eines ganzen Volkes sehr untauglich sind. Wenn wir aus ihnen verallgemeinernde Schlüsse auf die Gesinnung des französischen Volkes ziehen wollten, so wäre das gerade so, wie wenn wir aus Sigls Vater¬ land eine Preußen- und reichsfeindliche Stimmung der Baiern folgern wollten. Das thut kein vernünftiger Mensch. Wir finden es erklärlich und vielleicht sogar verzeihlich, daß man in einzelnen Kreisen Vaierns das Jahr 1866 noch nicht ganz verwunden hat, wir ertragen die maßlosesten Angriffe der Tschechen und Polen mit Gleichmut und Geduld, obwohl wir uns sagen müssen, daß die deutschfeindliche Bewegung in den slawischen Provinzen Österreichs viel stärker und, da Österreich unser Bundesgenosse ist, viel gefährlicher ist, als die in Frankreich. Warum sehn wir es da als eine Beleidigung an, wenn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/270>, abgerufen am 16.06.2024.