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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Weder Acmmuuiismus noch Kapitalismus

Dampfkraft die Anlage von Fabriken in den Großstädten möglich, wo man
nicht mehr auf die Armenhauskinder angewiesen war, da sich Eltern genug
unmittelbar in der Nähe fanden, die bereit waren, ihre Kinder in der Form
des "freien Arbeitsvertrags" zu verschachern. Das machte neue Gesetze not¬
wendig. Endlich sah man sich gezwungen, auch die in der Hausindustrie ver¬
wendeten Kinder, die nicht weniger gemißhandelt wurden, zu bedenken. Die
(Mlclrvn Liuviu,pur"zue8 OomniiLLwn von schlug die Ausdehnung der

Fabrikgesetze auf mehrere Industriezweige vor, die zusammen 1409000 Frauen,
jugendliche Arbeiter und Kinder beschäftigten. Diese paar aus der reichen
Fülle des verfügbaren Materials herausgegriffenen Angaben werden genügen,
von der Bedeutung der Kinderarbeit für die englische Industrie einen Begriff
zu geben und zugleich auch von der Wahrheitsliebe jener Vertreter der Wissen¬
schaft, die beim nnstndirten Publikum den Glauben verbreiten, als handelte
es sich beim englischen Arbeiterelend um vereinzelte Fälle von Hunger in
Jahren von Mißernten und Handelskrisen. Wolf giebt (S. 5>Z4 bis 53l>)
nnr eine kurze farblose Skizze der englischen Kapitalbildung nach Marx, ohne
alle charakteristischen Einzelheiten, und bleibt auf die Frage, die er felbst aus¬
wirft, ob dieses Bild typisch sei, die Autwort schuldig.

Eine Besserung ist dann thatsächlich eingetreten; darin hat Wolf Recht,
und das setzt die theoretischen Sozialisten in Verlegenheit. Die Geschichte und
die Ursachen der Besserung findet man in Brentanos Buch über die Gewerk¬
vereine und in dem großen Werke von Schulze-Gävernitz. Engels macht im
Vorwort zu der kürzlich bei Dietz in Stuttgart erschienenen neuen Ausgabe seines
Buchs über die Lage der arbeitenden Klassen in England den Versuch, die
Wandlung ohne Preisgebung seines Standpunkts zu erklären. Wir müssen
uns hier auf Andeutungen beschränken.

Das Gesundheitsamt von Manchester hatte schon 17W darüber Be¬
schwerde geführt, daß die Fabrikkinder die Einwohner der Umgegend durch an¬
steckende Krankheiten gefährdeten. Die Verkuppelung und Verkümmerung der
arbeitenden Bevölkerung, die durch eine Reihe von Engneten offenkundig ward,
erschien doch in mehrfacher Beziehung eine nationale Gefahr, u. a. auch, weil
die Bemannung der Flotte Schwierigkeiten zu machen anfing. Das Gewissen
regte sich, wie wir gesehen haben, sogar in einzelnen Fabrikanten, und die
Meuchelmorde und Brandstiftungen der Chartisten rüttelten das Nachdenken
auf. Und während so allmählich eine Kinderschntzgesctzgebung zustande kam,
wurde die Kinderarbeit gerade in der Industrie, die durch sie emporgetrieben
worden war, zu allererst überflüssig. So viel tausend Kinder auch vor der
Reife verbraucht wordeu waren, einige blieben übrig, und ein Geschlecht ge¬
drillter Spinner wuchs hernu, die, von Jugend auf in dieser einseitigen Be¬
schäftigung des Hinftarrens auf wirbelnde Spindeln geübt, nun doch als
Männer weit mehr leisteten, als ein Kind zu leisten vermag; jeder dieser


Weder Acmmuuiismus noch Kapitalismus

Dampfkraft die Anlage von Fabriken in den Großstädten möglich, wo man
nicht mehr auf die Armenhauskinder angewiesen war, da sich Eltern genug
unmittelbar in der Nähe fanden, die bereit waren, ihre Kinder in der Form
des „freien Arbeitsvertrags" zu verschachern. Das machte neue Gesetze not¬
wendig. Endlich sah man sich gezwungen, auch die in der Hausindustrie ver¬
wendeten Kinder, die nicht weniger gemißhandelt wurden, zu bedenken. Die
(Mlclrvn Liuviu,pur«zue8 OomniiLLwn von schlug die Ausdehnung der

Fabrikgesetze auf mehrere Industriezweige vor, die zusammen 1409000 Frauen,
jugendliche Arbeiter und Kinder beschäftigten. Diese paar aus der reichen
Fülle des verfügbaren Materials herausgegriffenen Angaben werden genügen,
von der Bedeutung der Kinderarbeit für die englische Industrie einen Begriff
zu geben und zugleich auch von der Wahrheitsliebe jener Vertreter der Wissen¬
schaft, die beim nnstndirten Publikum den Glauben verbreiten, als handelte
es sich beim englischen Arbeiterelend um vereinzelte Fälle von Hunger in
Jahren von Mißernten und Handelskrisen. Wolf giebt (S. 5>Z4 bis 53l>)
nnr eine kurze farblose Skizze der englischen Kapitalbildung nach Marx, ohne
alle charakteristischen Einzelheiten, und bleibt auf die Frage, die er felbst aus¬
wirft, ob dieses Bild typisch sei, die Autwort schuldig.

Eine Besserung ist dann thatsächlich eingetreten; darin hat Wolf Recht,
und das setzt die theoretischen Sozialisten in Verlegenheit. Die Geschichte und
die Ursachen der Besserung findet man in Brentanos Buch über die Gewerk¬
vereine und in dem großen Werke von Schulze-Gävernitz. Engels macht im
Vorwort zu der kürzlich bei Dietz in Stuttgart erschienenen neuen Ausgabe seines
Buchs über die Lage der arbeitenden Klassen in England den Versuch, die
Wandlung ohne Preisgebung seines Standpunkts zu erklären. Wir müssen
uns hier auf Andeutungen beschränken.

Das Gesundheitsamt von Manchester hatte schon 17W darüber Be¬
schwerde geführt, daß die Fabrikkinder die Einwohner der Umgegend durch an¬
steckende Krankheiten gefährdeten. Die Verkuppelung und Verkümmerung der
arbeitenden Bevölkerung, die durch eine Reihe von Engneten offenkundig ward,
erschien doch in mehrfacher Beziehung eine nationale Gefahr, u. a. auch, weil
die Bemannung der Flotte Schwierigkeiten zu machen anfing. Das Gewissen
regte sich, wie wir gesehen haben, sogar in einzelnen Fabrikanten, und die
Meuchelmorde und Brandstiftungen der Chartisten rüttelten das Nachdenken
auf. Und während so allmählich eine Kinderschntzgesctzgebung zustande kam,
wurde die Kinderarbeit gerade in der Industrie, die durch sie emporgetrieben
worden war, zu allererst überflüssig. So viel tausend Kinder auch vor der
Reife verbraucht wordeu waren, einige blieben übrig, und ein Geschlecht ge¬
drillter Spinner wuchs hernu, die, von Jugend auf in dieser einseitigen Be¬
schäftigung des Hinftarrens auf wirbelnde Spindeln geübt, nun doch als
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[0028] Weder Acmmuuiismus noch Kapitalismus Dampfkraft die Anlage von Fabriken in den Großstädten möglich, wo man nicht mehr auf die Armenhauskinder angewiesen war, da sich Eltern genug unmittelbar in der Nähe fanden, die bereit waren, ihre Kinder in der Form des „freien Arbeitsvertrags" zu verschachern. Das machte neue Gesetze not¬ wendig. Endlich sah man sich gezwungen, auch die in der Hausindustrie ver¬ wendeten Kinder, die nicht weniger gemißhandelt wurden, zu bedenken. Die (Mlclrvn Liuviu,pur«zue8 OomniiLLwn von schlug die Ausdehnung der Fabrikgesetze auf mehrere Industriezweige vor, die zusammen 1409000 Frauen, jugendliche Arbeiter und Kinder beschäftigten. Diese paar aus der reichen Fülle des verfügbaren Materials herausgegriffenen Angaben werden genügen, von der Bedeutung der Kinderarbeit für die englische Industrie einen Begriff zu geben und zugleich auch von der Wahrheitsliebe jener Vertreter der Wissen¬ schaft, die beim nnstndirten Publikum den Glauben verbreiten, als handelte es sich beim englischen Arbeiterelend um vereinzelte Fälle von Hunger in Jahren von Mißernten und Handelskrisen. Wolf giebt (S. 5>Z4 bis 53l>) nnr eine kurze farblose Skizze der englischen Kapitalbildung nach Marx, ohne alle charakteristischen Einzelheiten, und bleibt auf die Frage, die er felbst aus¬ wirft, ob dieses Bild typisch sei, die Autwort schuldig. Eine Besserung ist dann thatsächlich eingetreten; darin hat Wolf Recht, und das setzt die theoretischen Sozialisten in Verlegenheit. Die Geschichte und die Ursachen der Besserung findet man in Brentanos Buch über die Gewerk¬ vereine und in dem großen Werke von Schulze-Gävernitz. Engels macht im Vorwort zu der kürzlich bei Dietz in Stuttgart erschienenen neuen Ausgabe seines Buchs über die Lage der arbeitenden Klassen in England den Versuch, die Wandlung ohne Preisgebung seines Standpunkts zu erklären. Wir müssen uns hier auf Andeutungen beschränken. Das Gesundheitsamt von Manchester hatte schon 17W darüber Be¬ schwerde geführt, daß die Fabrikkinder die Einwohner der Umgegend durch an¬ steckende Krankheiten gefährdeten. Die Verkuppelung und Verkümmerung der arbeitenden Bevölkerung, die durch eine Reihe von Engneten offenkundig ward, erschien doch in mehrfacher Beziehung eine nationale Gefahr, u. a. auch, weil die Bemannung der Flotte Schwierigkeiten zu machen anfing. Das Gewissen regte sich, wie wir gesehen haben, sogar in einzelnen Fabrikanten, und die Meuchelmorde und Brandstiftungen der Chartisten rüttelten das Nachdenken auf. Und während so allmählich eine Kinderschntzgesctzgebung zustande kam, wurde die Kinderarbeit gerade in der Industrie, die durch sie emporgetrieben worden war, zu allererst überflüssig. So viel tausend Kinder auch vor der Reife verbraucht wordeu waren, einige blieben übrig, und ein Geschlecht ge¬ drillter Spinner wuchs hernu, die, von Jugend auf in dieser einseitigen Be¬ schäftigung des Hinftarrens auf wirbelnde Spindeln geübt, nun doch als Männer weit mehr leisteten, als ein Kind zu leisten vermag; jeder dieser

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/28>, abgerufen am 12.05.2024.