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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Deutschlands wirtschaftliche Tage

leiten Eigentum zu erwerben. Das führt zu einer Verschiedenheit des Erwerbs.
Wollten wir, wie die Sozialdemokratin", wollen, diesen Grundsatz aufgeben, so
würden wir damit die Grundbedingung unsrer ganzen Kultur aufgeben. Denn
erst mit dem Augenblicke, wo jedem gestattet war, nach bestimmten Regeln
des Rechts um die Güter dieser Erde zu werben, war der Wettbewerb er¬
öffnet, der uus auf die hohe Stufe des Wohlergehens geführt hat, auf der
wir uns befinden.

Was bedeutet aber diese Dürftigkeit einzelner im Vergleich mit dem Wohl¬
ergehen des Ganzen? In den letzten Jahren ist über das Darniederliegen der
Geschäfte geklagt worden. Hat man aber wohl irgend eine Veränderung in
der äußern Lebenshaltung der Menschen bemerkt? Sind nicht alle Gasthäuser,
alle Vergnügungsorte vollauf besucht? Gesetzt, es wären wegen der schlecht
gehenden Geschäfte zur Zeit hunderttausend Arbeiter ohne Beschäftigung. Das
mag ja für den Einzelnen recht traurig sein. Hat mau aber wohl einmal
berechnet, wie sich dieser "Notstand" zum Ganzen verhält? Können wir zehn
Millionen arbeitsfähiger Männer in Deutschland rechnen, so würde, wenn
hunderttausend Arbeiter ohne Arbeit sind, auf hundert Arbeiter ein Arbeits¬
loser kommen. Ist das nun ein schwer zu ertragender Zustand? Natürlich
muß für die Arbeitslosen, wenn sie wirklich in Not sind, gesorgt werden. Der
deutsche Staat läßt keinen verhungern. Im äußersten Falle muß die Armen¬
pflege eingreifen. Der Staat kann aber keinem Arbeit geben, wenn er keine
hat. Nutzlose Arbeit zu vergeben, bloß um an die Arbeiter Lohn dafür zu
zahlen, ist eine Menschenfreundlichkeit, die sich noch nirgends bewährt hat.
Die Pariser Nativnalwerkstätten von 1848 sind ein nnvergeßliches Beispiel dafür.

Daß viele, namentlich in den großen Städten, wo sich alles zusammen¬
drängt, in elenden Wohnungen ihr Dasein fristen, ist nicht zu leugnen. Manche
könnten freilich eine weit bessere Wohnung haben, wenn sie andern Lebens¬
genüssen, denen sie jetzt ihr Einkommen zuwenden, in höherm Maße entsagen
wollten. Wir sind eben nicht so reich, daß wir alles in vollem Maße haben
könnten. Im allgemeinen entspricht der Zustand unsrer Wohnungen dein
Maße unsers Wohlstands. Daran ist auch nichts zu ändern. Deshalb werden
alle noch so wohlgemeinten Bestrebungen, den geringen Leuten bessere Woh¬
nungen zu verschaffen, im großen Ganzen ohne Erfolg sein; man müßte denn
die Menschen daran gewöhnen, einen verhältnismäßig größern Teil ihres
Einkommens auf die Wohnung zu verwenden. Das würde freilich schwer
halten.

Müssen wir anerkennen, daß es im allgemeinen unserm Volke wohlgeht,
daß wir namentlich einen Überschuß an Wohlstand genießen im Vergleich mit
dem, was die Natur unsers Landes uns bietet, so werden nur von dem Ge¬
danke" ablassen, daß unser gegenwärtiger Wohlstand etwas ganz selbstverständ¬
liches sei, von dem wir auch nicht das Geringste entbehren könnten. Hierüber


Deutschlands wirtschaftliche Tage

leiten Eigentum zu erwerben. Das führt zu einer Verschiedenheit des Erwerbs.
Wollten wir, wie die Sozialdemokratin«, wollen, diesen Grundsatz aufgeben, so
würden wir damit die Grundbedingung unsrer ganzen Kultur aufgeben. Denn
erst mit dem Augenblicke, wo jedem gestattet war, nach bestimmten Regeln
des Rechts um die Güter dieser Erde zu werben, war der Wettbewerb er¬
öffnet, der uus auf die hohe Stufe des Wohlergehens geführt hat, auf der
wir uns befinden.

Was bedeutet aber diese Dürftigkeit einzelner im Vergleich mit dem Wohl¬
ergehen des Ganzen? In den letzten Jahren ist über das Darniederliegen der
Geschäfte geklagt worden. Hat man aber wohl irgend eine Veränderung in
der äußern Lebenshaltung der Menschen bemerkt? Sind nicht alle Gasthäuser,
alle Vergnügungsorte vollauf besucht? Gesetzt, es wären wegen der schlecht
gehenden Geschäfte zur Zeit hunderttausend Arbeiter ohne Beschäftigung. Das
mag ja für den Einzelnen recht traurig sein. Hat mau aber wohl einmal
berechnet, wie sich dieser „Notstand" zum Ganzen verhält? Können wir zehn
Millionen arbeitsfähiger Männer in Deutschland rechnen, so würde, wenn
hunderttausend Arbeiter ohne Arbeit sind, auf hundert Arbeiter ein Arbeits¬
loser kommen. Ist das nun ein schwer zu ertragender Zustand? Natürlich
muß für die Arbeitslosen, wenn sie wirklich in Not sind, gesorgt werden. Der
deutsche Staat läßt keinen verhungern. Im äußersten Falle muß die Armen¬
pflege eingreifen. Der Staat kann aber keinem Arbeit geben, wenn er keine
hat. Nutzlose Arbeit zu vergeben, bloß um an die Arbeiter Lohn dafür zu
zahlen, ist eine Menschenfreundlichkeit, die sich noch nirgends bewährt hat.
Die Pariser Nativnalwerkstätten von 1848 sind ein nnvergeßliches Beispiel dafür.

Daß viele, namentlich in den großen Städten, wo sich alles zusammen¬
drängt, in elenden Wohnungen ihr Dasein fristen, ist nicht zu leugnen. Manche
könnten freilich eine weit bessere Wohnung haben, wenn sie andern Lebens¬
genüssen, denen sie jetzt ihr Einkommen zuwenden, in höherm Maße entsagen
wollten. Wir sind eben nicht so reich, daß wir alles in vollem Maße haben
könnten. Im allgemeinen entspricht der Zustand unsrer Wohnungen dein
Maße unsers Wohlstands. Daran ist auch nichts zu ändern. Deshalb werden
alle noch so wohlgemeinten Bestrebungen, den geringen Leuten bessere Woh¬
nungen zu verschaffen, im großen Ganzen ohne Erfolg sein; man müßte denn
die Menschen daran gewöhnen, einen verhältnismäßig größern Teil ihres
Einkommens auf die Wohnung zu verwenden. Das würde freilich schwer
halten.

Müssen wir anerkennen, daß es im allgemeinen unserm Volke wohlgeht,
daß wir namentlich einen Überschuß an Wohlstand genießen im Vergleich mit
dem, was die Natur unsers Landes uns bietet, so werden nur von dem Ge¬
danke» ablassen, daß unser gegenwärtiger Wohlstand etwas ganz selbstverständ¬
liches sei, von dem wir auch nicht das Geringste entbehren könnten. Hierüber


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[0280] Deutschlands wirtschaftliche Tage leiten Eigentum zu erwerben. Das führt zu einer Verschiedenheit des Erwerbs. Wollten wir, wie die Sozialdemokratin«, wollen, diesen Grundsatz aufgeben, so würden wir damit die Grundbedingung unsrer ganzen Kultur aufgeben. Denn erst mit dem Augenblicke, wo jedem gestattet war, nach bestimmten Regeln des Rechts um die Güter dieser Erde zu werben, war der Wettbewerb er¬ öffnet, der uus auf die hohe Stufe des Wohlergehens geführt hat, auf der wir uns befinden. Was bedeutet aber diese Dürftigkeit einzelner im Vergleich mit dem Wohl¬ ergehen des Ganzen? In den letzten Jahren ist über das Darniederliegen der Geschäfte geklagt worden. Hat man aber wohl irgend eine Veränderung in der äußern Lebenshaltung der Menschen bemerkt? Sind nicht alle Gasthäuser, alle Vergnügungsorte vollauf besucht? Gesetzt, es wären wegen der schlecht gehenden Geschäfte zur Zeit hunderttausend Arbeiter ohne Beschäftigung. Das mag ja für den Einzelnen recht traurig sein. Hat mau aber wohl einmal berechnet, wie sich dieser „Notstand" zum Ganzen verhält? Können wir zehn Millionen arbeitsfähiger Männer in Deutschland rechnen, so würde, wenn hunderttausend Arbeiter ohne Arbeit sind, auf hundert Arbeiter ein Arbeits¬ loser kommen. Ist das nun ein schwer zu ertragender Zustand? Natürlich muß für die Arbeitslosen, wenn sie wirklich in Not sind, gesorgt werden. Der deutsche Staat läßt keinen verhungern. Im äußersten Falle muß die Armen¬ pflege eingreifen. Der Staat kann aber keinem Arbeit geben, wenn er keine hat. Nutzlose Arbeit zu vergeben, bloß um an die Arbeiter Lohn dafür zu zahlen, ist eine Menschenfreundlichkeit, die sich noch nirgends bewährt hat. Die Pariser Nativnalwerkstätten von 1848 sind ein nnvergeßliches Beispiel dafür. Daß viele, namentlich in den großen Städten, wo sich alles zusammen¬ drängt, in elenden Wohnungen ihr Dasein fristen, ist nicht zu leugnen. Manche könnten freilich eine weit bessere Wohnung haben, wenn sie andern Lebens¬ genüssen, denen sie jetzt ihr Einkommen zuwenden, in höherm Maße entsagen wollten. Wir sind eben nicht so reich, daß wir alles in vollem Maße haben könnten. Im allgemeinen entspricht der Zustand unsrer Wohnungen dein Maße unsers Wohlstands. Daran ist auch nichts zu ändern. Deshalb werden alle noch so wohlgemeinten Bestrebungen, den geringen Leuten bessere Woh¬ nungen zu verschaffen, im großen Ganzen ohne Erfolg sein; man müßte denn die Menschen daran gewöhnen, einen verhältnismäßig größern Teil ihres Einkommens auf die Wohnung zu verwenden. Das würde freilich schwer halten. Müssen wir anerkennen, daß es im allgemeinen unserm Volke wohlgeht, daß wir namentlich einen Überschuß an Wohlstand genießen im Vergleich mit dem, was die Natur unsers Landes uns bietet, so werden nur von dem Ge¬ danke» ablassen, daß unser gegenwärtiger Wohlstand etwas ganz selbstverständ¬ liches sei, von dem wir auch nicht das Geringste entbehren könnten. Hierüber

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/280>, abgerufen am 28.05.2024.