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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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gesellschasten noch etwa sechs verschiedne Texte verbreitet wurden, so war zu
befürchte", daß allmählich bei dein sich steigernden Bedürfnis nach Verbesserung
immer verschiedenartigere Lutherbibeln in Gebrauch kämen und dadurch das
Band der Einheit, das die Lutherbibel für die Kirche bildet, zerrissen würde.
Ein dreifaches Bedürfnis war es also, das eine Revision der Lutherbibel for¬
derte, das Verlangen nach einem richtigen, einem verständlichen und einem
einheitlichen Texte.

Die erste Anregung zu der nur vollendeten Revision gab der Pastor
1). Möuckeberg in Hamburg; er forderte im Jahre 1855 die Bibelgesellschaften
zur Herstellung eines einheitlichen Textes der Lutherbibel auf. In demselben
Jahre wurde ein Werk vollendet, das als eine Vorarbeit zur Revision be¬
trachtet werden kann, die kritische Bearbeitung der Bibelübersetzung Luthers
von Blüthen und ^Niemeyer. Zwei Jahre später fand auf dem Stuttgarter
Kirchentag eine Svndertvnferenz von Abgeordneten der deutschen Bibelgesell¬
schaften statt, und die um die Lutherbibel so hoch verdiente Ccmsteinsche Bibel¬
anstalt erhielt den Auftrag, das Werk der Bibelrevision in die Hand zu nehmen.
Sie hat sich dieser Aufgabe mit großer Hingebung und Opferwilligkeit unter¬
zogen. Nachdem durch ihre Bemühung das Werk genügend vorbereitet war,
übernahm die in Eisenach aller zwei Jahre zusammentretende deutsche evan¬
gelische Kirchenkvnferenz im Jahre 18K3 die Leitung der Sache und stellte
die Grundsätze für die Revision fest. Nun begann die Arbeit, um der sich eine
große Anzahl bedeutender Theologen Deutschlands beteiligt hat. Die sprach¬
liche Revision wurde, da Rudolf von Raumer bald zurücktrat, dem Dr. From-
mann, dem gründlichen Kenner der Sprache Luthers, allein übertragen; uach
seinem Tode wurde sie durch eine Kommission vollendet. 1870 erschien die
revidirte Ausgabe des Neuen Testaments, 188I die sogenannte Probebibel, und
1892 ist das Werk vollendet worden.

Der Eindruck, den die Probcbibel machte, war fast allgemein eine große
Enttäuschung. In den Grundsätzen der Revision sprach sich die Absicht aus,
die Lutherbibel von anerkannten Übersetzungsfehlern zu reinigen, das Ver¬
ständnis der Bibel nicht zu erschweren und sich möglichst der Sprache anzu¬
schließen, die die Schule für den schriftlichen Gebrauch zu lehren und ein¬
zuprägen hat. Doch sollten bekannte Sprüche, die durch den kirchlichen Gebrauch
dem Volke lieb geworden waren, möglichst geschont und die Kraft und Schön¬
heit der Sprache Luthers bewahrt werden. Die Erwartungen, die man nach
diesen Grundsätzen hatte, erfüllte aber die Prvbebibel nicht. Besonders hatte
sich die Vorliebe des Dr. Frommann für die alte Sprache Luthers, der er die
eingehendsten Studien gewidmet hatte, in bedenklicher Weise geltend gemacht.
Nicht nur daß viele veraltete Sprachformen und Ausdrucksweisen beibehalten
wurde", es wurden sogar archaistische Forme" wiederhergestellt, die in den
frühern A"sgaben schon glücklich beseitigt waren. In Ps. 22, 18 las man


gesellschasten noch etwa sechs verschiedne Texte verbreitet wurden, so war zu
befürchte», daß allmählich bei dein sich steigernden Bedürfnis nach Verbesserung
immer verschiedenartigere Lutherbibeln in Gebrauch kämen und dadurch das
Band der Einheit, das die Lutherbibel für die Kirche bildet, zerrissen würde.
Ein dreifaches Bedürfnis war es also, das eine Revision der Lutherbibel for¬
derte, das Verlangen nach einem richtigen, einem verständlichen und einem
einheitlichen Texte.

Die erste Anregung zu der nur vollendeten Revision gab der Pastor
1). Möuckeberg in Hamburg; er forderte im Jahre 1855 die Bibelgesellschaften
zur Herstellung eines einheitlichen Textes der Lutherbibel auf. In demselben
Jahre wurde ein Werk vollendet, das als eine Vorarbeit zur Revision be¬
trachtet werden kann, die kritische Bearbeitung der Bibelübersetzung Luthers
von Blüthen und ^Niemeyer. Zwei Jahre später fand auf dem Stuttgarter
Kirchentag eine Svndertvnferenz von Abgeordneten der deutschen Bibelgesell¬
schaften statt, und die um die Lutherbibel so hoch verdiente Ccmsteinsche Bibel¬
anstalt erhielt den Auftrag, das Werk der Bibelrevision in die Hand zu nehmen.
Sie hat sich dieser Aufgabe mit großer Hingebung und Opferwilligkeit unter¬
zogen. Nachdem durch ihre Bemühung das Werk genügend vorbereitet war,
übernahm die in Eisenach aller zwei Jahre zusammentretende deutsche evan¬
gelische Kirchenkvnferenz im Jahre 18K3 die Leitung der Sache und stellte
die Grundsätze für die Revision fest. Nun begann die Arbeit, um der sich eine
große Anzahl bedeutender Theologen Deutschlands beteiligt hat. Die sprach¬
liche Revision wurde, da Rudolf von Raumer bald zurücktrat, dem Dr. From-
mann, dem gründlichen Kenner der Sprache Luthers, allein übertragen; uach
seinem Tode wurde sie durch eine Kommission vollendet. 1870 erschien die
revidirte Ausgabe des Neuen Testaments, 188I die sogenannte Probebibel, und
1892 ist das Werk vollendet worden.

Der Eindruck, den die Probcbibel machte, war fast allgemein eine große
Enttäuschung. In den Grundsätzen der Revision sprach sich die Absicht aus,
die Lutherbibel von anerkannten Übersetzungsfehlern zu reinigen, das Ver¬
ständnis der Bibel nicht zu erschweren und sich möglichst der Sprache anzu¬
schließen, die die Schule für den schriftlichen Gebrauch zu lehren und ein¬
zuprägen hat. Doch sollten bekannte Sprüche, die durch den kirchlichen Gebrauch
dem Volke lieb geworden waren, möglichst geschont und die Kraft und Schön¬
heit der Sprache Luthers bewahrt werden. Die Erwartungen, die man nach
diesen Grundsätzen hatte, erfüllte aber die Prvbebibel nicht. Besonders hatte
sich die Vorliebe des Dr. Frommann für die alte Sprache Luthers, der er die
eingehendsten Studien gewidmet hatte, in bedenklicher Weise geltend gemacht.
Nicht nur daß viele veraltete Sprachformen und Ausdrucksweisen beibehalten
wurde», es wurden sogar archaistische Forme» wiederhergestellt, die in den
frühern A»sgaben schon glücklich beseitigt waren. In Ps. 22, 18 las man


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/289>, abgerufen am 16.06.2024.