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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Bibelrevision und Bibelübersetzung

möglichster Treue an Luthers Worte anschließen und sich nur insoweit davon ent¬
fernen, als die Z 3 aufgestellten Forderungen verlangen.

Darnach sollte man erwarten, daß die Sprache der neuen Ausgabe bei
möglichstem Anschluß an die Sprache Luthers erstens durchaus verständlich
und zweitens durchaus schulgerecht sei. Verständlichkeit ist doch wohl bei
jeder Stelle wünschenswert, und die Sprachrichtigkeit nützt der Schule doch
mir dann, wenn sie vollständig durchgeführt ist. Unmöglich kann man doch
die Kraft und Schönheit der Sprache Luthers, wenn sie für Kirche und Schule
wertvoll sein soll, in unverständlich oder unrichtig gewordnen Ausdrucksweisen
finden. Davon bekommt man doch jetzt nicht den Eindruck der Kraft und
Schönheit, sondern nur den der Unklarheit und Fehlerhaftigkeit, besonders
dann, wenn es nicht die alte Luthcrbibel des sechzehnten Jahrhunderts ist, die
so redet, sondern eine vielfach veränderte Ausgabe mit der Orthographie des
neunzehnten Jahrhunderts. Trotzdem steht es leider so, daß immer noch ohne
Not das Verständnis vieler Stellen erschwert wird, und daß die Sprache der
neuen Bibel sehr häufig deu Regeln der Schule widerspricht.

Viele unverständlich gewordne Ausdrücke sind allerdings verändert worden,
viele aber sind auch geblieben. Wenn man z.B. Krebs in Panzer, Gelee
in Krug, Zeug in Heer, Kreuel in Gabel verwandelte, so ist nicht ein¬
zusehen, warum man nicht auch Wörter wie löcken. Kogel, Teiding,
Schnur (--Schwiegertochter), Tappe, zerlechen, gelten betteln), Tüttel,
scheuet, wegen bewegen), sich leiden (-^ mit leiden), seuchtig u. a.,
die doch jetzt ebenso unverständlich sind, geändert hat. Man hat ferner Wörter,
die jetzt eine andre Bedeutung haben als zu Luthers Zeit, verändert. Fast
ist durch sehr, endelich durch eilends, ehrlich durch vornehm, ent¬
halten durch erhalten, Bein durch Gebein, Leichnam durch Leib, be¬
leidigen durch beschädigen, wenn es der Sprachgebrauch forderte, ersetzt
worden. Warum hat mau daun nicht auch einfältig in einfach, schlecht
in schlicht, Schalk in böse, Zukunft in Ankunft, anders in sonst, ohne
in anßer, Hölle in Unterwelt, ärgern in Anstoß geben, blicken in
blinken, einig in einzig verwandelt? Hat man doch sogar das ,.Männlein
und Fräulein" bei der Schöpfung in "Mann und Weib" verwandelt! Wenn
wir auch gern zugeben, daß das Verständnis der Bibel durch die Revision
wesentlich erleichtert worden ist, so bleibt doch in dieser Beziehung noch manches
zu wünschen übrig.

Die Rücksicht auf die Schule vollends, die mau zu nehmen versprach, ist
viel zu kurz gekommen. Zunächst fallen die vielen archaistischen Formen auf,
man kann kaum eine Seite der neuen Bibel lesen, ohne einer zu begegnen.
In der poetischen Sprache sind ja nun archaistische Formen berechtigt. Aber
die revidirte Bibel macht diesen Unterschied nicht; auch in der Prosa wimmelt
es von veralteten Formen. Das kreucht und fleugt, zeucht und fleucht,


Bibelrevision und Bibelübersetzung

möglichster Treue an Luthers Worte anschließen und sich nur insoweit davon ent¬
fernen, als die Z 3 aufgestellten Forderungen verlangen.

Darnach sollte man erwarten, daß die Sprache der neuen Ausgabe bei
möglichstem Anschluß an die Sprache Luthers erstens durchaus verständlich
und zweitens durchaus schulgerecht sei. Verständlichkeit ist doch wohl bei
jeder Stelle wünschenswert, und die Sprachrichtigkeit nützt der Schule doch
mir dann, wenn sie vollständig durchgeführt ist. Unmöglich kann man doch
die Kraft und Schönheit der Sprache Luthers, wenn sie für Kirche und Schule
wertvoll sein soll, in unverständlich oder unrichtig gewordnen Ausdrucksweisen
finden. Davon bekommt man doch jetzt nicht den Eindruck der Kraft und
Schönheit, sondern nur den der Unklarheit und Fehlerhaftigkeit, besonders
dann, wenn es nicht die alte Luthcrbibel des sechzehnten Jahrhunderts ist, die
so redet, sondern eine vielfach veränderte Ausgabe mit der Orthographie des
neunzehnten Jahrhunderts. Trotzdem steht es leider so, daß immer noch ohne
Not das Verständnis vieler Stellen erschwert wird, und daß die Sprache der
neuen Bibel sehr häufig deu Regeln der Schule widerspricht.

Viele unverständlich gewordne Ausdrücke sind allerdings verändert worden,
viele aber sind auch geblieben. Wenn man z.B. Krebs in Panzer, Gelee
in Krug, Zeug in Heer, Kreuel in Gabel verwandelte, so ist nicht ein¬
zusehen, warum man nicht auch Wörter wie löcken. Kogel, Teiding,
Schnur (--Schwiegertochter), Tappe, zerlechen, gelten betteln), Tüttel,
scheuet, wegen bewegen), sich leiden (-^ mit leiden), seuchtig u. a.,
die doch jetzt ebenso unverständlich sind, geändert hat. Man hat ferner Wörter,
die jetzt eine andre Bedeutung haben als zu Luthers Zeit, verändert. Fast
ist durch sehr, endelich durch eilends, ehrlich durch vornehm, ent¬
halten durch erhalten, Bein durch Gebein, Leichnam durch Leib, be¬
leidigen durch beschädigen, wenn es der Sprachgebrauch forderte, ersetzt
worden. Warum hat mau daun nicht auch einfältig in einfach, schlecht
in schlicht, Schalk in böse, Zukunft in Ankunft, anders in sonst, ohne
in anßer, Hölle in Unterwelt, ärgern in Anstoß geben, blicken in
blinken, einig in einzig verwandelt? Hat man doch sogar das ,.Männlein
und Fräulein" bei der Schöpfung in „Mann und Weib" verwandelt! Wenn
wir auch gern zugeben, daß das Verständnis der Bibel durch die Revision
wesentlich erleichtert worden ist, so bleibt doch in dieser Beziehung noch manches
zu wünschen übrig.

Die Rücksicht auf die Schule vollends, die mau zu nehmen versprach, ist
viel zu kurz gekommen. Zunächst fallen die vielen archaistischen Formen auf,
man kann kaum eine Seite der neuen Bibel lesen, ohne einer zu begegnen.
In der poetischen Sprache sind ja nun archaistische Formen berechtigt. Aber
die revidirte Bibel macht diesen Unterschied nicht; auch in der Prosa wimmelt
es von veralteten Formen. Das kreucht und fleugt, zeucht und fleucht,


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[0318] Bibelrevision und Bibelübersetzung möglichster Treue an Luthers Worte anschließen und sich nur insoweit davon ent¬ fernen, als die Z 3 aufgestellten Forderungen verlangen. Darnach sollte man erwarten, daß die Sprache der neuen Ausgabe bei möglichstem Anschluß an die Sprache Luthers erstens durchaus verständlich und zweitens durchaus schulgerecht sei. Verständlichkeit ist doch wohl bei jeder Stelle wünschenswert, und die Sprachrichtigkeit nützt der Schule doch mir dann, wenn sie vollständig durchgeführt ist. Unmöglich kann man doch die Kraft und Schönheit der Sprache Luthers, wenn sie für Kirche und Schule wertvoll sein soll, in unverständlich oder unrichtig gewordnen Ausdrucksweisen finden. Davon bekommt man doch jetzt nicht den Eindruck der Kraft und Schönheit, sondern nur den der Unklarheit und Fehlerhaftigkeit, besonders dann, wenn es nicht die alte Luthcrbibel des sechzehnten Jahrhunderts ist, die so redet, sondern eine vielfach veränderte Ausgabe mit der Orthographie des neunzehnten Jahrhunderts. Trotzdem steht es leider so, daß immer noch ohne Not das Verständnis vieler Stellen erschwert wird, und daß die Sprache der neuen Bibel sehr häufig deu Regeln der Schule widerspricht. Viele unverständlich gewordne Ausdrücke sind allerdings verändert worden, viele aber sind auch geblieben. Wenn man z.B. Krebs in Panzer, Gelee in Krug, Zeug in Heer, Kreuel in Gabel verwandelte, so ist nicht ein¬ zusehen, warum man nicht auch Wörter wie löcken. Kogel, Teiding, Schnur (--Schwiegertochter), Tappe, zerlechen, gelten betteln), Tüttel, scheuet, wegen bewegen), sich leiden (-^ mit leiden), seuchtig u. a., die doch jetzt ebenso unverständlich sind, geändert hat. Man hat ferner Wörter, die jetzt eine andre Bedeutung haben als zu Luthers Zeit, verändert. Fast ist durch sehr, endelich durch eilends, ehrlich durch vornehm, ent¬ halten durch erhalten, Bein durch Gebein, Leichnam durch Leib, be¬ leidigen durch beschädigen, wenn es der Sprachgebrauch forderte, ersetzt worden. Warum hat mau daun nicht auch einfältig in einfach, schlecht in schlicht, Schalk in böse, Zukunft in Ankunft, anders in sonst, ohne in anßer, Hölle in Unterwelt, ärgern in Anstoß geben, blicken in blinken, einig in einzig verwandelt? Hat man doch sogar das ,.Männlein und Fräulein" bei der Schöpfung in „Mann und Weib" verwandelt! Wenn wir auch gern zugeben, daß das Verständnis der Bibel durch die Revision wesentlich erleichtert worden ist, so bleibt doch in dieser Beziehung noch manches zu wünschen übrig. Die Rücksicht auf die Schule vollends, die mau zu nehmen versprach, ist viel zu kurz gekommen. Zunächst fallen die vielen archaistischen Formen auf, man kann kaum eine Seite der neuen Bibel lesen, ohne einer zu begegnen. In der poetischen Sprache sind ja nun archaistische Formen berechtigt. Aber die revidirte Bibel macht diesen Unterschied nicht; auch in der Prosa wimmelt es von veralteten Formen. Das kreucht und fleugt, zeucht und fleucht,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/318>, abgerufen am 11.05.2024.