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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Bibelrevision und Bibelübersetzung

fleußt und geußt, Schleuße und verdreußt, gebeut und trauet, fähet
und empfcihet ucich wie vor. Allerdings fehlt es nicht an Abwechslung. Bei
der Schöpfung kreucht das Gewürm, bei der Sintflut kriechet es; im Para¬
diese fließt der Fluß, aber im Lande Kanaan fleußt Milch und Honig, der
Herr sagt zu Jakob: "Zeuch gen Beth-El," aber Jsciak befiehlt ihm: "Zieh
nach Mesopotamien." In mancher Beziehung ist die Sprache der Bibel durch
die Revision sogar altertümlicher geworden, als sie vorher war. So sind
z. B. die Formen hub und stund, die aus der Cansteinschen Ausgabe schon
verbannt waren, wiederhergestellt worden. Und wie oft kommen gerade diese
Formen vor! Durch die ganze Bibel klingt es: hub, aufhub, erhub, stund,
entstund, verstund! Für geworden, gekommen, geblieben sind die ver¬
kürzten Formen worden, kommen, blieben hineinkorrigirt worden; nackend
ist wieder zu nacket, klarer zu klärer geworden; eine Neuheit ist das Wort
etwo für Luthers etwa, das soviel wie irgendwo bedeuten soll: ,,O, hätte
ich Flügel wie Tauben, daß ich flöge und etwo bliebe!" (Pf. 55,7). "Soll
die Schuljugend -- heißt es in den Grundsätzen der Revision (Z 13) -- und
soll das Volk Tag für Tag eine unzählbare Menge von veralteten Formen
lesen, welche die Schriftsprache der Gegenwart aufgegeben hat?" Auf diese
Frage der Revision ist ihr Werk eine seltsame Antwort. Einzelne Formen,
die jetzt als Sprachfehler gelten, wie preisete, meldete, uuterweisete, ge-
nennet, sahe u. a. find allerdings geändert worden. Formen wie trunk,
sunt, bunten, fürchte, reuchst u. s. w. hat man nicht wieder aufgenommen,
obgleich sie ebenso berechtigt sind wie hub und stund, zeucht und fleucht.
Auch rufte ist nur an ein paar Stellen (Matth. 22, 3; 1. Matt. 13, 50;
Luk. 13, 12) wieder hineinkorrigirt worden. Aber im allgemeinen ist doch die
Sprache der Bibel recht altertümlich geblieben, es ist nicht unsre Sprache,
wenn wir da lesen: so für welcher oder wenn, sintemal und dieweil,
desselbigen gleichen, herdurch, hinnieder, ander; auch ruchtbar, thör-
lich, frevellich und nördlich, Kohlfeuer und Rauchwerk, niedrigen
und r in gern und noch viele andre Ausdrücke, die "weiland" gebräulich waren!
Da wird die Sünde noch immer "gerochen," und der König Darius kommt
"ungegessen" zur Löwengrube Daniels. Da wird eine Schlacht "gethan" und
"eine Faste" geheiligt. Da kehrt sich Saul "von dem Nachjagen Davids,"
obgleich doch David der Verfolgte ist, und Abigo.it ist "ein Weib guter Ver¬
nunft." Da soll man keinen "Greuel" essen, und die falschen Propheten pre¬
digen "lose Teidinge." Kurz die Revisoren haben nach meinem "Geburten"
so viel Veraltetes "überlassen," daß man nicht weiß, "was Nutzes" die ganze
Revision haben soll. So redet oder schreibt jetzt niemand mehr, auch der
Geistliche auf der Kanzel würde sich lächerlich machen, wenn er diese Sprache
reden wollte. Man fagt, die Altertümlichkeit verleihe der Bibelsprache den
feierlichen Klang, der sie von der gewöhnlichen Tageslitteratur unterscheide.


Bibelrevision und Bibelübersetzung

fleußt und geußt, Schleuße und verdreußt, gebeut und trauet, fähet
und empfcihet ucich wie vor. Allerdings fehlt es nicht an Abwechslung. Bei
der Schöpfung kreucht das Gewürm, bei der Sintflut kriechet es; im Para¬
diese fließt der Fluß, aber im Lande Kanaan fleußt Milch und Honig, der
Herr sagt zu Jakob: „Zeuch gen Beth-El," aber Jsciak befiehlt ihm: „Zieh
nach Mesopotamien." In mancher Beziehung ist die Sprache der Bibel durch
die Revision sogar altertümlicher geworden, als sie vorher war. So sind
z. B. die Formen hub und stund, die aus der Cansteinschen Ausgabe schon
verbannt waren, wiederhergestellt worden. Und wie oft kommen gerade diese
Formen vor! Durch die ganze Bibel klingt es: hub, aufhub, erhub, stund,
entstund, verstund! Für geworden, gekommen, geblieben sind die ver¬
kürzten Formen worden, kommen, blieben hineinkorrigirt worden; nackend
ist wieder zu nacket, klarer zu klärer geworden; eine Neuheit ist das Wort
etwo für Luthers etwa, das soviel wie irgendwo bedeuten soll: ,,O, hätte
ich Flügel wie Tauben, daß ich flöge und etwo bliebe!" (Pf. 55,7). „Soll
die Schuljugend — heißt es in den Grundsätzen der Revision (Z 13) — und
soll das Volk Tag für Tag eine unzählbare Menge von veralteten Formen
lesen, welche die Schriftsprache der Gegenwart aufgegeben hat?" Auf diese
Frage der Revision ist ihr Werk eine seltsame Antwort. Einzelne Formen,
die jetzt als Sprachfehler gelten, wie preisete, meldete, uuterweisete, ge-
nennet, sahe u. a. find allerdings geändert worden. Formen wie trunk,
sunt, bunten, fürchte, reuchst u. s. w. hat man nicht wieder aufgenommen,
obgleich sie ebenso berechtigt sind wie hub und stund, zeucht und fleucht.
Auch rufte ist nur an ein paar Stellen (Matth. 22, 3; 1. Matt. 13, 50;
Luk. 13, 12) wieder hineinkorrigirt worden. Aber im allgemeinen ist doch die
Sprache der Bibel recht altertümlich geblieben, es ist nicht unsre Sprache,
wenn wir da lesen: so für welcher oder wenn, sintemal und dieweil,
desselbigen gleichen, herdurch, hinnieder, ander; auch ruchtbar, thör-
lich, frevellich und nördlich, Kohlfeuer und Rauchwerk, niedrigen
und r in gern und noch viele andre Ausdrücke, die „weiland" gebräulich waren!
Da wird die Sünde noch immer „gerochen," und der König Darius kommt
„ungegessen" zur Löwengrube Daniels. Da wird eine Schlacht „gethan" und
„eine Faste" geheiligt. Da kehrt sich Saul „von dem Nachjagen Davids,"
obgleich doch David der Verfolgte ist, und Abigo.it ist „ein Weib guter Ver¬
nunft." Da soll man keinen „Greuel" essen, und die falschen Propheten pre¬
digen „lose Teidinge." Kurz die Revisoren haben nach meinem „Geburten"
so viel Veraltetes „überlassen," daß man nicht weiß, „was Nutzes" die ganze
Revision haben soll. So redet oder schreibt jetzt niemand mehr, auch der
Geistliche auf der Kanzel würde sich lächerlich machen, wenn er diese Sprache
reden wollte. Man fagt, die Altertümlichkeit verleihe der Bibelsprache den
feierlichen Klang, der sie von der gewöhnlichen Tageslitteratur unterscheide.


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[0319] Bibelrevision und Bibelübersetzung fleußt und geußt, Schleuße und verdreußt, gebeut und trauet, fähet und empfcihet ucich wie vor. Allerdings fehlt es nicht an Abwechslung. Bei der Schöpfung kreucht das Gewürm, bei der Sintflut kriechet es; im Para¬ diese fließt der Fluß, aber im Lande Kanaan fleußt Milch und Honig, der Herr sagt zu Jakob: „Zeuch gen Beth-El," aber Jsciak befiehlt ihm: „Zieh nach Mesopotamien." In mancher Beziehung ist die Sprache der Bibel durch die Revision sogar altertümlicher geworden, als sie vorher war. So sind z. B. die Formen hub und stund, die aus der Cansteinschen Ausgabe schon verbannt waren, wiederhergestellt worden. Und wie oft kommen gerade diese Formen vor! Durch die ganze Bibel klingt es: hub, aufhub, erhub, stund, entstund, verstund! Für geworden, gekommen, geblieben sind die ver¬ kürzten Formen worden, kommen, blieben hineinkorrigirt worden; nackend ist wieder zu nacket, klarer zu klärer geworden; eine Neuheit ist das Wort etwo für Luthers etwa, das soviel wie irgendwo bedeuten soll: ,,O, hätte ich Flügel wie Tauben, daß ich flöge und etwo bliebe!" (Pf. 55,7). „Soll die Schuljugend — heißt es in den Grundsätzen der Revision (Z 13) — und soll das Volk Tag für Tag eine unzählbare Menge von veralteten Formen lesen, welche die Schriftsprache der Gegenwart aufgegeben hat?" Auf diese Frage der Revision ist ihr Werk eine seltsame Antwort. Einzelne Formen, die jetzt als Sprachfehler gelten, wie preisete, meldete, uuterweisete, ge- nennet, sahe u. a. find allerdings geändert worden. Formen wie trunk, sunt, bunten, fürchte, reuchst u. s. w. hat man nicht wieder aufgenommen, obgleich sie ebenso berechtigt sind wie hub und stund, zeucht und fleucht. Auch rufte ist nur an ein paar Stellen (Matth. 22, 3; 1. Matt. 13, 50; Luk. 13, 12) wieder hineinkorrigirt worden. Aber im allgemeinen ist doch die Sprache der Bibel recht altertümlich geblieben, es ist nicht unsre Sprache, wenn wir da lesen: so für welcher oder wenn, sintemal und dieweil, desselbigen gleichen, herdurch, hinnieder, ander; auch ruchtbar, thör- lich, frevellich und nördlich, Kohlfeuer und Rauchwerk, niedrigen und r in gern und noch viele andre Ausdrücke, die „weiland" gebräulich waren! Da wird die Sünde noch immer „gerochen," und der König Darius kommt „ungegessen" zur Löwengrube Daniels. Da wird eine Schlacht „gethan" und „eine Faste" geheiligt. Da kehrt sich Saul „von dem Nachjagen Davids," obgleich doch David der Verfolgte ist, und Abigo.it ist „ein Weib guter Ver¬ nunft." Da soll man keinen „Greuel" essen, und die falschen Propheten pre¬ digen „lose Teidinge." Kurz die Revisoren haben nach meinem „Geburten" so viel Veraltetes „überlassen," daß man nicht weiß, „was Nutzes" die ganze Revision haben soll. So redet oder schreibt jetzt niemand mehr, auch der Geistliche auf der Kanzel würde sich lächerlich machen, wenn er diese Sprache reden wollte. Man fagt, die Altertümlichkeit verleihe der Bibelsprache den feierlichen Klang, der sie von der gewöhnlichen Tageslitteratur unterscheide.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/319>, abgerufen am 25.05.2024.