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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Medor Kommunismus noch Kapitalismus

tigung nachzuweisen." Die Rücksicht wird nicht lange zu nehmen sein, denn
selbstverständlich werden, wenn der Plan gelingt, NichtMitglieder vorgezogen
werden und die Gewerkvereine an Auszehrung sterben; ohne gesetzliches Kvali-
tionsverbot wird ihnen der Garaus gemacht werden. Gelingt der Plan nicht,
so vermag die englische Industrie ihre Konkurrenten nicht zu unterbieten und
verliert den Weltmarkt in beschleunigtem Tempo. Es handelt sich also jetzt
in England um die Entscheidung, ob die Arbeiter in die alte Knechtschaft
zurücksinken oder als freie Männer im Elend verkommen sollen. Das wäre
der Anfang vom Ende.

Zum Schluß müssen wir uns doch auch den englischen Mittelstand noch
ein wenig näher besehen. Wir haben schon in der Kritik von Wolfs Ein¬
kommen- und Konsumstatistik bemerkt, daß er uns nicht zu imponiren vermöge;
bei einer Prüfung der Bestandteile dieses Mittelstandes schrumpft seine Be¬
deutung noch mehr zusammen. Den Hauptbestandteil jedes gediegnen Mittel¬
standes bildet die Bauernschaft. Der Bauer ist der freieste und unabhängigste
Mann im Lande, seine Lebensweise und Beschäftigung sind die natürlichsten,
gesündesten und beglückeudsten, für Leib und Seele, Gemüt und Sittlichkeit
zuträglichsten, und seine Existenz ist die einzige unbedingt sichere; nur ein Erd¬
beben kaun sie vernichten. Wie steht es nun in England -- nicht um die
Bauern, sondern zunächst nur um die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe?
Die über 300 Acres abgerechnet, hatte Großbritannien (England, Wales und
Schottland) im Jahre 1886 ungefähr 540000 Betriebe, auch noch die unter
5 Aeres abgerechnet, 390752. Seitdem hat ihre Zahl noch weiter abge¬
nommen. Das deutsche Reich hatte nach der Erhebung von 1882/33 2189522
kleine und bäuerliche Betriebe, und bäuerliche im engern Sinne des Wortes,
d.h. solche zwischen 5 und 100 Hektaren, 1208115. Nun reicht zwar jene
englische Klasse zwischen 5 und 300 Acres tiefer hinunter und weiter hinauf,
als die deutsche Klasse zwischen 5 und 100 Hektaren, demnach ist die Zatzl
der dieser entsprechenden Bauern in England noch kleiner als 390000; aber
da die amtlichen Angaben, die wir dem Handwörterbuch der Staatswissen¬
schaften von Konrad und Lexis entnehmen, die Zahlen, die wir eigentlich
brauchen, nicht enthalten, so lassen wir es bei den oben angegebnen bewenden.
Die Einwohnerzahl Großbritanniens betrügt rund zwei Drittel (genauer elf
Sechzehntel) von der des deutscheu Reichs, sodaß wir, um das Verhältnis
herauszubekommen, die für Deutschland angegebnen Zahlen auf 1400000 und
900000 herabsetzen müsse". Wir sehen dann, daß Deutschland sowohl um
landwirtschaftlichen Betrieben überhaupt wie an solchen vom Umfang einer
eigentlichen Baueruwirtschaft absolut viermal, im Verhältnis ungefähr dreimal
so viel hat als Großbritannien. Noch ungünstiger würde die Rechnung fiir
England ausfalle", wenn wir die Zahl der deutschen Rittergüter anzugeben
vermöchten, deren Besitzer, wenn sie nicht Güterkomplexe, sondern nur ein


Medor Kommunismus noch Kapitalismus

tigung nachzuweisen." Die Rücksicht wird nicht lange zu nehmen sein, denn
selbstverständlich werden, wenn der Plan gelingt, NichtMitglieder vorgezogen
werden und die Gewerkvereine an Auszehrung sterben; ohne gesetzliches Kvali-
tionsverbot wird ihnen der Garaus gemacht werden. Gelingt der Plan nicht,
so vermag die englische Industrie ihre Konkurrenten nicht zu unterbieten und
verliert den Weltmarkt in beschleunigtem Tempo. Es handelt sich also jetzt
in England um die Entscheidung, ob die Arbeiter in die alte Knechtschaft
zurücksinken oder als freie Männer im Elend verkommen sollen. Das wäre
der Anfang vom Ende.

Zum Schluß müssen wir uns doch auch den englischen Mittelstand noch
ein wenig näher besehen. Wir haben schon in der Kritik von Wolfs Ein¬
kommen- und Konsumstatistik bemerkt, daß er uns nicht zu imponiren vermöge;
bei einer Prüfung der Bestandteile dieses Mittelstandes schrumpft seine Be¬
deutung noch mehr zusammen. Den Hauptbestandteil jedes gediegnen Mittel¬
standes bildet die Bauernschaft. Der Bauer ist der freieste und unabhängigste
Mann im Lande, seine Lebensweise und Beschäftigung sind die natürlichsten,
gesündesten und beglückeudsten, für Leib und Seele, Gemüt und Sittlichkeit
zuträglichsten, und seine Existenz ist die einzige unbedingt sichere; nur ein Erd¬
beben kaun sie vernichten. Wie steht es nun in England — nicht um die
Bauern, sondern zunächst nur um die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe?
Die über 300 Acres abgerechnet, hatte Großbritannien (England, Wales und
Schottland) im Jahre 1886 ungefähr 540000 Betriebe, auch noch die unter
5 Aeres abgerechnet, 390752. Seitdem hat ihre Zahl noch weiter abge¬
nommen. Das deutsche Reich hatte nach der Erhebung von 1882/33 2189522
kleine und bäuerliche Betriebe, und bäuerliche im engern Sinne des Wortes,
d.h. solche zwischen 5 und 100 Hektaren, 1208115. Nun reicht zwar jene
englische Klasse zwischen 5 und 300 Acres tiefer hinunter und weiter hinauf,
als die deutsche Klasse zwischen 5 und 100 Hektaren, demnach ist die Zatzl
der dieser entsprechenden Bauern in England noch kleiner als 390000; aber
da die amtlichen Angaben, die wir dem Handwörterbuch der Staatswissen¬
schaften von Konrad und Lexis entnehmen, die Zahlen, die wir eigentlich
brauchen, nicht enthalten, so lassen wir es bei den oben angegebnen bewenden.
Die Einwohnerzahl Großbritanniens betrügt rund zwei Drittel (genauer elf
Sechzehntel) von der des deutscheu Reichs, sodaß wir, um das Verhältnis
herauszubekommen, die für Deutschland angegebnen Zahlen auf 1400000 und
900000 herabsetzen müsse». Wir sehen dann, daß Deutschland sowohl um
landwirtschaftlichen Betrieben überhaupt wie an solchen vom Umfang einer
eigentlichen Baueruwirtschaft absolut viermal, im Verhältnis ungefähr dreimal
so viel hat als Großbritannien. Noch ungünstiger würde die Rechnung fiir
England ausfalle», wenn wir die Zahl der deutschen Rittergüter anzugeben
vermöchten, deren Besitzer, wenn sie nicht Güterkomplexe, sondern nur ein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/32>, abgerufen am 13.05.2024.