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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Wir glauben nicht, daß jemand, der sonst keine Achtung vor der Bibel hat,
durch diese altertümliche Sprache zur Andacht gestimmt werden wird. Eher
wird er den Eindruck einer veralteten Sache bekommen. Von der gewöhn¬
lichen Tageslitteratnr wird sich die Bibelsprache hinlänglich unterscheiden, wenn
sie durchweg edel, rein und richtig ist. Der Eindruck, den die Wahrheit des
Wortes Gottes auf die Herzen macht, wird sich eher Verstürken, wenn es die
lebendige Sprache der Gegenwart, wenn es unsre Sprache ist, die wir da
hören. Die Propheten und Apostel haben ja auch nicht eine veraltete Sprache
gebraucht, sondern in der Sprache ihrer Zeit das Wort Gottes verkündet und
niedergeschrieben. Überdies hat diese altertümliche Sprache auch kein geschicht¬
liches Recht. Es ist ja doch nicht die unverfälschte Sprache Luthers, auch
nicht eine Sprache, die sich in natürlicher Entwicklung gebildet hat, sondern
ein künstliches und willkürliches Gemenge von veralteten und modernen Formen.
So hat man z. B. in taufenden von Verbalformen das tonlose e vor der En¬
dung, das der Sprache Luthers einen altertümlichen Klang verleiht, gelassen:
Du glaubest, er hoffet, sie erbebeten, die verkehreten Menschen! Aber
die Form: du weißest, die die Probebibel wiederbrachte, hat man doch aus¬
gemerzt. Freilich hat das e in gehest und stehest, wo man es gelassen hat,
ebenso wenig Berechtigung. Überdies hat man ja doch viele Formen ver¬
ändert. Luther hat für das schwache Präteritum drei Formen, z. B. hörte,
hörete und verkürzt: höret. Diese dritte Form, die allerdings nicht mehr
verwendbar ist, hat man regelmäßig durch die jetzt gewöhnliche Form hörte
ersetzt. Das ist aber Willkür, da ja höret aus hörete abgekürzt ist und
diese breitern Formen sonst sehr häufig vorkommen. Ferner hat man unserm
Sprachgebrauch entsprechend verkürzt, wenn der Endung eine unbetonte Silbe
vorausgeht, und z. B. verkündigten für Luthers verkündigeten geschrieben.
Endlich wird öfters, wenn sich der Stammvokal bei der Flexion des Präsens
verändert, das tonlose e ausgeworfen, z. B. du hilfst, du trittst, er stößt,
er fällt; bei diesen Zeitwörtern haben ja die vollem Formen jetzt einen be¬
sonders fremdartigen Klang. Trotzdem hat man diese Änderung nicht durch¬
geführt. Sehr häufig lesen wir Formen wie: er stirbet, wüchset, stößet,
drischet, du verrätest, schläfest, brichest, feindicht. Ebenso launenhaft
sind die Verkürzungen, die man sich hie und da besonders bei nachfolgendem
Vokal gestattet hat. Es heißt: thu ich, hab ich, heb auf, erhalt mich,
aber: stehe ab, sollte ich, höre ich, wache auf. Überhaupt ist die Re¬
vision von nichts so fern als von steifem Regelzwang. Das zeigt sich auch
in Kleinigkeiten. So ist z. B., während sonst die neue Rechtschreibung durch¬
geführt ist, in der Schreibweise zusammengesetzter Zeitwörter beständiger Wechsel,
bald wird getrennt, bald verbunden. Die jetzt nicht übliche Trennung ist
besonders häufig bei Verbindungen mit hinauf, hinein, zusammen, hin,
weg, durch: man soll hinauf steigen, hin gehen, weg nehmen, dnrch


Wir glauben nicht, daß jemand, der sonst keine Achtung vor der Bibel hat,
durch diese altertümliche Sprache zur Andacht gestimmt werden wird. Eher
wird er den Eindruck einer veralteten Sache bekommen. Von der gewöhn¬
lichen Tageslitteratnr wird sich die Bibelsprache hinlänglich unterscheiden, wenn
sie durchweg edel, rein und richtig ist. Der Eindruck, den die Wahrheit des
Wortes Gottes auf die Herzen macht, wird sich eher Verstürken, wenn es die
lebendige Sprache der Gegenwart, wenn es unsre Sprache ist, die wir da
hören. Die Propheten und Apostel haben ja auch nicht eine veraltete Sprache
gebraucht, sondern in der Sprache ihrer Zeit das Wort Gottes verkündet und
niedergeschrieben. Überdies hat diese altertümliche Sprache auch kein geschicht¬
liches Recht. Es ist ja doch nicht die unverfälschte Sprache Luthers, auch
nicht eine Sprache, die sich in natürlicher Entwicklung gebildet hat, sondern
ein künstliches und willkürliches Gemenge von veralteten und modernen Formen.
So hat man z. B. in taufenden von Verbalformen das tonlose e vor der En¬
dung, das der Sprache Luthers einen altertümlichen Klang verleiht, gelassen:
Du glaubest, er hoffet, sie erbebeten, die verkehreten Menschen! Aber
die Form: du weißest, die die Probebibel wiederbrachte, hat man doch aus¬
gemerzt. Freilich hat das e in gehest und stehest, wo man es gelassen hat,
ebenso wenig Berechtigung. Überdies hat man ja doch viele Formen ver¬
ändert. Luther hat für das schwache Präteritum drei Formen, z. B. hörte,
hörete und verkürzt: höret. Diese dritte Form, die allerdings nicht mehr
verwendbar ist, hat man regelmäßig durch die jetzt gewöhnliche Form hörte
ersetzt. Das ist aber Willkür, da ja höret aus hörete abgekürzt ist und
diese breitern Formen sonst sehr häufig vorkommen. Ferner hat man unserm
Sprachgebrauch entsprechend verkürzt, wenn der Endung eine unbetonte Silbe
vorausgeht, und z. B. verkündigten für Luthers verkündigeten geschrieben.
Endlich wird öfters, wenn sich der Stammvokal bei der Flexion des Präsens
verändert, das tonlose e ausgeworfen, z. B. du hilfst, du trittst, er stößt,
er fällt; bei diesen Zeitwörtern haben ja die vollem Formen jetzt einen be¬
sonders fremdartigen Klang. Trotzdem hat man diese Änderung nicht durch¬
geführt. Sehr häufig lesen wir Formen wie: er stirbet, wüchset, stößet,
drischet, du verrätest, schläfest, brichest, feindicht. Ebenso launenhaft
sind die Verkürzungen, die man sich hie und da besonders bei nachfolgendem
Vokal gestattet hat. Es heißt: thu ich, hab ich, heb auf, erhalt mich,
aber: stehe ab, sollte ich, höre ich, wache auf. Überhaupt ist die Re¬
vision von nichts so fern als von steifem Regelzwang. Das zeigt sich auch
in Kleinigkeiten. So ist z. B., während sonst die neue Rechtschreibung durch¬
geführt ist, in der Schreibweise zusammengesetzter Zeitwörter beständiger Wechsel,
bald wird getrennt, bald verbunden. Die jetzt nicht übliche Trennung ist
besonders häufig bei Verbindungen mit hinauf, hinein, zusammen, hin,
weg, durch: man soll hinauf steigen, hin gehen, weg nehmen, dnrch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/320>, abgerufen am 17.06.2024.