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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Die Sprache dos Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuchs

Sprache nicht entsprechende Künstlichkeit der Perioden vorgeworfen. Manche
rügen das -- wie sie sagen -- bis zur Pedanterie getriebne Streben nach
eindeutigen technischen Ausdrücken; andre tadeln, daß überhaupt Kunstaus¬
drücke geschaffen oder der Rechtswissenschaft in einer bestimmten Bedeutung
aufgenötigt worden seien. Von einer nichtakademischen Seite (den Deutsch-So¬
zialen Blättern) wird behauptet, die Sprache des Entwurfs sei "eher im Tone
einer Instruktion für Bureaudiener" gehalten.

Es finden sich jedoch anch wohlwollende Beurteiler. Sie loben die Kürze,
Knappheit, Klarheit und Genauigkeit der Sprache; sie finden die Ausdrucks¬
weise im großen und ganzen einfach und ungekünstelt, sich an die Begriffe
des gewöhnlichen Lebens anschließend.

Eine dritte Gruppe giebt die UnVolkstümlichkeit der Sprache zu, bezeichnet
aber eine volkstümliche Sprache, soweit sie überhaupt erreichbar sei, als etwas
im Interesse der Sicherheit der Rechtsanwendung gar nicht erstrebenswertes,
oder doch nnr als ein zwar angenehmes, aber den wahren Wert des Gesetz¬
buchs keinesfalls wesentlich erhöhendes Beiwerk.

Aber alle die Beurteilungen, die mir zu Gesichte gekommen sind, be¬
schränken sich, was die Sprache betrifft, ans mehr oder weniger allgemeine
Aussprüche; nur einzelne gehen ans diese oder jene Gesetzesstelle, auf diesen
oder jenen besondern Vorzug oder Mangel ein. Eine eingehendere Besprechung
hat die Sprache des Entwurfs, so viel ich weiß, noch nirgends erfahren.
Eine längere Abhandlung Adolf Kellers (Zeitschrift des Allgemeinen Deutschen
Sprachvereins, Juni und Juli 1888) beschäftigt sich nnr mit den Fremdwörtern.

Im folgenden soll nun die Sprache des Entwurfs eingehender behandelt
werden. Dabei werden einige kleine Übergriffe ins Juristische nicht zu ver¬
meiden sein, im allgemeinen aber werde ich mich auf das eigentliche Gebiet
der Sprache beschränken und deshalb auch mancherlei Verwandtes, das einer
Besprechung wert wäre, z. B. die geradezu unleidlich gehäuften Verweisungen
auf andre Gesetzesstellen, unberührt lassen. Auch eine Mitbesprechung der Ar¬
beiten der jetzt in Berlin lagerten zweiten Kommission muß unterbleiben, weil
diese Kommission ihre Arbeiten "unter Vorbehalt späterer Redaktion" ver¬
öffentlicht.

Vorzüge und Mängel der Sprache eines Gesetzes sind nicht mit gewöhn¬
lichem Maßstabe zu messen. Dem Gesetzgeber ist vieles versagt, was sonst
einem Schriftsteller nützen kann. Er muß Fülle und Schwung, Bilder und
Gleichnisse, Wechsel im Satzbau und in den Ausdrücken beiseite setzen ^ von
Feuer, Farbe und Humor ganz zu schweigen. Seine Sprache darf nicht einem
Flusse mit wechselnder Breite und Tiefe, mit Wogen und Fällen gleichen; sie
muß sein wie ein Kanal, der dann am besten ist, wenn er überall gleichmäßig
beschaffen ist. Klare Gedanken klar, knapp und einfach wiederzugeben, das ist
die einzige Richtschnur für die Gesetzessprache. Nur darin besteht die Schön-


Grenzboten I 1893 4
Die Sprache dos Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuchs

Sprache nicht entsprechende Künstlichkeit der Perioden vorgeworfen. Manche
rügen das — wie sie sagen — bis zur Pedanterie getriebne Streben nach
eindeutigen technischen Ausdrücken; andre tadeln, daß überhaupt Kunstaus¬
drücke geschaffen oder der Rechtswissenschaft in einer bestimmten Bedeutung
aufgenötigt worden seien. Von einer nichtakademischen Seite (den Deutsch-So¬
zialen Blättern) wird behauptet, die Sprache des Entwurfs sei „eher im Tone
einer Instruktion für Bureaudiener" gehalten.

Es finden sich jedoch anch wohlwollende Beurteiler. Sie loben die Kürze,
Knappheit, Klarheit und Genauigkeit der Sprache; sie finden die Ausdrucks¬
weise im großen und ganzen einfach und ungekünstelt, sich an die Begriffe
des gewöhnlichen Lebens anschließend.

Eine dritte Gruppe giebt die UnVolkstümlichkeit der Sprache zu, bezeichnet
aber eine volkstümliche Sprache, soweit sie überhaupt erreichbar sei, als etwas
im Interesse der Sicherheit der Rechtsanwendung gar nicht erstrebenswertes,
oder doch nnr als ein zwar angenehmes, aber den wahren Wert des Gesetz¬
buchs keinesfalls wesentlich erhöhendes Beiwerk.

Aber alle die Beurteilungen, die mir zu Gesichte gekommen sind, be¬
schränken sich, was die Sprache betrifft, ans mehr oder weniger allgemeine
Aussprüche; nur einzelne gehen ans diese oder jene Gesetzesstelle, auf diesen
oder jenen besondern Vorzug oder Mangel ein. Eine eingehendere Besprechung
hat die Sprache des Entwurfs, so viel ich weiß, noch nirgends erfahren.
Eine längere Abhandlung Adolf Kellers (Zeitschrift des Allgemeinen Deutschen
Sprachvereins, Juni und Juli 1888) beschäftigt sich nnr mit den Fremdwörtern.

Im folgenden soll nun die Sprache des Entwurfs eingehender behandelt
werden. Dabei werden einige kleine Übergriffe ins Juristische nicht zu ver¬
meiden sein, im allgemeinen aber werde ich mich auf das eigentliche Gebiet
der Sprache beschränken und deshalb auch mancherlei Verwandtes, das einer
Besprechung wert wäre, z. B. die geradezu unleidlich gehäuften Verweisungen
auf andre Gesetzesstellen, unberührt lassen. Auch eine Mitbesprechung der Ar¬
beiten der jetzt in Berlin lagerten zweiten Kommission muß unterbleiben, weil
diese Kommission ihre Arbeiten „unter Vorbehalt späterer Redaktion" ver¬
öffentlicht.

Vorzüge und Mängel der Sprache eines Gesetzes sind nicht mit gewöhn¬
lichem Maßstabe zu messen. Dem Gesetzgeber ist vieles versagt, was sonst
einem Schriftsteller nützen kann. Er muß Fülle und Schwung, Bilder und
Gleichnisse, Wechsel im Satzbau und in den Ausdrücken beiseite setzen ^ von
Feuer, Farbe und Humor ganz zu schweigen. Seine Sprache darf nicht einem
Flusse mit wechselnder Breite und Tiefe, mit Wogen und Fällen gleichen; sie
muß sein wie ein Kanal, der dann am besten ist, wenn er überall gleichmäßig
beschaffen ist. Klare Gedanken klar, knapp und einfach wiederzugeben, das ist
die einzige Richtschnur für die Gesetzessprache. Nur darin besteht die Schön-


Grenzboten I 1893 4
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/35>, abgerufen am 13.05.2024.