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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Die Sprache des Entwurfs eüies bürgerlichen Gesetzbuchs

heit der Sprache eines Gesetzes, daß die Redeweise leichtverständlich, kurz und
schlicht ist.

Über die Berechtigung dieser Erfordernisse wird niemand streiten. Man
erhebt aber heutzutage weiter den Ruf nach volkstümlicher Sprache der Ge¬
setze. Was heißt bei einem Gesetze volkstümliche Sprache? Doch wohl eine
Allsdrucksweise, die es möglich macht, daß jedermann aus dem Volke mit
seinem ungeschulten Verstände den Inhalt begreift. Für ein Gesetz nun, dessen
Gegenstand von jedermann verstanden werden kann, wie z. B. die Krankenver¬
sicherung, mag dieses Verlangen erfüllbar sein; für ein so gewaltiges und
schwieriges Gebiet, wie es das bürgerliche Recht ist, kann davon nicht die
Rede sein. So spröder Stoff, wie er hier überwiegt, ist für eine volkstüm¬
liche Behandlung unzugänglich. Man denke sich beispielsweise Begriffsbe¬
stimmungen! Und ein solchen müßte ein volkstümliches Gesetzbuch reich sein,
weil alle Fachausdrücke, ohne die eine Wissenschaft nicht bestehen kann, dem
Laien erklärt werden müßten, 1") des Entwurfs lautet: "Auf Verhältnisse,
für welche das Gesetz keine Vorschrift enthält, finden die für rechtsähnliche
Verhültnisfe gegebnen Vorschriften entsprechende Anwendung. In Ermangelung
solcher Vorschriften sind die aus dem Geiste der Rechtsordnung sich ergebenden
Grundsätze maßgebend." In dieser Bestimmung ist eine ganze Welt juristischer
Vorstellungen eingeschlossen, Vorstellungen, von denen sich der Mann aus dem
Volke kein Bild machen kann. Was sind für ihn rechtsähnlichc Verhältnisse?
Was thut er mit dem Begriffe "entsprechende Rechtsanwendung"? Was ist
ihm der Geist der Rechtsordnung?

Aber es giebt auch Dinge im bürgerlichen Rechte, die selbst dem feiner
geschulten Nichtjuristen nur schwer zugänglich sind. Man denke an die schwie¬
rigen Gebiete der Gesamtschuldverhältuisse, der Stellvertretung, der sogenannten
Publizität, des Irrtums, der Rückforderungen; an die feinen Unterscheidungen
zwischen Unwirksamkeit, Nichtigkeit, Anfechtbarkeit, zwischen Bedingung und
Voraussetzung. Wäre es aber auch möglich, solche Dinge volkstümlich dar¬
zustellen der Erfolg wäre dennoch gering; man würde mir ein äußerliches
Verstehen, ein Verstehen dem Buchstaben nach erreichen. Der Umfang des
Gesetzbuchs aber würde der zehnfache sein, und überdies müßte ein allgemeines
Rechtsnachschlagebuch beigegeben werden.

Um die einzelnen Bestimmungen eines Gesetzes zu verstehen, muß man
den Inhalt des ganzen Gesetzes kennen; denn jede einzelne Bestimmung steht



*) Die neue Kommission hat den ganzen Paragraphen gestrichen; sie erklärt seinen In¬
halt für selbstverständlich. Hieraus wie aus dem Streichen mancher andern leitenden Allge-
meinregcl -- und schon der Entwurf enthält im Vergleich zu andern GeseMchern solche
Regeln nur in geringer Zahl -- ersieht man, dajj die neue Kommission gänzlich darauf ver¬
zichtet, von Laien verstanden zu werden, denn solche allgemeine Dinge sind nur den Juristen
bekannt.
Die Sprache des Entwurfs eüies bürgerlichen Gesetzbuchs

heit der Sprache eines Gesetzes, daß die Redeweise leichtverständlich, kurz und
schlicht ist.

Über die Berechtigung dieser Erfordernisse wird niemand streiten. Man
erhebt aber heutzutage weiter den Ruf nach volkstümlicher Sprache der Ge¬
setze. Was heißt bei einem Gesetze volkstümliche Sprache? Doch wohl eine
Allsdrucksweise, die es möglich macht, daß jedermann aus dem Volke mit
seinem ungeschulten Verstände den Inhalt begreift. Für ein Gesetz nun, dessen
Gegenstand von jedermann verstanden werden kann, wie z. B. die Krankenver¬
sicherung, mag dieses Verlangen erfüllbar sein; für ein so gewaltiges und
schwieriges Gebiet, wie es das bürgerliche Recht ist, kann davon nicht die
Rede sein. So spröder Stoff, wie er hier überwiegt, ist für eine volkstüm¬
liche Behandlung unzugänglich. Man denke sich beispielsweise Begriffsbe¬
stimmungen! Und ein solchen müßte ein volkstümliches Gesetzbuch reich sein,
weil alle Fachausdrücke, ohne die eine Wissenschaft nicht bestehen kann, dem
Laien erklärt werden müßten, 1") des Entwurfs lautet: „Auf Verhältnisse,
für welche das Gesetz keine Vorschrift enthält, finden die für rechtsähnliche
Verhültnisfe gegebnen Vorschriften entsprechende Anwendung. In Ermangelung
solcher Vorschriften sind die aus dem Geiste der Rechtsordnung sich ergebenden
Grundsätze maßgebend." In dieser Bestimmung ist eine ganze Welt juristischer
Vorstellungen eingeschlossen, Vorstellungen, von denen sich der Mann aus dem
Volke kein Bild machen kann. Was sind für ihn rechtsähnlichc Verhältnisse?
Was thut er mit dem Begriffe „entsprechende Rechtsanwendung"? Was ist
ihm der Geist der Rechtsordnung?

Aber es giebt auch Dinge im bürgerlichen Rechte, die selbst dem feiner
geschulten Nichtjuristen nur schwer zugänglich sind. Man denke an die schwie¬
rigen Gebiete der Gesamtschuldverhältuisse, der Stellvertretung, der sogenannten
Publizität, des Irrtums, der Rückforderungen; an die feinen Unterscheidungen
zwischen Unwirksamkeit, Nichtigkeit, Anfechtbarkeit, zwischen Bedingung und
Voraussetzung. Wäre es aber auch möglich, solche Dinge volkstümlich dar¬
zustellen der Erfolg wäre dennoch gering; man würde mir ein äußerliches
Verstehen, ein Verstehen dem Buchstaben nach erreichen. Der Umfang des
Gesetzbuchs aber würde der zehnfache sein, und überdies müßte ein allgemeines
Rechtsnachschlagebuch beigegeben werden.

Um die einzelnen Bestimmungen eines Gesetzes zu verstehen, muß man
den Inhalt des ganzen Gesetzes kennen; denn jede einzelne Bestimmung steht



*) Die neue Kommission hat den ganzen Paragraphen gestrichen; sie erklärt seinen In¬
halt für selbstverständlich. Hieraus wie aus dem Streichen mancher andern leitenden Allge-
meinregcl — und schon der Entwurf enthält im Vergleich zu andern GeseMchern solche
Regeln nur in geringer Zahl — ersieht man, dajj die neue Kommission gänzlich darauf ver¬
zichtet, von Laien verstanden zu werden, denn solche allgemeine Dinge sind nur den Juristen
bekannt.
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[0036] Die Sprache des Entwurfs eüies bürgerlichen Gesetzbuchs heit der Sprache eines Gesetzes, daß die Redeweise leichtverständlich, kurz und schlicht ist. Über die Berechtigung dieser Erfordernisse wird niemand streiten. Man erhebt aber heutzutage weiter den Ruf nach volkstümlicher Sprache der Ge¬ setze. Was heißt bei einem Gesetze volkstümliche Sprache? Doch wohl eine Allsdrucksweise, die es möglich macht, daß jedermann aus dem Volke mit seinem ungeschulten Verstände den Inhalt begreift. Für ein Gesetz nun, dessen Gegenstand von jedermann verstanden werden kann, wie z. B. die Krankenver¬ sicherung, mag dieses Verlangen erfüllbar sein; für ein so gewaltiges und schwieriges Gebiet, wie es das bürgerliche Recht ist, kann davon nicht die Rede sein. So spröder Stoff, wie er hier überwiegt, ist für eine volkstüm¬ liche Behandlung unzugänglich. Man denke sich beispielsweise Begriffsbe¬ stimmungen! Und ein solchen müßte ein volkstümliches Gesetzbuch reich sein, weil alle Fachausdrücke, ohne die eine Wissenschaft nicht bestehen kann, dem Laien erklärt werden müßten, 1") des Entwurfs lautet: „Auf Verhältnisse, für welche das Gesetz keine Vorschrift enthält, finden die für rechtsähnliche Verhültnisfe gegebnen Vorschriften entsprechende Anwendung. In Ermangelung solcher Vorschriften sind die aus dem Geiste der Rechtsordnung sich ergebenden Grundsätze maßgebend." In dieser Bestimmung ist eine ganze Welt juristischer Vorstellungen eingeschlossen, Vorstellungen, von denen sich der Mann aus dem Volke kein Bild machen kann. Was sind für ihn rechtsähnlichc Verhältnisse? Was thut er mit dem Begriffe „entsprechende Rechtsanwendung"? Was ist ihm der Geist der Rechtsordnung? Aber es giebt auch Dinge im bürgerlichen Rechte, die selbst dem feiner geschulten Nichtjuristen nur schwer zugänglich sind. Man denke an die schwie¬ rigen Gebiete der Gesamtschuldverhältuisse, der Stellvertretung, der sogenannten Publizität, des Irrtums, der Rückforderungen; an die feinen Unterscheidungen zwischen Unwirksamkeit, Nichtigkeit, Anfechtbarkeit, zwischen Bedingung und Voraussetzung. Wäre es aber auch möglich, solche Dinge volkstümlich dar¬ zustellen der Erfolg wäre dennoch gering; man würde mir ein äußerliches Verstehen, ein Verstehen dem Buchstaben nach erreichen. Der Umfang des Gesetzbuchs aber würde der zehnfache sein, und überdies müßte ein allgemeines Rechtsnachschlagebuch beigegeben werden. Um die einzelnen Bestimmungen eines Gesetzes zu verstehen, muß man den Inhalt des ganzen Gesetzes kennen; denn jede einzelne Bestimmung steht *) Die neue Kommission hat den ganzen Paragraphen gestrichen; sie erklärt seinen In¬ halt für selbstverständlich. Hieraus wie aus dem Streichen mancher andern leitenden Allge- meinregcl — und schon der Entwurf enthält im Vergleich zu andern GeseMchern solche Regeln nur in geringer Zahl — ersieht man, dajj die neue Kommission gänzlich darauf ver¬ zichtet, von Laien verstanden zu werden, denn solche allgemeine Dinge sind nur den Juristen bekannt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/36>, abgerufen am 13.05.2024.