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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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großer Unabhängigkeit erwachsen, emanzipirt, aber doch nicht im schlechten Sinne,
gut gebildet, nicht verbildet, sie ist heiter ohne Albernheit, selbstbewußt
ohne Überhebung, leider trotz aller dieser guten Seiten von der schlimmsten
Krankheit der Zeit, dem Hang zum Wohlleben, zum äußerlichen Luxus er¬
griffen. Sie verkehrt mit so vielen reichen Leuten, daß ihr gleichsam unwill¬
kürlich die Äußerlichkeiten ihres behaglich bürgerlichen Dnseins widerwärtig
geworden sind. ,,Jch halt es mehr mit Bonwitt und Littauer als mit einer
kleinen Schneiderin, die schon um acht Uhr früh kommt und eine merkwür¬
dige Hof- und Hinterstubenatmosphäre mit ins Haus bringt und zum zweiten
Frühstück ein Brötchen mit Schlackwurst und vielleicht auch einen Gilka kriegt."
Sie weiß sehr gut, daß ihr Vetter, der Oberlehrer Marcell Wedderkopp, eine
ehrliche warme Neigung für sie hegt und für sich kein besseres Glück weiß,
als sie zur Frau zu gewinnen, aber wie Marcell ganz richtig sagt: eine lichter¬
lohe Leidenschaft kaun er in ihr nicht entzünden. "Vielleicht ist sie solcher
Leidenschaft nicht einmal fähig; aber wenn anch, wie soll ein Vetter feine
Cousine zur Leidenschaft anstacheln? Das kommt gar nicht vor." Und so
schlägt Fräulein Corinna, der natürlich Marcell Wedderkovv im Grunde viel
mehr gilt, als der gutmütige aber schwache Leopold Treibet, die bescheidne
Zukuuftsaussicht in den Wind und jagt der Hoffnung auf eine Villa, eine
Equipage und unbeschränkte Eleganz der Toilette nach. Ihr Vater, der alte
Romantiker und vielseitige Philologe Wilibald Schmidt, weiß allerdings von
vornherein ganz genau, wie die wunderliche Konstellation, unter der die Schick¬
sale Mareells und Corinnas zu stehen scheinen, enden wird. Er ist der ein¬
zige, der die Treibeis und jedenfalls seine Freundin und ehemalige Geliebte
Jennh ganz genau kennt und mit unbarmherziger Kritik seinem Neffen Marcell
erklärt: ,,Jch habe das Glück gehabt an mir selbst und zwar als Objekt und
Opfer das Wesen meiner Freundin Jenny studiren zu können. Jennh Bürsten¬
binder, das ist ihr Vatersname, wie dn vielleicht schon weißt, ist der Typus
einer Bonrgeoise. Es ist eine gefährliche Person und um so gefährlicher, als
sich selbst nicht recht weiß und sich aufrichtig einbildet, ein gefühlvolles Herz
und vor allem ein Herz "für das Höhere" zu haben. Aber sie hat nnr ein
Herz für das Ponderable, für alles, was ins Gewicht fällt und Zins trägt,
und für viel weniger als eine halbe Million giebt sie den Leopold nicht weg,
die halbe Million mag herkommen, woher sie will. Und dieser arme Leopold
selbst! So viel weißt du doch, der ist nicht der Mensch des Aufbäumens oder
der Eseapade nach Gretnagreen. Ich sage dir, Marcell, unter Bruckner thun
es Treibeis nicht, und Kvegel ist ihnen noch lieber. Denn je mehr es nach
Hof schmeckt, desto besser. Sie liberalisiren und sentimentalisiren beständig,
aber das ist alles Farce; wenn es gilt, Farbe zu bekennen, dann heißt es:
Gold ist Trumpf, und weiter nichts."

Die Ereignisse geben dem gescheiten alten Herrn und behaglichen Egoisten


großer Unabhängigkeit erwachsen, emanzipirt, aber doch nicht im schlechten Sinne,
gut gebildet, nicht verbildet, sie ist heiter ohne Albernheit, selbstbewußt
ohne Überhebung, leider trotz aller dieser guten Seiten von der schlimmsten
Krankheit der Zeit, dem Hang zum Wohlleben, zum äußerlichen Luxus er¬
griffen. Sie verkehrt mit so vielen reichen Leuten, daß ihr gleichsam unwill¬
kürlich die Äußerlichkeiten ihres behaglich bürgerlichen Dnseins widerwärtig
geworden sind. ,,Jch halt es mehr mit Bonwitt und Littauer als mit einer
kleinen Schneiderin, die schon um acht Uhr früh kommt und eine merkwür¬
dige Hof- und Hinterstubenatmosphäre mit ins Haus bringt und zum zweiten
Frühstück ein Brötchen mit Schlackwurst und vielleicht auch einen Gilka kriegt."
Sie weiß sehr gut, daß ihr Vetter, der Oberlehrer Marcell Wedderkopp, eine
ehrliche warme Neigung für sie hegt und für sich kein besseres Glück weiß,
als sie zur Frau zu gewinnen, aber wie Marcell ganz richtig sagt: eine lichter¬
lohe Leidenschaft kaun er in ihr nicht entzünden. „Vielleicht ist sie solcher
Leidenschaft nicht einmal fähig; aber wenn anch, wie soll ein Vetter feine
Cousine zur Leidenschaft anstacheln? Das kommt gar nicht vor." Und so
schlägt Fräulein Corinna, der natürlich Marcell Wedderkovv im Grunde viel
mehr gilt, als der gutmütige aber schwache Leopold Treibet, die bescheidne
Zukuuftsaussicht in den Wind und jagt der Hoffnung auf eine Villa, eine
Equipage und unbeschränkte Eleganz der Toilette nach. Ihr Vater, der alte
Romantiker und vielseitige Philologe Wilibald Schmidt, weiß allerdings von
vornherein ganz genau, wie die wunderliche Konstellation, unter der die Schick¬
sale Mareells und Corinnas zu stehen scheinen, enden wird. Er ist der ein¬
zige, der die Treibeis und jedenfalls seine Freundin und ehemalige Geliebte
Jennh ganz genau kennt und mit unbarmherziger Kritik seinem Neffen Marcell
erklärt: ,,Jch habe das Glück gehabt an mir selbst und zwar als Objekt und
Opfer das Wesen meiner Freundin Jenny studiren zu können. Jennh Bürsten¬
binder, das ist ihr Vatersname, wie dn vielleicht schon weißt, ist der Typus
einer Bonrgeoise. Es ist eine gefährliche Person und um so gefährlicher, als
sich selbst nicht recht weiß und sich aufrichtig einbildet, ein gefühlvolles Herz
und vor allem ein Herz „für das Höhere" zu haben. Aber sie hat nnr ein
Herz für das Ponderable, für alles, was ins Gewicht fällt und Zins trägt,
und für viel weniger als eine halbe Million giebt sie den Leopold nicht weg,
die halbe Million mag herkommen, woher sie will. Und dieser arme Leopold
selbst! So viel weißt du doch, der ist nicht der Mensch des Aufbäumens oder
der Eseapade nach Gretnagreen. Ich sage dir, Marcell, unter Bruckner thun
es Treibeis nicht, und Kvegel ist ihnen noch lieber. Denn je mehr es nach
Hof schmeckt, desto besser. Sie liberalisiren und sentimentalisiren beständig,
aber das ist alles Farce; wenn es gilt, Farbe zu bekennen, dann heißt es:
Gold ist Trumpf, und weiter nichts."

Die Ereignisse geben dem gescheiten alten Herrn und behaglichen Egoisten


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[0352] großer Unabhängigkeit erwachsen, emanzipirt, aber doch nicht im schlechten Sinne, gut gebildet, nicht verbildet, sie ist heiter ohne Albernheit, selbstbewußt ohne Überhebung, leider trotz aller dieser guten Seiten von der schlimmsten Krankheit der Zeit, dem Hang zum Wohlleben, zum äußerlichen Luxus er¬ griffen. Sie verkehrt mit so vielen reichen Leuten, daß ihr gleichsam unwill¬ kürlich die Äußerlichkeiten ihres behaglich bürgerlichen Dnseins widerwärtig geworden sind. ,,Jch halt es mehr mit Bonwitt und Littauer als mit einer kleinen Schneiderin, die schon um acht Uhr früh kommt und eine merkwür¬ dige Hof- und Hinterstubenatmosphäre mit ins Haus bringt und zum zweiten Frühstück ein Brötchen mit Schlackwurst und vielleicht auch einen Gilka kriegt." Sie weiß sehr gut, daß ihr Vetter, der Oberlehrer Marcell Wedderkopp, eine ehrliche warme Neigung für sie hegt und für sich kein besseres Glück weiß, als sie zur Frau zu gewinnen, aber wie Marcell ganz richtig sagt: eine lichter¬ lohe Leidenschaft kaun er in ihr nicht entzünden. „Vielleicht ist sie solcher Leidenschaft nicht einmal fähig; aber wenn anch, wie soll ein Vetter feine Cousine zur Leidenschaft anstacheln? Das kommt gar nicht vor." Und so schlägt Fräulein Corinna, der natürlich Marcell Wedderkovv im Grunde viel mehr gilt, als der gutmütige aber schwache Leopold Treibet, die bescheidne Zukuuftsaussicht in den Wind und jagt der Hoffnung auf eine Villa, eine Equipage und unbeschränkte Eleganz der Toilette nach. Ihr Vater, der alte Romantiker und vielseitige Philologe Wilibald Schmidt, weiß allerdings von vornherein ganz genau, wie die wunderliche Konstellation, unter der die Schick¬ sale Mareells und Corinnas zu stehen scheinen, enden wird. Er ist der ein¬ zige, der die Treibeis und jedenfalls seine Freundin und ehemalige Geliebte Jennh ganz genau kennt und mit unbarmherziger Kritik seinem Neffen Marcell erklärt: ,,Jch habe das Glück gehabt an mir selbst und zwar als Objekt und Opfer das Wesen meiner Freundin Jenny studiren zu können. Jennh Bürsten¬ binder, das ist ihr Vatersname, wie dn vielleicht schon weißt, ist der Typus einer Bonrgeoise. Es ist eine gefährliche Person und um so gefährlicher, als sich selbst nicht recht weiß und sich aufrichtig einbildet, ein gefühlvolles Herz und vor allem ein Herz „für das Höhere" zu haben. Aber sie hat nnr ein Herz für das Ponderable, für alles, was ins Gewicht fällt und Zins trägt, und für viel weniger als eine halbe Million giebt sie den Leopold nicht weg, die halbe Million mag herkommen, woher sie will. Und dieser arme Leopold selbst! So viel weißt du doch, der ist nicht der Mensch des Aufbäumens oder der Eseapade nach Gretnagreen. Ich sage dir, Marcell, unter Bruckner thun es Treibeis nicht, und Kvegel ist ihnen noch lieber. Denn je mehr es nach Hof schmeckt, desto besser. Sie liberalisiren und sentimentalisiren beständig, aber das ist alles Farce; wenn es gilt, Farbe zu bekennen, dann heißt es: Gold ist Trumpf, und weiter nichts." Die Ereignisse geben dem gescheiten alten Herrn und behaglichen Egoisten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/352>, abgerufen am 05.06.2024.