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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Streif- und Federziige aus vergangnen Tagen

suche", und das konnte dem alten Herrn nicht gilt bekommen. Die viel ältere
Tante hingegen hat weislich in ihren Gewohnheiten nie etwas geändert. Stets
redselig, sich nud ihren Lesern den Kopf nicht beschwerend, immer achtsam auf
den herrschenden Wind, ist sie nach wie vor in alle" Hinterstuben und Vor¬
zimmern wohlgelitten, und man verzeiht ihr wegen der sonstigen Tugenden
die großstädtische Lust an unschädlichen Froudiren, liebt sie vielleicht deshalb
umsomehr.

Die ander" Zeitschriften, i" denen sich manchmal die mißvergnügte Jugend
hatte vernehmen lassen -- so benutzten Junghegelianer gelegentlich eine
Mvdenzeitnng als Organ! --, widerstanden dem Märzsturme nicht. Es war
eine bunte Gesellschaft, und bunt genng, wie gesagt, ihre Mannschaft selbst.
Da war z. B. der "Freimütige" mit dem Kopfe Ulrichs von Hütten als
Vignette. Gegründet hatten dieses Blatt Garlieb Merkel und Kotzebue zu
Anfang des Jahrhunderts; da beide das Talent hüllen, sich mit aller Welt
zu verfeinden, so hielten sie es um so weniger mit einander ans, und die
Busenfreundschaft verwandelte sich in herzlichste Feindschaft. Nach dem Kriege,
der dein "Freimütigen" das Lebenslicht ausgeblasen hatte, rief es Merkel mit
dem Holzschneider und vielseitige" Schriftsteller Gubitz wieder ins Leben, be¬
währte aber auch da seine unglückliche Gabe. Von seinen Nachfolgern in der
Redaktion ist mir aus den dreißiger Jahren erinnerlich Adolf Glaßbrenner,
der so rücksichtslos nach allen Seiten um sich schlug, daß der Verleger die Ent¬
rüstung der Betroffnen durch Berufung des sanftern Klette zu beschwichtigen
suchte. Glaßbrenners Hauptopfer war ein Herr Joel Jacoby, der sich über¬
haupt großer Beliebtheit erfreute. Wurde in der Konditorei von Stehely in
der Charlottenstraße, wo sich die "Litteraten" versammelten, wie die Offiziere
bei Kranzler (eigentliche Kaffeehäuser entstanden ja in Berlin erst viel später),
ein Lokalblatt gefordert, so flüsterte gewöhnlich der Kellner mit verschmitztem
Gesichte: Herr Joel Jacobs sitzt darauf -- ein Beweis, daß sich das Blatt
mit ihm in nicht gerade schmeichelhafter Weise beschäftigt hatte. In späterer
Zeit soll er in der offiziöse" Presse sehr thätig gewesen sei". Als sich Gubitz
1817 von Merkel trennte, schuf er sich sein eignes Organ, den "Gesellschafter,"
der bis 1348 ein anspruchsloses Dasein geführt hat, und dann, ebenso wie
andre belletristisch-kritische Blätter vormärzlicher Zeit, plötzlich von Lesern und
Mitarbeitern verlassen wurde. Holtei und Gubitz selbst habe" in ihren Er¬
innerungen mit aller Umständlichkeit die Periode geschildert, in der das Theater
fast das ganze Interesse des gebildeten Berlins für sich in Anspruch nahm;
und wenn sich auch, wie erwähnt, in den vierziger Jahren die Kritik sehr
lebhaft noch mit andern Dingen, z. B. mit Kirche und Staat, beschäftigte, so
blieb für die Zeitschriften alten Stils das Auftreten von Jennh Lind, Liszt
oder auch einer Soubrette, die irgend einer "Juste" oder dergleichen eine neue
Seite abgewann, viel wichtiger als alle Politik. Um so überraschender war


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suche», und das konnte dem alten Herrn nicht gilt bekommen. Die viel ältere
Tante hingegen hat weislich in ihren Gewohnheiten nie etwas geändert. Stets
redselig, sich nud ihren Lesern den Kopf nicht beschwerend, immer achtsam auf
den herrschenden Wind, ist sie nach wie vor in alle» Hinterstuben und Vor¬
zimmern wohlgelitten, und man verzeiht ihr wegen der sonstigen Tugenden
die großstädtische Lust an unschädlichen Froudiren, liebt sie vielleicht deshalb
umsomehr.

Die ander» Zeitschriften, i» denen sich manchmal die mißvergnügte Jugend
hatte vernehmen lassen — so benutzten Junghegelianer gelegentlich eine
Mvdenzeitnng als Organ! —, widerstanden dem Märzsturme nicht. Es war
eine bunte Gesellschaft, und bunt genng, wie gesagt, ihre Mannschaft selbst.
Da war z. B. der „Freimütige" mit dem Kopfe Ulrichs von Hütten als
Vignette. Gegründet hatten dieses Blatt Garlieb Merkel und Kotzebue zu
Anfang des Jahrhunderts; da beide das Talent hüllen, sich mit aller Welt
zu verfeinden, so hielten sie es um so weniger mit einander ans, und die
Busenfreundschaft verwandelte sich in herzlichste Feindschaft. Nach dem Kriege,
der dein „Freimütigen" das Lebenslicht ausgeblasen hatte, rief es Merkel mit
dem Holzschneider und vielseitige» Schriftsteller Gubitz wieder ins Leben, be¬
währte aber auch da seine unglückliche Gabe. Von seinen Nachfolgern in der
Redaktion ist mir aus den dreißiger Jahren erinnerlich Adolf Glaßbrenner,
der so rücksichtslos nach allen Seiten um sich schlug, daß der Verleger die Ent¬
rüstung der Betroffnen durch Berufung des sanftern Klette zu beschwichtigen
suchte. Glaßbrenners Hauptopfer war ein Herr Joel Jacoby, der sich über¬
haupt großer Beliebtheit erfreute. Wurde in der Konditorei von Stehely in
der Charlottenstraße, wo sich die „Litteraten" versammelten, wie die Offiziere
bei Kranzler (eigentliche Kaffeehäuser entstanden ja in Berlin erst viel später),
ein Lokalblatt gefordert, so flüsterte gewöhnlich der Kellner mit verschmitztem
Gesichte: Herr Joel Jacobs sitzt darauf — ein Beweis, daß sich das Blatt
mit ihm in nicht gerade schmeichelhafter Weise beschäftigt hatte. In späterer
Zeit soll er in der offiziöse» Presse sehr thätig gewesen sei». Als sich Gubitz
1817 von Merkel trennte, schuf er sich sein eignes Organ, den „Gesellschafter,"
der bis 1348 ein anspruchsloses Dasein geführt hat, und dann, ebenso wie
andre belletristisch-kritische Blätter vormärzlicher Zeit, plötzlich von Lesern und
Mitarbeitern verlassen wurde. Holtei und Gubitz selbst habe» in ihren Er¬
innerungen mit aller Umständlichkeit die Periode geschildert, in der das Theater
fast das ganze Interesse des gebildeten Berlins für sich in Anspruch nahm;
und wenn sich auch, wie erwähnt, in den vierziger Jahren die Kritik sehr
lebhaft noch mit andern Dingen, z. B. mit Kirche und Staat, beschäftigte, so
blieb für die Zeitschriften alten Stils das Auftreten von Jennh Lind, Liszt
oder auch einer Soubrette, die irgend einer „Juste" oder dergleichen eine neue
Seite abgewann, viel wichtiger als alle Politik. Um so überraschender war


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[0498] Streif- und Federziige aus vergangnen Tagen suche», und das konnte dem alten Herrn nicht gilt bekommen. Die viel ältere Tante hingegen hat weislich in ihren Gewohnheiten nie etwas geändert. Stets redselig, sich nud ihren Lesern den Kopf nicht beschwerend, immer achtsam auf den herrschenden Wind, ist sie nach wie vor in alle» Hinterstuben und Vor¬ zimmern wohlgelitten, und man verzeiht ihr wegen der sonstigen Tugenden die großstädtische Lust an unschädlichen Froudiren, liebt sie vielleicht deshalb umsomehr. Die ander» Zeitschriften, i» denen sich manchmal die mißvergnügte Jugend hatte vernehmen lassen — so benutzten Junghegelianer gelegentlich eine Mvdenzeitnng als Organ! —, widerstanden dem Märzsturme nicht. Es war eine bunte Gesellschaft, und bunt genng, wie gesagt, ihre Mannschaft selbst. Da war z. B. der „Freimütige" mit dem Kopfe Ulrichs von Hütten als Vignette. Gegründet hatten dieses Blatt Garlieb Merkel und Kotzebue zu Anfang des Jahrhunderts; da beide das Talent hüllen, sich mit aller Welt zu verfeinden, so hielten sie es um so weniger mit einander ans, und die Busenfreundschaft verwandelte sich in herzlichste Feindschaft. Nach dem Kriege, der dein „Freimütigen" das Lebenslicht ausgeblasen hatte, rief es Merkel mit dem Holzschneider und vielseitige» Schriftsteller Gubitz wieder ins Leben, be¬ währte aber auch da seine unglückliche Gabe. Von seinen Nachfolgern in der Redaktion ist mir aus den dreißiger Jahren erinnerlich Adolf Glaßbrenner, der so rücksichtslos nach allen Seiten um sich schlug, daß der Verleger die Ent¬ rüstung der Betroffnen durch Berufung des sanftern Klette zu beschwichtigen suchte. Glaßbrenners Hauptopfer war ein Herr Joel Jacoby, der sich über¬ haupt großer Beliebtheit erfreute. Wurde in der Konditorei von Stehely in der Charlottenstraße, wo sich die „Litteraten" versammelten, wie die Offiziere bei Kranzler (eigentliche Kaffeehäuser entstanden ja in Berlin erst viel später), ein Lokalblatt gefordert, so flüsterte gewöhnlich der Kellner mit verschmitztem Gesichte: Herr Joel Jacobs sitzt darauf — ein Beweis, daß sich das Blatt mit ihm in nicht gerade schmeichelhafter Weise beschäftigt hatte. In späterer Zeit soll er in der offiziöse» Presse sehr thätig gewesen sei». Als sich Gubitz 1817 von Merkel trennte, schuf er sich sein eignes Organ, den „Gesellschafter," der bis 1348 ein anspruchsloses Dasein geführt hat, und dann, ebenso wie andre belletristisch-kritische Blätter vormärzlicher Zeit, plötzlich von Lesern und Mitarbeitern verlassen wurde. Holtei und Gubitz selbst habe» in ihren Er¬ innerungen mit aller Umständlichkeit die Periode geschildert, in der das Theater fast das ganze Interesse des gebildeten Berlins für sich in Anspruch nahm; und wenn sich auch, wie erwähnt, in den vierziger Jahren die Kritik sehr lebhaft noch mit andern Dingen, z. B. mit Kirche und Staat, beschäftigte, so blieb für die Zeitschriften alten Stils das Auftreten von Jennh Lind, Liszt oder auch einer Soubrette, die irgend einer „Juste" oder dergleichen eine neue Seite abgewann, viel wichtiger als alle Politik. Um so überraschender war

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/498>, abgerufen am 31.05.2024.