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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Leopold von Gerlach

Widerspruch wird die Auffassung bleiben, daß die Wichtigkeit seiner Regierung
in dieser Beziehung auf zwei Dingen beruht, nämlich auf dem Widerstande, den sie
der Idee der Volkssouveränität entgegengesetzt hat, und auf der Ablehnung
aller Versuche der Westmächte, Preußen und damit Deutschland in den Krim¬
krieg zu verwickeln. Durch das erste ist die Erneuerung des deutschen Reichs
auf monarchischer Grundlage vorbereitet oder wenigstens ermöglicht worden,
durch das zweite die wohlwollende Neutralität, die Rußland während der
deutschen Einheitskriege bewahrt hat, nud die der preußischen Politik so wesent¬
lich zu statten gekommen ist. Unter allen Umstünden hat Sybel namentlich
in Bezug auf diese beiden Punkte völlig Recht, wenn er am Schlüsse seiner
glänzenden Charakteristik des Königs sagt: "Die geschichtliche Verantwortung
für alle wesentlichen Akte seiner Regierung gebührt ihm, und ihm allein."

Um so wichtiger wird es sein, alles zu sammeln, was über diesen eigen¬
tümlichen, vielfach scheinbar rätselhaften Charakter Ausschluß geben kann. Vieles
hat hier Ranke geleistet, der in der "Allgemeinen Deutschen Biographie" zwar
kein gleichmäßig ausgeführtes Lebensbild Friedrich Wilhelms IV., aber doch eine
grundlegende Darstellung über seine Erziehung und über die Berufung des Ver¬
einigten Landtags gegeben hat. Tief in die eigentümliche Gedankenwelt des Königs
führt eines der ebenfalls von Ranke veröffentlichte Briefwechsel des Königs mit
I. v. Bunsen ein, andres bringen die "Denkwürdigkeiten" Rovus und die ersten
Bände der Erinnerungen des Herzogs Ernst von Koburg-Gotha. Mehr noch, na¬
mentlich von Briefschaften, mag noch verborge" liegen, wie z. B. zahlreiche an
den Prinzen Johann von Sachsen gerichtete Schreiben in Dresden. Von allem,
was bisher veröffentlicht worden ist, nehmen nun ohne Zweifel die "Denk¬
würdigkeiten des Generals Leopold von Gerlach" den ersten Rang ein."°) Denn
Leopold von Gerlach, der Bruder des bekannten "Nuudschauers der Kreuz-
zeitung," Ludwig von Gerlach (-j- 1877), und des um die Seelsorge Berlins hoch¬
verdienten Otto von Gerlach 1848), hat dem König während seiner ganzen
Regierung von allen Menschen, vielleicht seine Gemahlin, Königin Elisabeth,
ausgenommen, am nächsten gestanden und auf seine Regierungshandlungen
einen großen Einfluß ausgeübt, soweit Friedrich Wilhelm überhaupt einen
solchen auf sich wirken ließ. Es erklärt sich das erstens aus der amtlichen
Stellung des Generals, sodann aber und vor allen Dingen aus der innern
Verwandtschaft der Weltanschauung beider.

Gerlach stammte aus eiuer Familie, die nach der Überlieferung im Mittel¬
alter aus den Niederlanden eingewandert war, sich in der jetzt preußischen
Oberlausitz um Görlitz angesiedelt und von König Sigismund 1433 Ritter-
rechte und Wappen -- ein aus dem Feuer springendes Pferd -- erhalten hatte.



Denkwürdigkeiten aus dem Leben Leopold von Gerlachs. Nach seinen
Aufzeichnungen herausgegeben von seiner Tochter. 2 Bände (mit einem Bildnis), 843 und
788 S. Berlin, Wilhelm Hertz, 18"1, 1892.
Leopold von Gerlach

Widerspruch wird die Auffassung bleiben, daß die Wichtigkeit seiner Regierung
in dieser Beziehung auf zwei Dingen beruht, nämlich auf dem Widerstande, den sie
der Idee der Volkssouveränität entgegengesetzt hat, und auf der Ablehnung
aller Versuche der Westmächte, Preußen und damit Deutschland in den Krim¬
krieg zu verwickeln. Durch das erste ist die Erneuerung des deutschen Reichs
auf monarchischer Grundlage vorbereitet oder wenigstens ermöglicht worden,
durch das zweite die wohlwollende Neutralität, die Rußland während der
deutschen Einheitskriege bewahrt hat, nud die der preußischen Politik so wesent¬
lich zu statten gekommen ist. Unter allen Umstünden hat Sybel namentlich
in Bezug auf diese beiden Punkte völlig Recht, wenn er am Schlüsse seiner
glänzenden Charakteristik des Königs sagt: „Die geschichtliche Verantwortung
für alle wesentlichen Akte seiner Regierung gebührt ihm, und ihm allein."

Um so wichtiger wird es sein, alles zu sammeln, was über diesen eigen¬
tümlichen, vielfach scheinbar rätselhaften Charakter Ausschluß geben kann. Vieles
hat hier Ranke geleistet, der in der „Allgemeinen Deutschen Biographie" zwar
kein gleichmäßig ausgeführtes Lebensbild Friedrich Wilhelms IV., aber doch eine
grundlegende Darstellung über seine Erziehung und über die Berufung des Ver¬
einigten Landtags gegeben hat. Tief in die eigentümliche Gedankenwelt des Königs
führt eines der ebenfalls von Ranke veröffentlichte Briefwechsel des Königs mit
I. v. Bunsen ein, andres bringen die „Denkwürdigkeiten" Rovus und die ersten
Bände der Erinnerungen des Herzogs Ernst von Koburg-Gotha. Mehr noch, na¬
mentlich von Briefschaften, mag noch verborge» liegen, wie z. B. zahlreiche an
den Prinzen Johann von Sachsen gerichtete Schreiben in Dresden. Von allem,
was bisher veröffentlicht worden ist, nehmen nun ohne Zweifel die „Denk¬
würdigkeiten des Generals Leopold von Gerlach" den ersten Rang ein."°) Denn
Leopold von Gerlach, der Bruder des bekannten „Nuudschauers der Kreuz-
zeitung," Ludwig von Gerlach (-j- 1877), und des um die Seelsorge Berlins hoch¬
verdienten Otto von Gerlach 1848), hat dem König während seiner ganzen
Regierung von allen Menschen, vielleicht seine Gemahlin, Königin Elisabeth,
ausgenommen, am nächsten gestanden und auf seine Regierungshandlungen
einen großen Einfluß ausgeübt, soweit Friedrich Wilhelm überhaupt einen
solchen auf sich wirken ließ. Es erklärt sich das erstens aus der amtlichen
Stellung des Generals, sodann aber und vor allen Dingen aus der innern
Verwandtschaft der Weltanschauung beider.

Gerlach stammte aus eiuer Familie, die nach der Überlieferung im Mittel¬
alter aus den Niederlanden eingewandert war, sich in der jetzt preußischen
Oberlausitz um Görlitz angesiedelt und von König Sigismund 1433 Ritter-
rechte und Wappen — ein aus dem Feuer springendes Pferd — erhalten hatte.



Denkwürdigkeiten aus dem Leben Leopold von Gerlachs. Nach seinen
Aufzeichnungen herausgegeben von seiner Tochter. 2 Bände (mit einem Bildnis), 843 und
788 S. Berlin, Wilhelm Hertz, 18»1, 1892.
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[0541] Leopold von Gerlach Widerspruch wird die Auffassung bleiben, daß die Wichtigkeit seiner Regierung in dieser Beziehung auf zwei Dingen beruht, nämlich auf dem Widerstande, den sie der Idee der Volkssouveränität entgegengesetzt hat, und auf der Ablehnung aller Versuche der Westmächte, Preußen und damit Deutschland in den Krim¬ krieg zu verwickeln. Durch das erste ist die Erneuerung des deutschen Reichs auf monarchischer Grundlage vorbereitet oder wenigstens ermöglicht worden, durch das zweite die wohlwollende Neutralität, die Rußland während der deutschen Einheitskriege bewahrt hat, nud die der preußischen Politik so wesent¬ lich zu statten gekommen ist. Unter allen Umstünden hat Sybel namentlich in Bezug auf diese beiden Punkte völlig Recht, wenn er am Schlüsse seiner glänzenden Charakteristik des Königs sagt: „Die geschichtliche Verantwortung für alle wesentlichen Akte seiner Regierung gebührt ihm, und ihm allein." Um so wichtiger wird es sein, alles zu sammeln, was über diesen eigen¬ tümlichen, vielfach scheinbar rätselhaften Charakter Ausschluß geben kann. Vieles hat hier Ranke geleistet, der in der „Allgemeinen Deutschen Biographie" zwar kein gleichmäßig ausgeführtes Lebensbild Friedrich Wilhelms IV., aber doch eine grundlegende Darstellung über seine Erziehung und über die Berufung des Ver¬ einigten Landtags gegeben hat. Tief in die eigentümliche Gedankenwelt des Königs führt eines der ebenfalls von Ranke veröffentlichte Briefwechsel des Königs mit I. v. Bunsen ein, andres bringen die „Denkwürdigkeiten" Rovus und die ersten Bände der Erinnerungen des Herzogs Ernst von Koburg-Gotha. Mehr noch, na¬ mentlich von Briefschaften, mag noch verborge» liegen, wie z. B. zahlreiche an den Prinzen Johann von Sachsen gerichtete Schreiben in Dresden. Von allem, was bisher veröffentlicht worden ist, nehmen nun ohne Zweifel die „Denk¬ würdigkeiten des Generals Leopold von Gerlach" den ersten Rang ein."°) Denn Leopold von Gerlach, der Bruder des bekannten „Nuudschauers der Kreuz- zeitung," Ludwig von Gerlach (-j- 1877), und des um die Seelsorge Berlins hoch¬ verdienten Otto von Gerlach 1848), hat dem König während seiner ganzen Regierung von allen Menschen, vielleicht seine Gemahlin, Königin Elisabeth, ausgenommen, am nächsten gestanden und auf seine Regierungshandlungen einen großen Einfluß ausgeübt, soweit Friedrich Wilhelm überhaupt einen solchen auf sich wirken ließ. Es erklärt sich das erstens aus der amtlichen Stellung des Generals, sodann aber und vor allen Dingen aus der innern Verwandtschaft der Weltanschauung beider. Gerlach stammte aus eiuer Familie, die nach der Überlieferung im Mittel¬ alter aus den Niederlanden eingewandert war, sich in der jetzt preußischen Oberlausitz um Görlitz angesiedelt und von König Sigismund 1433 Ritter- rechte und Wappen — ein aus dem Feuer springendes Pferd — erhalten hatte. Denkwürdigkeiten aus dem Leben Leopold von Gerlachs. Nach seinen Aufzeichnungen herausgegeben von seiner Tochter. 2 Bände (mit einem Bildnis), 843 und 788 S. Berlin, Wilhelm Hertz, 18»1, 1892.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/541>, abgerufen am 11.05.2024.