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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Leopold von Ge"lach

merkungen, namentlich über den König. Der Kreis, den Gerlachs Interessen
umspannen, ist verhältnismäßig beschränkt, denn er ist aus der persönlichen
Umgebung des Königs seit dessen Regierungsantritt nur wenige Jahre ent¬
fernt gewesen und hat in seinen reifern Jahren so gut wie niemals im prak¬
tischen Volksleben gestanden, hat sich auch, wie es scheint, mit der Verwal¬
tung seines Familiengutes Rohrbeck wenig abgeben können. Wie es im Lande
aussieht, weiß er deshalb eigentlich nicht, es scheint ihn das auch nicht sonderlich
zu interessiren. Von den ungeheuern wirtschaftlichen Umwandlungen, deren
Zeuge er war, lassen seine Tagebücher nnr ahnen, daß sie stattfanden; sichtbar
werden sie kaum in etwas anderm als darin, daß sich die Verkehrsmittel
ändern, deren er sich bedient, und der Zollverein wird nur ein paarmal und
flüchtig erwähnt. Auch von der litterarischen, künstlerischen und wissenschaft¬
lichen Entwicklung sieht man wenig oder nichts. Im Vordergründe des Inter¬
esses stehn die kirchlichen und die politischen Vorgänge im Innern wie außer¬
halb Preußens, und selbstverständlich die Persönlichkeiten des Königshauses
und des Hofes. Auf sie fällt oft ein sehr Helles Licht; darin, daß die Denk¬
würdigkeiten in Beziehungen hineinblicken lassen, die oft genug entscheidend
gewesen sind und doch in den Akten gar nicht oder nur verhüllt zum Vor¬
schein kommen, liegt die hervorragendste Bedeutung des Werks, dessen ge¬
schichtlicher Wert im Einzelnen erst allmählich und in eindringender Arbeit
wird gewürdigt werden können.

Alles aber betrachtet und beurteilt Gerlach von einem ihm unverrückbar
feststehenden Standpunkte aus. Vom Beginn seiner Aufzeichnungen an er¬
scheint er als eine festgeschlosseue, in sich unveränderliche Persönlichkeit, auf
deren Grundsätze die Beobachtung des wirklichen Lebens keinen wesentlichen
Einfluß mehr übt. Mit sechzig Jahren erklärt er zu alt zu sein, noch Er¬
fahrungen zu machen. Während Bismarck, der von ähnlichen Grundlagen aus¬
ging, mit beiden Füßen stets auf dem feste" Boden der Wirklichkeit steht und
uicht aufgehört hat zu lernen, ist Gerlach Zeit seines Lebens ein starrer Dok¬
trinär gewesen und geblieben. Er mag darin durch seiue Laufbahn verstärkt
worden sein, aber begründet war es in seinem Bildungsgange. Gerlach wuchs
auf in dem Bewußtsein des schärfsten Gegensatzes zu deu augenblicklich sieg¬
reichen Grundsätzen der französischen Revolution, also der "Aufklärung" des
achtzehnten Jahrhunderts, und diese Feindschaft erhielt eine theoretische Grund¬
lage durch seine wissenschaftlichen Studien. Schon als junger Referendar in
Potsdam hatte er eifrig gegen "Willkür und jedes sogenannte philosophische
Prinzip im Staate, das sich außerhalb der Geschichte bilden will," gestritten,
und der Befreiungskrieg erschien ihm in erster Linie als ein Prinzipienkrieg
der geschichtlichen und legitimen Ordnung gegen die Revolution. In deu ersten
Friedensjahren begeisterte er sich mit seinen Freunden für Hallers "Restau¬
ration der Staatswissenschaft" (seit 1816), das politisch-theoretische Hauptwerk


Leopold von Ge»lach

merkungen, namentlich über den König. Der Kreis, den Gerlachs Interessen
umspannen, ist verhältnismäßig beschränkt, denn er ist aus der persönlichen
Umgebung des Königs seit dessen Regierungsantritt nur wenige Jahre ent¬
fernt gewesen und hat in seinen reifern Jahren so gut wie niemals im prak¬
tischen Volksleben gestanden, hat sich auch, wie es scheint, mit der Verwal¬
tung seines Familiengutes Rohrbeck wenig abgeben können. Wie es im Lande
aussieht, weiß er deshalb eigentlich nicht, es scheint ihn das auch nicht sonderlich
zu interessiren. Von den ungeheuern wirtschaftlichen Umwandlungen, deren
Zeuge er war, lassen seine Tagebücher nnr ahnen, daß sie stattfanden; sichtbar
werden sie kaum in etwas anderm als darin, daß sich die Verkehrsmittel
ändern, deren er sich bedient, und der Zollverein wird nur ein paarmal und
flüchtig erwähnt. Auch von der litterarischen, künstlerischen und wissenschaft¬
lichen Entwicklung sieht man wenig oder nichts. Im Vordergründe des Inter¬
esses stehn die kirchlichen und die politischen Vorgänge im Innern wie außer¬
halb Preußens, und selbstverständlich die Persönlichkeiten des Königshauses
und des Hofes. Auf sie fällt oft ein sehr Helles Licht; darin, daß die Denk¬
würdigkeiten in Beziehungen hineinblicken lassen, die oft genug entscheidend
gewesen sind und doch in den Akten gar nicht oder nur verhüllt zum Vor¬
schein kommen, liegt die hervorragendste Bedeutung des Werks, dessen ge¬
schichtlicher Wert im Einzelnen erst allmählich und in eindringender Arbeit
wird gewürdigt werden können.

Alles aber betrachtet und beurteilt Gerlach von einem ihm unverrückbar
feststehenden Standpunkte aus. Vom Beginn seiner Aufzeichnungen an er¬
scheint er als eine festgeschlosseue, in sich unveränderliche Persönlichkeit, auf
deren Grundsätze die Beobachtung des wirklichen Lebens keinen wesentlichen
Einfluß mehr übt. Mit sechzig Jahren erklärt er zu alt zu sein, noch Er¬
fahrungen zu machen. Während Bismarck, der von ähnlichen Grundlagen aus¬
ging, mit beiden Füßen stets auf dem feste» Boden der Wirklichkeit steht und
uicht aufgehört hat zu lernen, ist Gerlach Zeit seines Lebens ein starrer Dok¬
trinär gewesen und geblieben. Er mag darin durch seiue Laufbahn verstärkt
worden sein, aber begründet war es in seinem Bildungsgange. Gerlach wuchs
auf in dem Bewußtsein des schärfsten Gegensatzes zu deu augenblicklich sieg¬
reichen Grundsätzen der französischen Revolution, also der „Aufklärung" des
achtzehnten Jahrhunderts, und diese Feindschaft erhielt eine theoretische Grund¬
lage durch seine wissenschaftlichen Studien. Schon als junger Referendar in
Potsdam hatte er eifrig gegen „Willkür und jedes sogenannte philosophische
Prinzip im Staate, das sich außerhalb der Geschichte bilden will," gestritten,
und der Befreiungskrieg erschien ihm in erster Linie als ein Prinzipienkrieg
der geschichtlichen und legitimen Ordnung gegen die Revolution. In deu ersten
Friedensjahren begeisterte er sich mit seinen Freunden für Hallers „Restau¬
ration der Staatswissenschaft" (seit 1816), das politisch-theoretische Hauptwerk


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[0545] Leopold von Ge»lach merkungen, namentlich über den König. Der Kreis, den Gerlachs Interessen umspannen, ist verhältnismäßig beschränkt, denn er ist aus der persönlichen Umgebung des Königs seit dessen Regierungsantritt nur wenige Jahre ent¬ fernt gewesen und hat in seinen reifern Jahren so gut wie niemals im prak¬ tischen Volksleben gestanden, hat sich auch, wie es scheint, mit der Verwal¬ tung seines Familiengutes Rohrbeck wenig abgeben können. Wie es im Lande aussieht, weiß er deshalb eigentlich nicht, es scheint ihn das auch nicht sonderlich zu interessiren. Von den ungeheuern wirtschaftlichen Umwandlungen, deren Zeuge er war, lassen seine Tagebücher nnr ahnen, daß sie stattfanden; sichtbar werden sie kaum in etwas anderm als darin, daß sich die Verkehrsmittel ändern, deren er sich bedient, und der Zollverein wird nur ein paarmal und flüchtig erwähnt. Auch von der litterarischen, künstlerischen und wissenschaft¬ lichen Entwicklung sieht man wenig oder nichts. Im Vordergründe des Inter¬ esses stehn die kirchlichen und die politischen Vorgänge im Innern wie außer¬ halb Preußens, und selbstverständlich die Persönlichkeiten des Königshauses und des Hofes. Auf sie fällt oft ein sehr Helles Licht; darin, daß die Denk¬ würdigkeiten in Beziehungen hineinblicken lassen, die oft genug entscheidend gewesen sind und doch in den Akten gar nicht oder nur verhüllt zum Vor¬ schein kommen, liegt die hervorragendste Bedeutung des Werks, dessen ge¬ schichtlicher Wert im Einzelnen erst allmählich und in eindringender Arbeit wird gewürdigt werden können. Alles aber betrachtet und beurteilt Gerlach von einem ihm unverrückbar feststehenden Standpunkte aus. Vom Beginn seiner Aufzeichnungen an er¬ scheint er als eine festgeschlosseue, in sich unveränderliche Persönlichkeit, auf deren Grundsätze die Beobachtung des wirklichen Lebens keinen wesentlichen Einfluß mehr übt. Mit sechzig Jahren erklärt er zu alt zu sein, noch Er¬ fahrungen zu machen. Während Bismarck, der von ähnlichen Grundlagen aus¬ ging, mit beiden Füßen stets auf dem feste» Boden der Wirklichkeit steht und uicht aufgehört hat zu lernen, ist Gerlach Zeit seines Lebens ein starrer Dok¬ trinär gewesen und geblieben. Er mag darin durch seiue Laufbahn verstärkt worden sein, aber begründet war es in seinem Bildungsgange. Gerlach wuchs auf in dem Bewußtsein des schärfsten Gegensatzes zu deu augenblicklich sieg¬ reichen Grundsätzen der französischen Revolution, also der „Aufklärung" des achtzehnten Jahrhunderts, und diese Feindschaft erhielt eine theoretische Grund¬ lage durch seine wissenschaftlichen Studien. Schon als junger Referendar in Potsdam hatte er eifrig gegen „Willkür und jedes sogenannte philosophische Prinzip im Staate, das sich außerhalb der Geschichte bilden will," gestritten, und der Befreiungskrieg erschien ihm in erster Linie als ein Prinzipienkrieg der geschichtlichen und legitimen Ordnung gegen die Revolution. In deu ersten Friedensjahren begeisterte er sich mit seinen Freunden für Hallers „Restau¬ ration der Staatswissenschaft" (seit 1816), das politisch-theoretische Hauptwerk

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/545>, abgerufen am 16.06.2024.