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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Leopold von Gerlach

Hunderts ist sein Ideal, ist ihm der "christliche Staat" schlechtweg, also auch
der sittlich allein berechtigte Staat. Die Büreaukrcitie, das "Offiziantentum,"
ist ihm mit ihrem "Liberalismus" durchaus widerwärtig. Vielmehr soll der
König von Gottes Gnaden umgeben sein von kleinern "Obrigkeiten," die ihre
Gewalten von ihm zu Lehen tragen, demnach ebenfalls von Gottes Gnaden
sind und in ihrem Kreise mit einer gewissen Selbständigkeit walten, also von
den Gutsherren und Stadtobrigkeiten über Bauernschaften und Zünften.
Gleichwohl erklärt er 1847 einmal die Patrimonialgerichtsbarkeit für "sehr
gefährlich," doch wohl nicht grundsätzlich, sondern nur wegen der damaligen
Gesinnung der "Junker," die selbst zum "Nevvlutioniren" bereit seien. Diese
"Obrigkeiten" sind nun auch die natürlichen Vertreter des Volks, weil sie
seiner natürlichen Gliederung entsprechen und auf der christlichen Grundlage
des Staats beruhen. Als "Stände" sollen sie dem König beratend zur Seite
treten. "Stunde sind der Gerechtigkeit und Politik nach notwendig," erklärt
Gerlach 1829. "Ein kräftiger Regent müßte sich dnrch Stände, wir durch Reichs-
stände gegen die Revolution stärken," schreibt er 1830. Höchst abfällig äußert
er sich daher im Juni 1848 über die ganze Regierung Friedrich Wilhelms
des Dritten seit 1807, besonders über die Gesetzgebung Steins und Harden-
bergs, und darin mag die Gesinnung seines Vaters nachklingen. "Durch die
Agrargesctze war das Land kommunistisch revolutionirt, die Achtung vor dem
Eigentum hatte aufgehört. Durch die Stüdteordnuug hatte alle Autorität, alle
Obrigkeit in den Städten aufgehört. Die Landwehr hatte ein populäres
Prinzip in die Armee eingeführt, über das der alte militärische Geist im Lande
wohl Herr geworden war, das sich aber doch bei vielen Gelegenheiten in einer
sehr bedenklichen Weise geltend machte. Die Justiz war durch Kodifikation
und andre falsche Doktrinen ganz vertrocknet und ohne alle Würde und An¬
erkennung im Lande, dem bevorstehenden Kampfe mit der aus revolutionärer
Vorliebe konservirten rheinischen Justiz gar nicht gewachsen." Was dem stän¬
dischen Staate zuwiderläuft, ist demnach unberechtigt, ist "Revolution." Libe¬
ralismus und Konstitutionalismus fallen ihm unter diesen Begriff, da sie ans
dem "Unsinn der Volkssouveränität" beruhen, sie sind ihm "absurd"; er sieht
in den Konstitutionen "ein chemisch zersetzendes Element," er billigt Hallers
Satz von den Fürsten, die selbst die Konstitution eingeführt hätten, es sei in
der Wirkung dasselbe, ob man sich selbst vergifte oder von andern vergiftet
werde, und stellt die konstitutionelle, also gewählte Volksvertretung als eine
"mechanische" der "organischen" durch Stände gegenüber. Nach ihm hat
Preußen die Aufgabe, als ständischer Staat die wahre Freiheit gegen den Ab¬
solutismus auf der einen, den Liberalismus auf der andern Seite zu vertreten.
Die "heilige Allianz" mit Österreich und Rußland gilt ihm allerdings für ein
"Wall gegen die Revolution" und muß deshalb festgehalten werden, aber er
weiß sehr wohl, daß Preußen von beiden Mächten innerlich durch den Absolu-


Greiizboten I 1893 os
Leopold von Gerlach

Hunderts ist sein Ideal, ist ihm der „christliche Staat" schlechtweg, also auch
der sittlich allein berechtigte Staat. Die Büreaukrcitie, das „Offiziantentum,"
ist ihm mit ihrem „Liberalismus" durchaus widerwärtig. Vielmehr soll der
König von Gottes Gnaden umgeben sein von kleinern „Obrigkeiten," die ihre
Gewalten von ihm zu Lehen tragen, demnach ebenfalls von Gottes Gnaden
sind und in ihrem Kreise mit einer gewissen Selbständigkeit walten, also von
den Gutsherren und Stadtobrigkeiten über Bauernschaften und Zünften.
Gleichwohl erklärt er 1847 einmal die Patrimonialgerichtsbarkeit für „sehr
gefährlich," doch wohl nicht grundsätzlich, sondern nur wegen der damaligen
Gesinnung der „Junker," die selbst zum „Nevvlutioniren" bereit seien. Diese
„Obrigkeiten" sind nun auch die natürlichen Vertreter des Volks, weil sie
seiner natürlichen Gliederung entsprechen und auf der christlichen Grundlage
des Staats beruhen. Als „Stände" sollen sie dem König beratend zur Seite
treten. „Stunde sind der Gerechtigkeit und Politik nach notwendig," erklärt
Gerlach 1829. „Ein kräftiger Regent müßte sich dnrch Stände, wir durch Reichs-
stände gegen die Revolution stärken," schreibt er 1830. Höchst abfällig äußert
er sich daher im Juni 1848 über die ganze Regierung Friedrich Wilhelms
des Dritten seit 1807, besonders über die Gesetzgebung Steins und Harden-
bergs, und darin mag die Gesinnung seines Vaters nachklingen. „Durch die
Agrargesctze war das Land kommunistisch revolutionirt, die Achtung vor dem
Eigentum hatte aufgehört. Durch die Stüdteordnuug hatte alle Autorität, alle
Obrigkeit in den Städten aufgehört. Die Landwehr hatte ein populäres
Prinzip in die Armee eingeführt, über das der alte militärische Geist im Lande
wohl Herr geworden war, das sich aber doch bei vielen Gelegenheiten in einer
sehr bedenklichen Weise geltend machte. Die Justiz war durch Kodifikation
und andre falsche Doktrinen ganz vertrocknet und ohne alle Würde und An¬
erkennung im Lande, dem bevorstehenden Kampfe mit der aus revolutionärer
Vorliebe konservirten rheinischen Justiz gar nicht gewachsen." Was dem stän¬
dischen Staate zuwiderläuft, ist demnach unberechtigt, ist „Revolution." Libe¬
ralismus und Konstitutionalismus fallen ihm unter diesen Begriff, da sie ans
dem „Unsinn der Volkssouveränität" beruhen, sie sind ihm „absurd"; er sieht
in den Konstitutionen „ein chemisch zersetzendes Element," er billigt Hallers
Satz von den Fürsten, die selbst die Konstitution eingeführt hätten, es sei in
der Wirkung dasselbe, ob man sich selbst vergifte oder von andern vergiftet
werde, und stellt die konstitutionelle, also gewählte Volksvertretung als eine
„mechanische" der „organischen" durch Stände gegenüber. Nach ihm hat
Preußen die Aufgabe, als ständischer Staat die wahre Freiheit gegen den Ab¬
solutismus auf der einen, den Liberalismus auf der andern Seite zu vertreten.
Die „heilige Allianz" mit Österreich und Rußland gilt ihm allerdings für ein
„Wall gegen die Revolution" und muß deshalb festgehalten werden, aber er
weiß sehr wohl, daß Preußen von beiden Mächten innerlich durch den Absolu-


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[0547] Leopold von Gerlach Hunderts ist sein Ideal, ist ihm der „christliche Staat" schlechtweg, also auch der sittlich allein berechtigte Staat. Die Büreaukrcitie, das „Offiziantentum," ist ihm mit ihrem „Liberalismus" durchaus widerwärtig. Vielmehr soll der König von Gottes Gnaden umgeben sein von kleinern „Obrigkeiten," die ihre Gewalten von ihm zu Lehen tragen, demnach ebenfalls von Gottes Gnaden sind und in ihrem Kreise mit einer gewissen Selbständigkeit walten, also von den Gutsherren und Stadtobrigkeiten über Bauernschaften und Zünften. Gleichwohl erklärt er 1847 einmal die Patrimonialgerichtsbarkeit für „sehr gefährlich," doch wohl nicht grundsätzlich, sondern nur wegen der damaligen Gesinnung der „Junker," die selbst zum „Nevvlutioniren" bereit seien. Diese „Obrigkeiten" sind nun auch die natürlichen Vertreter des Volks, weil sie seiner natürlichen Gliederung entsprechen und auf der christlichen Grundlage des Staats beruhen. Als „Stände" sollen sie dem König beratend zur Seite treten. „Stunde sind der Gerechtigkeit und Politik nach notwendig," erklärt Gerlach 1829. „Ein kräftiger Regent müßte sich dnrch Stände, wir durch Reichs- stände gegen die Revolution stärken," schreibt er 1830. Höchst abfällig äußert er sich daher im Juni 1848 über die ganze Regierung Friedrich Wilhelms des Dritten seit 1807, besonders über die Gesetzgebung Steins und Harden- bergs, und darin mag die Gesinnung seines Vaters nachklingen. „Durch die Agrargesctze war das Land kommunistisch revolutionirt, die Achtung vor dem Eigentum hatte aufgehört. Durch die Stüdteordnuug hatte alle Autorität, alle Obrigkeit in den Städten aufgehört. Die Landwehr hatte ein populäres Prinzip in die Armee eingeführt, über das der alte militärische Geist im Lande wohl Herr geworden war, das sich aber doch bei vielen Gelegenheiten in einer sehr bedenklichen Weise geltend machte. Die Justiz war durch Kodifikation und andre falsche Doktrinen ganz vertrocknet und ohne alle Würde und An¬ erkennung im Lande, dem bevorstehenden Kampfe mit der aus revolutionärer Vorliebe konservirten rheinischen Justiz gar nicht gewachsen." Was dem stän¬ dischen Staate zuwiderläuft, ist demnach unberechtigt, ist „Revolution." Libe¬ ralismus und Konstitutionalismus fallen ihm unter diesen Begriff, da sie ans dem „Unsinn der Volkssouveränität" beruhen, sie sind ihm „absurd"; er sieht in den Konstitutionen „ein chemisch zersetzendes Element," er billigt Hallers Satz von den Fürsten, die selbst die Konstitution eingeführt hätten, es sei in der Wirkung dasselbe, ob man sich selbst vergifte oder von andern vergiftet werde, und stellt die konstitutionelle, also gewählte Volksvertretung als eine „mechanische" der „organischen" durch Stände gegenüber. Nach ihm hat Preußen die Aufgabe, als ständischer Staat die wahre Freiheit gegen den Ab¬ solutismus auf der einen, den Liberalismus auf der andern Seite zu vertreten. Die „heilige Allianz" mit Österreich und Rußland gilt ihm allerdings für ein „Wall gegen die Revolution" und muß deshalb festgehalten werden, aber er weiß sehr wohl, daß Preußen von beiden Mächten innerlich durch den Absolu- Greiizboten I 1893 os

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/547>, abgerufen am 12.05.2024.