Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Leopold von Gerlach

und Österreich zu fordern und die Union dem Bunde unterzuordnen- Jeden¬
falls müsse Nadowitz entlassen werden. Am 2. November nachmittags, unter
dem Eindrucke der Nachricht von dem Einmarsch der Baiern in Hessen ent¬
schied sich der Ministerrat in Brandenburgs Sinne, und Nadowitz gab seine
Entlassung. Was Gerlach über Brandenburgs raschen Tod am 5. November
berichtet, bestätigt durchweg Shbels nüchterne, die herkömmliche Legende zer¬
störende Darstellung. Nach diesem Siege über Nadowitz war ihm "leichter
ums Herz." Als aber um, der österreichische Gesandte von Prokesch-Osten die
völlige Räumung Hessens forderte und die Baiern weiter vorrückten, ohne sich
auf Verhandlungen einzulassen, da sprach sich Gerlach am 4. November beim
König, der ,,im Zustande völliger Verzweiflung" war, für die sofortige Mv-
bilisirung aus, setzte aber gleichzeitig durch, daß der preußische General von
der Gröden Befehl erhielt, ans Hersfeld zurückzugehen. Am 6. November
unterzeichnete der König die Mvbilisirungsordre, die einen Sturm der Be¬
geisterung durch ganz Preußen erweckte, weil man wähnte, die unwürdige Nach¬
giebigkeit sei nun zu Ende. Sie war freilich noch nicht zu Ende. Auf die
Kunde von dem Zusammenstoß bei Brvuzell am 8. November bot Preußen in
Wien die formelle Aufhebung der Union und die Bundesexekution gegen Hol¬
stein an; nur die hessischen Etappenstraßen wollte es behaupten. Am 15. No¬
vember gab der preußische Bevollmächtigte die entsprechende Erklärung im
Fürsteurate der Union ab, die sich damit auflöst. Aber weiter wollte der
König doch nicht zurück. Freilich ,,niemand hat den Mut, es zum Kriege mit
Österreich kommen zu lassen," schrieb Gerlnch an demselben Tage, und er selber
fand, ,,daß wir völlig unfähig sind, einen Krieg gegen Österreich zu führen,
ohne der Revolution in die Hände zu fallen." Dann blieb allerdings nichts
weiter übrig, als alle Forderungen der Gegner, auch die neuen, sich immer
steigernden: erst Durchmarsch der Baiern durch die Etappenstraßen, dann
Räumung auch von Kassel, zu bewilligen. Allerdings mußte Gerlach erleben,
daß sich selbst seine Parteigenossen Bismarck und Kleist-Netzow offen gegen
die Räumung Hessens aussprachen; er wurde darüber ,,ganz heftig." Doch
war dazu kaum ein Grund. Der König beschloß, den stellvertretenden
Ministerpräsidenten Otto von Manteuffel unmittelbar mit Österreich verhandeln
zu lassen, um endlich ins Reine zu kommen, denn er war "eigentlich in seinem
Herzen sehr friedlich gestimmt." So kam es zu der berufnen Zusammenkunft
von Olmütz, zu der sich Fürst Schwarzenberg uur auf unmittelbaren Befehl
seines Kaisers entschloß (28. und 29. November 1850).

- Noch war Gerlach voll banger Sorge: ,,dem Ministerium, kein Armee-
kommando, eine unfertige Armee, die Kammern shell 21. Novembers auf dem
Halse, die lauernden Alliirten der Revolution und der Paulskirche. Nimmt
der Herr nicht das Heft selbst in die Hand, so sehe ich nicht, was werden
soll," so schildert er die Lage am 29. November. Aber am 30. kam Man-


Leopold von Gerlach

und Österreich zu fordern und die Union dem Bunde unterzuordnen- Jeden¬
falls müsse Nadowitz entlassen werden. Am 2. November nachmittags, unter
dem Eindrucke der Nachricht von dem Einmarsch der Baiern in Hessen ent¬
schied sich der Ministerrat in Brandenburgs Sinne, und Nadowitz gab seine
Entlassung. Was Gerlach über Brandenburgs raschen Tod am 5. November
berichtet, bestätigt durchweg Shbels nüchterne, die herkömmliche Legende zer¬
störende Darstellung. Nach diesem Siege über Nadowitz war ihm „leichter
ums Herz." Als aber um, der österreichische Gesandte von Prokesch-Osten die
völlige Räumung Hessens forderte und die Baiern weiter vorrückten, ohne sich
auf Verhandlungen einzulassen, da sprach sich Gerlach am 4. November beim
König, der ,,im Zustande völliger Verzweiflung" war, für die sofortige Mv-
bilisirung aus, setzte aber gleichzeitig durch, daß der preußische General von
der Gröden Befehl erhielt, ans Hersfeld zurückzugehen. Am 6. November
unterzeichnete der König die Mvbilisirungsordre, die einen Sturm der Be¬
geisterung durch ganz Preußen erweckte, weil man wähnte, die unwürdige Nach¬
giebigkeit sei nun zu Ende. Sie war freilich noch nicht zu Ende. Auf die
Kunde von dem Zusammenstoß bei Brvuzell am 8. November bot Preußen in
Wien die formelle Aufhebung der Union und die Bundesexekution gegen Hol¬
stein an; nur die hessischen Etappenstraßen wollte es behaupten. Am 15. No¬
vember gab der preußische Bevollmächtigte die entsprechende Erklärung im
Fürsteurate der Union ab, die sich damit auflöst. Aber weiter wollte der
König doch nicht zurück. Freilich ,,niemand hat den Mut, es zum Kriege mit
Österreich kommen zu lassen," schrieb Gerlnch an demselben Tage, und er selber
fand, ,,daß wir völlig unfähig sind, einen Krieg gegen Österreich zu führen,
ohne der Revolution in die Hände zu fallen." Dann blieb allerdings nichts
weiter übrig, als alle Forderungen der Gegner, auch die neuen, sich immer
steigernden: erst Durchmarsch der Baiern durch die Etappenstraßen, dann
Räumung auch von Kassel, zu bewilligen. Allerdings mußte Gerlach erleben,
daß sich selbst seine Parteigenossen Bismarck und Kleist-Netzow offen gegen
die Räumung Hessens aussprachen; er wurde darüber ,,ganz heftig." Doch
war dazu kaum ein Grund. Der König beschloß, den stellvertretenden
Ministerpräsidenten Otto von Manteuffel unmittelbar mit Österreich verhandeln
zu lassen, um endlich ins Reine zu kommen, denn er war „eigentlich in seinem
Herzen sehr friedlich gestimmt." So kam es zu der berufnen Zusammenkunft
von Olmütz, zu der sich Fürst Schwarzenberg uur auf unmittelbaren Befehl
seines Kaisers entschloß (28. und 29. November 1850).

- Noch war Gerlach voll banger Sorge: ,,dem Ministerium, kein Armee-
kommando, eine unfertige Armee, die Kammern shell 21. Novembers auf dem
Halse, die lauernden Alliirten der Revolution und der Paulskirche. Nimmt
der Herr nicht das Heft selbst in die Hand, so sehe ich nicht, was werden
soll," so schildert er die Lage am 29. November. Aber am 30. kam Man-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0642" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/214434"/>
          <fw type="header" place="top"> Leopold von Gerlach</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2286" prev="#ID_2285"> und Österreich zu fordern und die Union dem Bunde unterzuordnen- Jeden¬<lb/>
falls müsse Nadowitz entlassen werden. Am 2. November nachmittags, unter<lb/>
dem Eindrucke der Nachricht von dem Einmarsch der Baiern in Hessen ent¬<lb/>
schied sich der Ministerrat in Brandenburgs Sinne, und Nadowitz gab seine<lb/>
Entlassung. Was Gerlach über Brandenburgs raschen Tod am 5. November<lb/>
berichtet, bestätigt durchweg Shbels nüchterne, die herkömmliche Legende zer¬<lb/>
störende Darstellung. Nach diesem Siege über Nadowitz war ihm &#x201E;leichter<lb/>
ums Herz." Als aber um, der österreichische Gesandte von Prokesch-Osten die<lb/>
völlige Räumung Hessens forderte und die Baiern weiter vorrückten, ohne sich<lb/>
auf Verhandlungen einzulassen, da sprach sich Gerlach am 4. November beim<lb/>
König, der ,,im Zustande völliger Verzweiflung" war, für die sofortige Mv-<lb/>
bilisirung aus, setzte aber gleichzeitig durch, daß der preußische General von<lb/>
der Gröden Befehl erhielt, ans Hersfeld zurückzugehen. Am 6. November<lb/>
unterzeichnete der König die Mvbilisirungsordre, die einen Sturm der Be¬<lb/>
geisterung durch ganz Preußen erweckte, weil man wähnte, die unwürdige Nach¬<lb/>
giebigkeit sei nun zu Ende. Sie war freilich noch nicht zu Ende. Auf die<lb/>
Kunde von dem Zusammenstoß bei Brvuzell am 8. November bot Preußen in<lb/>
Wien die formelle Aufhebung der Union und die Bundesexekution gegen Hol¬<lb/>
stein an; nur die hessischen Etappenstraßen wollte es behaupten. Am 15. No¬<lb/>
vember gab der preußische Bevollmächtigte die entsprechende Erklärung im<lb/>
Fürsteurate der Union ab, die sich damit auflöst. Aber weiter wollte der<lb/>
König doch nicht zurück. Freilich ,,niemand hat den Mut, es zum Kriege mit<lb/>
Österreich kommen zu lassen," schrieb Gerlnch an demselben Tage, und er selber<lb/>
fand, ,,daß wir völlig unfähig sind, einen Krieg gegen Österreich zu führen,<lb/>
ohne der Revolution in die Hände zu fallen." Dann blieb allerdings nichts<lb/>
weiter übrig, als alle Forderungen der Gegner, auch die neuen, sich immer<lb/>
steigernden: erst Durchmarsch der Baiern durch die Etappenstraßen, dann<lb/>
Räumung auch von Kassel, zu bewilligen. Allerdings mußte Gerlach erleben,<lb/>
daß sich selbst seine Parteigenossen Bismarck und Kleist-Netzow offen gegen<lb/>
die Räumung Hessens aussprachen; er wurde darüber ,,ganz heftig." Doch<lb/>
war dazu kaum ein Grund. Der König beschloß, den stellvertretenden<lb/>
Ministerpräsidenten Otto von Manteuffel unmittelbar mit Österreich verhandeln<lb/>
zu lassen, um endlich ins Reine zu kommen, denn er war &#x201E;eigentlich in seinem<lb/>
Herzen sehr friedlich gestimmt." So kam es zu der berufnen Zusammenkunft<lb/>
von Olmütz, zu der sich Fürst Schwarzenberg uur auf unmittelbaren Befehl<lb/>
seines Kaisers entschloß (28. und 29. November 1850).</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2287" next="#ID_2288"> - Noch war Gerlach voll banger Sorge: ,,dem Ministerium, kein Armee-<lb/>
kommando, eine unfertige Armee, die Kammern shell 21. Novembers auf dem<lb/>
Halse, die lauernden Alliirten der Revolution und der Paulskirche. Nimmt<lb/>
der Herr nicht das Heft selbst in die Hand, so sehe ich nicht, was werden<lb/>
soll," so schildert er die Lage am 29. November.  Aber am 30. kam Man-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0642] Leopold von Gerlach und Österreich zu fordern und die Union dem Bunde unterzuordnen- Jeden¬ falls müsse Nadowitz entlassen werden. Am 2. November nachmittags, unter dem Eindrucke der Nachricht von dem Einmarsch der Baiern in Hessen ent¬ schied sich der Ministerrat in Brandenburgs Sinne, und Nadowitz gab seine Entlassung. Was Gerlach über Brandenburgs raschen Tod am 5. November berichtet, bestätigt durchweg Shbels nüchterne, die herkömmliche Legende zer¬ störende Darstellung. Nach diesem Siege über Nadowitz war ihm „leichter ums Herz." Als aber um, der österreichische Gesandte von Prokesch-Osten die völlige Räumung Hessens forderte und die Baiern weiter vorrückten, ohne sich auf Verhandlungen einzulassen, da sprach sich Gerlach am 4. November beim König, der ,,im Zustande völliger Verzweiflung" war, für die sofortige Mv- bilisirung aus, setzte aber gleichzeitig durch, daß der preußische General von der Gröden Befehl erhielt, ans Hersfeld zurückzugehen. Am 6. November unterzeichnete der König die Mvbilisirungsordre, die einen Sturm der Be¬ geisterung durch ganz Preußen erweckte, weil man wähnte, die unwürdige Nach¬ giebigkeit sei nun zu Ende. Sie war freilich noch nicht zu Ende. Auf die Kunde von dem Zusammenstoß bei Brvuzell am 8. November bot Preußen in Wien die formelle Aufhebung der Union und die Bundesexekution gegen Hol¬ stein an; nur die hessischen Etappenstraßen wollte es behaupten. Am 15. No¬ vember gab der preußische Bevollmächtigte die entsprechende Erklärung im Fürsteurate der Union ab, die sich damit auflöst. Aber weiter wollte der König doch nicht zurück. Freilich ,,niemand hat den Mut, es zum Kriege mit Österreich kommen zu lassen," schrieb Gerlnch an demselben Tage, und er selber fand, ,,daß wir völlig unfähig sind, einen Krieg gegen Österreich zu führen, ohne der Revolution in die Hände zu fallen." Dann blieb allerdings nichts weiter übrig, als alle Forderungen der Gegner, auch die neuen, sich immer steigernden: erst Durchmarsch der Baiern durch die Etappenstraßen, dann Räumung auch von Kassel, zu bewilligen. Allerdings mußte Gerlach erleben, daß sich selbst seine Parteigenossen Bismarck und Kleist-Netzow offen gegen die Räumung Hessens aussprachen; er wurde darüber ,,ganz heftig." Doch war dazu kaum ein Grund. Der König beschloß, den stellvertretenden Ministerpräsidenten Otto von Manteuffel unmittelbar mit Österreich verhandeln zu lassen, um endlich ins Reine zu kommen, denn er war „eigentlich in seinem Herzen sehr friedlich gestimmt." So kam es zu der berufnen Zusammenkunft von Olmütz, zu der sich Fürst Schwarzenberg uur auf unmittelbaren Befehl seines Kaisers entschloß (28. und 29. November 1850). - Noch war Gerlach voll banger Sorge: ,,dem Ministerium, kein Armee- kommando, eine unfertige Armee, die Kammern shell 21. Novembers auf dem Halse, die lauernden Alliirten der Revolution und der Paulskirche. Nimmt der Herr nicht das Heft selbst in die Hand, so sehe ich nicht, was werden soll," so schildert er die Lage am 29. November. Aber am 30. kam Man-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/642
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/642>, abgerufen am 17.06.2024.