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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Leopold von Gerlach

te"ffel mit den "Olmützer Punktntionen" zurück, und der König genehmigte sie
auf Gerlnchs Zureden noch am Abend. Freilich hatte er in der Buudesreform-
frage gar kein sachliches Zugeständnis erreicht, sondern nur das rein formelle,
daß darüber nicht in Frankfurt, sondern ans "freien Konferenzen" in Dresden
entschieden werden solle. Die holsteinische Sache sollte ebenso wenig vom
Bundestage, sondern von einer preußisch-österreichischen Kommission geregelt
werden, Kassel eine preußisch-österreichische Besatzung erhalten, die Exekution
aber den Vundestruppen allein überlassen bleiben. Indem Manteuffel außer¬
dem noch die sofortige Demvbilisiruug der preußischen Armee versprach und
Gerlach die Einwilligung des Königs auch dazu schon am 4. Dezember, aller¬
dings "mit Mühe," erlangt hatte, war Preußen völlig wehrlos gemacht. Aber
Gerlach sah darin "wieder einen Schritt vorwärts." Voll Selbstgefühls hatte
er schon am 12. November geschrieben: "Wir allein ^die beiden Brüder Ger-
lachj haben Nadowitz unablässig bekämpft, vom Mai 1848 an, wir haben die
Minister gegen ihn aufgehetzt, endlich Rochow und den Kaiser von Nußland;
ja wenn man will, selbst Österreich," und am 2^. November, kurz vor Ol-
mütz: "Alles, was Ludwig von mir verlangt, ist jetzt vorhanden: eine selb¬
ständige Stellung gegenüber dein König als eine politische Macht, als Partei-
hanpt, von den Menschen anerkannt." Er fügt allerdings hinzu: "Wie traurig
ist mir diese Lage, und wie sehne ich mich, mit ihr brechen zu können," und
sagt ein andermal: "Ein Sieg über seinen König und Herrn ist doch eine
schwere Sache." Aber daß der Sieg gewonnen ist, das erfüllt ihn trotzdem
mit großer Befriedigung. Am 2. Dezember schreibt er: "Mir ist, nachdem der
völlige Sieg ^nämlich seiner Partei über die "Revolution" j erfochten ist,
ganz so zu Mute, wie im Kriege "ach einer großen Begebenheit, wo alles
anfangs durch einander ist und sich dann erst allmählich zu entwirren anfängt."
Am 7. Dezember nennt er Manteuffel gar einen "großen Diplomaten" und
findet: "Mau sieht die Olmützer Punktationen für eine der gelungensten und
für Preußen ehrenvollsten Negoticitionen an"; später spricht er einmal von
"wunderbaren Fügungen" bei den Olmützer Verhandlungen. Und doch gesteht
er, das Verhältnis zu Österreich sei ans die Dauer unhaltbar, freilich nicht
etwa wegen der deutschen Frage, sondern wegen des Absolutismus, des "Pan-
dnrenregiments" in Österreich, dem nun Preuße" aber doch nicht widerstehen
könne, "denn der Glaube san die Göttlichkeit der ständische" Staatsordnung^ fehlt,
und der kann durch irdische Mittel, irdische Einricht"nge" nicht ersetzt werden."
Mit einem so trübseligen Ausblick in die Zukunft schließt er seine Aufzeichnungen
über das Jahr 1850. Ob er nicht gemerkt hat, daß er damit den völligen innern
Zusnmmenbrnch seines ganzen "Systems" mitten im vollsten "Siege" eingestand?

Die nächsten beiden Jahre zogen nur die Folgerungen ans dieser Politik,
die Preußen in gerade" Widerspruch mit seiner natürliche" Bestimmung ge¬
bracht hatte, indem sie die nationale" Bestrebmige", weil sie nicht von den


Grenzlivten 1 1893 Lo
Leopold von Gerlach

te»ffel mit den „Olmützer Punktntionen" zurück, und der König genehmigte sie
auf Gerlnchs Zureden noch am Abend. Freilich hatte er in der Buudesreform-
frage gar kein sachliches Zugeständnis erreicht, sondern nur das rein formelle,
daß darüber nicht in Frankfurt, sondern ans „freien Konferenzen" in Dresden
entschieden werden solle. Die holsteinische Sache sollte ebenso wenig vom
Bundestage, sondern von einer preußisch-österreichischen Kommission geregelt
werden, Kassel eine preußisch-österreichische Besatzung erhalten, die Exekution
aber den Vundestruppen allein überlassen bleiben. Indem Manteuffel außer¬
dem noch die sofortige Demvbilisiruug der preußischen Armee versprach und
Gerlach die Einwilligung des Königs auch dazu schon am 4. Dezember, aller¬
dings „mit Mühe," erlangt hatte, war Preußen völlig wehrlos gemacht. Aber
Gerlach sah darin „wieder einen Schritt vorwärts." Voll Selbstgefühls hatte
er schon am 12. November geschrieben: „Wir allein ^die beiden Brüder Ger-
lachj haben Nadowitz unablässig bekämpft, vom Mai 1848 an, wir haben die
Minister gegen ihn aufgehetzt, endlich Rochow und den Kaiser von Nußland;
ja wenn man will, selbst Österreich," und am 2^. November, kurz vor Ol-
mütz: „Alles, was Ludwig von mir verlangt, ist jetzt vorhanden: eine selb¬
ständige Stellung gegenüber dein König als eine politische Macht, als Partei-
hanpt, von den Menschen anerkannt." Er fügt allerdings hinzu: „Wie traurig
ist mir diese Lage, und wie sehne ich mich, mit ihr brechen zu können," und
sagt ein andermal: „Ein Sieg über seinen König und Herrn ist doch eine
schwere Sache." Aber daß der Sieg gewonnen ist, das erfüllt ihn trotzdem
mit großer Befriedigung. Am 2. Dezember schreibt er: „Mir ist, nachdem der
völlige Sieg ^nämlich seiner Partei über die »Revolution« j erfochten ist,
ganz so zu Mute, wie im Kriege »ach einer großen Begebenheit, wo alles
anfangs durch einander ist und sich dann erst allmählich zu entwirren anfängt."
Am 7. Dezember nennt er Manteuffel gar einen „großen Diplomaten" und
findet: „Mau sieht die Olmützer Punktationen für eine der gelungensten und
für Preußen ehrenvollsten Negoticitionen an"; später spricht er einmal von
„wunderbaren Fügungen" bei den Olmützer Verhandlungen. Und doch gesteht
er, das Verhältnis zu Österreich sei ans die Dauer unhaltbar, freilich nicht
etwa wegen der deutschen Frage, sondern wegen des Absolutismus, des „Pan-
dnrenregiments" in Österreich, dem nun Preuße» aber doch nicht widerstehen
könne, „denn der Glaube san die Göttlichkeit der ständische» Staatsordnung^ fehlt,
und der kann durch irdische Mittel, irdische Einricht»nge» nicht ersetzt werden."
Mit einem so trübseligen Ausblick in die Zukunft schließt er seine Aufzeichnungen
über das Jahr 1850. Ob er nicht gemerkt hat, daß er damit den völligen innern
Zusnmmenbrnch seines ganzen „Systems" mitten im vollsten „Siege" eingestand?

Die nächsten beiden Jahre zogen nur die Folgerungen ans dieser Politik,
die Preußen in gerade» Widerspruch mit seiner natürliche» Bestimmung ge¬
bracht hatte, indem sie die nationale» Bestrebmige», weil sie nicht von den


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[0643] Leopold von Gerlach te»ffel mit den „Olmützer Punktntionen" zurück, und der König genehmigte sie auf Gerlnchs Zureden noch am Abend. Freilich hatte er in der Buudesreform- frage gar kein sachliches Zugeständnis erreicht, sondern nur das rein formelle, daß darüber nicht in Frankfurt, sondern ans „freien Konferenzen" in Dresden entschieden werden solle. Die holsteinische Sache sollte ebenso wenig vom Bundestage, sondern von einer preußisch-österreichischen Kommission geregelt werden, Kassel eine preußisch-österreichische Besatzung erhalten, die Exekution aber den Vundestruppen allein überlassen bleiben. Indem Manteuffel außer¬ dem noch die sofortige Demvbilisiruug der preußischen Armee versprach und Gerlach die Einwilligung des Königs auch dazu schon am 4. Dezember, aller¬ dings „mit Mühe," erlangt hatte, war Preußen völlig wehrlos gemacht. Aber Gerlach sah darin „wieder einen Schritt vorwärts." Voll Selbstgefühls hatte er schon am 12. November geschrieben: „Wir allein ^die beiden Brüder Ger- lachj haben Nadowitz unablässig bekämpft, vom Mai 1848 an, wir haben die Minister gegen ihn aufgehetzt, endlich Rochow und den Kaiser von Nußland; ja wenn man will, selbst Österreich," und am 2^. November, kurz vor Ol- mütz: „Alles, was Ludwig von mir verlangt, ist jetzt vorhanden: eine selb¬ ständige Stellung gegenüber dein König als eine politische Macht, als Partei- hanpt, von den Menschen anerkannt." Er fügt allerdings hinzu: „Wie traurig ist mir diese Lage, und wie sehne ich mich, mit ihr brechen zu können," und sagt ein andermal: „Ein Sieg über seinen König und Herrn ist doch eine schwere Sache." Aber daß der Sieg gewonnen ist, das erfüllt ihn trotzdem mit großer Befriedigung. Am 2. Dezember schreibt er: „Mir ist, nachdem der völlige Sieg ^nämlich seiner Partei über die »Revolution« j erfochten ist, ganz so zu Mute, wie im Kriege »ach einer großen Begebenheit, wo alles anfangs durch einander ist und sich dann erst allmählich zu entwirren anfängt." Am 7. Dezember nennt er Manteuffel gar einen „großen Diplomaten" und findet: „Mau sieht die Olmützer Punktationen für eine der gelungensten und für Preußen ehrenvollsten Negoticitionen an"; später spricht er einmal von „wunderbaren Fügungen" bei den Olmützer Verhandlungen. Und doch gesteht er, das Verhältnis zu Österreich sei ans die Dauer unhaltbar, freilich nicht etwa wegen der deutschen Frage, sondern wegen des Absolutismus, des „Pan- dnrenregiments" in Österreich, dem nun Preuße» aber doch nicht widerstehen könne, „denn der Glaube san die Göttlichkeit der ständische» Staatsordnung^ fehlt, und der kann durch irdische Mittel, irdische Einricht»nge» nicht ersetzt werden." Mit einem so trübseligen Ausblick in die Zukunft schließt er seine Aufzeichnungen über das Jahr 1850. Ob er nicht gemerkt hat, daß er damit den völligen innern Zusnmmenbrnch seines ganzen „Systems" mitten im vollsten „Siege" eingestand? Die nächsten beiden Jahre zogen nur die Folgerungen ans dieser Politik, die Preußen in gerade» Widerspruch mit seiner natürliche» Bestimmung ge¬ bracht hatte, indem sie die nationale» Bestrebmige», weil sie nicht von den Grenzlivten 1 1893 Lo

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/643>, abgerufen am 26.05.2024.