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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Leopold von Gerlach

Fürsten ausginge", als "revolutionär" bekämpfte und doch in derselben Rich¬
tung schlechterdings nichts, mich gar nichts zu leisten vermochte. In den
"freien Konferenzen" zu Dresden kehrte man einfach wieder zum Bundestage
zurück, wodurch wenigstens der Eintritt ganz Österreichs in den Vnnd ver¬
hindert wurde, und in Frankfurt trat der Gegensatz zwischen Preußen und
Österreich immer schärfer heraus. Es war ein Verdienst Gerlachs, wenn im
April 1851 Bismarck zur Unterstützung des Bundestagsgesandter von Rochow
mich Frankfurt geschickt wurde und bald ganz an dessen Stelle trat, und mit
Befriedigung verfolgte er das dortige energische Auftreten des werdenden Staats¬
manns. Daß der Bonapartismus in Frankreich mit dem Staatsstreiche vom
2. Dezember 1851 abermals triumphirte, bezeichnet er als eine "furchtbare
Schmach für Europa," war überhaupt mit der Entwicklung der europäische"
und deutscheu Dinge sehr we"ig einverstanden, "in dieser elende" Zeit, wo
alle Menschen versage"," und empfand daher im September 1852 noch einmal
Lust, selbst Minister zu werde". N"r das beruhigte ihn, daß zu Ende 1851 das
"Kabinet" zum Ministerium wieder etwa dieselbe Stellung einnahm wie 1849,
und daß der König ernsthaft damit umging, den preußischen Staat in ständischer
Weise umzubilden. Er wollte allerdings nicht etwa die verliehene Verfassung
aufheben, weil er nur einmal den Eid darauf geleistet hatte, also sich daran ge¬
bunden hielt, aber wenn die Kammern darauf antragen sollten, so sagte er im
Dezember 1851 zu Gerlach, dann würde er die Verfassung, "diesen Wisch," be¬
seitigen und seinem Volke "einen Freibrief geben, einen Ausfluß der königlichen
Macht, der mehr Freiheiten enthalten wird, als diese Verfassung." Im Mai
1852 kam er nochmals auf diesen Gedanken zurück. "Der Freibrief müsse
das alte deutsche Recht verbürgen, daß die neuen Abgaben bewilligt werden
müßten, ebenso die Teilnahme an der Gesetzgebung," müsse aber "dnrch die
Kammern gehn." "Seitdem ich wieder ein Ziel für mein Handeln gefunden
habe -- fügt Gerlach hinzu -- trage ich die Nase wieder höher." Die Umbildung
der ersten Kammer in das "Herrenhaus" 185!Z erscheint als die praktische
Frucht dieser Vestrebnngeu "ach ständischer Gestaltung des Staats.

Im ganze" wird man sagen müssen! die Bedeutung und das Verdienst
einer Thätigkeit, wie sie Gerlach entwickelte, liegt nicht in dem, was sie ge¬
schaffen, sondern in dem, was sie verhindert hat. Daran, daß der Gedanke
der Volkssouveränität in Deutschland keine Wurzel schlug, daß überhaupt gegen¬
über den unhistorische" Anschauungen des sranzosirenden Liberalismus das
gute Recht eigentümlich deutscher, geschichtlich gewordncr Verhältnisse entschieden
festgehalten wurde, daran hat Gerlach einen großen Anteil. Freilich, so lange
sich in Deutschland die Ansichten über das Erstrebenswerte so schroff gegen¬
überstanden, wie er es zeigt, so lange war eine gedeihliche Gestaltung der
deutschen Verhältnisse nicht zu hoffen, lind doch ist es kein Zufall, daß der
gewaltige Staatsmann, der diese Gegensätze überwand, aus dem Kreise Ger-


Leopold von Gerlach

Fürsten ausginge», als „revolutionär" bekämpfte und doch in derselben Rich¬
tung schlechterdings nichts, mich gar nichts zu leisten vermochte. In den
„freien Konferenzen" zu Dresden kehrte man einfach wieder zum Bundestage
zurück, wodurch wenigstens der Eintritt ganz Österreichs in den Vnnd ver¬
hindert wurde, und in Frankfurt trat der Gegensatz zwischen Preußen und
Österreich immer schärfer heraus. Es war ein Verdienst Gerlachs, wenn im
April 1851 Bismarck zur Unterstützung des Bundestagsgesandter von Rochow
mich Frankfurt geschickt wurde und bald ganz an dessen Stelle trat, und mit
Befriedigung verfolgte er das dortige energische Auftreten des werdenden Staats¬
manns. Daß der Bonapartismus in Frankreich mit dem Staatsstreiche vom
2. Dezember 1851 abermals triumphirte, bezeichnet er als eine „furchtbare
Schmach für Europa," war überhaupt mit der Entwicklung der europäische»
und deutscheu Dinge sehr we»ig einverstanden, „in dieser elende» Zeit, wo
alle Menschen versage»," und empfand daher im September 1852 noch einmal
Lust, selbst Minister zu werde». N»r das beruhigte ihn, daß zu Ende 1851 das
„Kabinet" zum Ministerium wieder etwa dieselbe Stellung einnahm wie 1849,
und daß der König ernsthaft damit umging, den preußischen Staat in ständischer
Weise umzubilden. Er wollte allerdings nicht etwa die verliehene Verfassung
aufheben, weil er nur einmal den Eid darauf geleistet hatte, also sich daran ge¬
bunden hielt, aber wenn die Kammern darauf antragen sollten, so sagte er im
Dezember 1851 zu Gerlach, dann würde er die Verfassung, „diesen Wisch," be¬
seitigen und seinem Volke „einen Freibrief geben, einen Ausfluß der königlichen
Macht, der mehr Freiheiten enthalten wird, als diese Verfassung." Im Mai
1852 kam er nochmals auf diesen Gedanken zurück. „Der Freibrief müsse
das alte deutsche Recht verbürgen, daß die neuen Abgaben bewilligt werden
müßten, ebenso die Teilnahme an der Gesetzgebung," müsse aber „dnrch die
Kammern gehn." „Seitdem ich wieder ein Ziel für mein Handeln gefunden
habe — fügt Gerlach hinzu — trage ich die Nase wieder höher." Die Umbildung
der ersten Kammer in das „Herrenhaus" 185!Z erscheint als die praktische
Frucht dieser Vestrebnngeu »ach ständischer Gestaltung des Staats.

Im ganze» wird man sagen müssen! die Bedeutung und das Verdienst
einer Thätigkeit, wie sie Gerlach entwickelte, liegt nicht in dem, was sie ge¬
schaffen, sondern in dem, was sie verhindert hat. Daran, daß der Gedanke
der Volkssouveränität in Deutschland keine Wurzel schlug, daß überhaupt gegen¬
über den unhistorische» Anschauungen des sranzosirenden Liberalismus das
gute Recht eigentümlich deutscher, geschichtlich gewordncr Verhältnisse entschieden
festgehalten wurde, daran hat Gerlach einen großen Anteil. Freilich, so lange
sich in Deutschland die Ansichten über das Erstrebenswerte so schroff gegen¬
überstanden, wie er es zeigt, so lange war eine gedeihliche Gestaltung der
deutschen Verhältnisse nicht zu hoffen, lind doch ist es kein Zufall, daß der
gewaltige Staatsmann, der diese Gegensätze überwand, aus dem Kreise Ger-


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[0644] Leopold von Gerlach Fürsten ausginge», als „revolutionär" bekämpfte und doch in derselben Rich¬ tung schlechterdings nichts, mich gar nichts zu leisten vermochte. In den „freien Konferenzen" zu Dresden kehrte man einfach wieder zum Bundestage zurück, wodurch wenigstens der Eintritt ganz Österreichs in den Vnnd ver¬ hindert wurde, und in Frankfurt trat der Gegensatz zwischen Preußen und Österreich immer schärfer heraus. Es war ein Verdienst Gerlachs, wenn im April 1851 Bismarck zur Unterstützung des Bundestagsgesandter von Rochow mich Frankfurt geschickt wurde und bald ganz an dessen Stelle trat, und mit Befriedigung verfolgte er das dortige energische Auftreten des werdenden Staats¬ manns. Daß der Bonapartismus in Frankreich mit dem Staatsstreiche vom 2. Dezember 1851 abermals triumphirte, bezeichnet er als eine „furchtbare Schmach für Europa," war überhaupt mit der Entwicklung der europäische» und deutscheu Dinge sehr we»ig einverstanden, „in dieser elende» Zeit, wo alle Menschen versage»," und empfand daher im September 1852 noch einmal Lust, selbst Minister zu werde». N»r das beruhigte ihn, daß zu Ende 1851 das „Kabinet" zum Ministerium wieder etwa dieselbe Stellung einnahm wie 1849, und daß der König ernsthaft damit umging, den preußischen Staat in ständischer Weise umzubilden. Er wollte allerdings nicht etwa die verliehene Verfassung aufheben, weil er nur einmal den Eid darauf geleistet hatte, also sich daran ge¬ bunden hielt, aber wenn die Kammern darauf antragen sollten, so sagte er im Dezember 1851 zu Gerlach, dann würde er die Verfassung, „diesen Wisch," be¬ seitigen und seinem Volke „einen Freibrief geben, einen Ausfluß der königlichen Macht, der mehr Freiheiten enthalten wird, als diese Verfassung." Im Mai 1852 kam er nochmals auf diesen Gedanken zurück. „Der Freibrief müsse das alte deutsche Recht verbürgen, daß die neuen Abgaben bewilligt werden müßten, ebenso die Teilnahme an der Gesetzgebung," müsse aber „dnrch die Kammern gehn." „Seitdem ich wieder ein Ziel für mein Handeln gefunden habe — fügt Gerlach hinzu — trage ich die Nase wieder höher." Die Umbildung der ersten Kammer in das „Herrenhaus" 185!Z erscheint als die praktische Frucht dieser Vestrebnngeu »ach ständischer Gestaltung des Staats. Im ganze» wird man sagen müssen! die Bedeutung und das Verdienst einer Thätigkeit, wie sie Gerlach entwickelte, liegt nicht in dem, was sie ge¬ schaffen, sondern in dem, was sie verhindert hat. Daran, daß der Gedanke der Volkssouveränität in Deutschland keine Wurzel schlug, daß überhaupt gegen¬ über den unhistorische» Anschauungen des sranzosirenden Liberalismus das gute Recht eigentümlich deutscher, geschichtlich gewordncr Verhältnisse entschieden festgehalten wurde, daran hat Gerlach einen großen Anteil. Freilich, so lange sich in Deutschland die Ansichten über das Erstrebenswerte so schroff gegen¬ überstanden, wie er es zeigt, so lange war eine gedeihliche Gestaltung der deutschen Verhältnisse nicht zu hoffen, lind doch ist es kein Zufall, daß der gewaltige Staatsmann, der diese Gegensätze überwand, aus dem Kreise Ger-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/644>, abgerufen am 12.05.2024.