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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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durchzuführen. Die Aufgabe ist uicht bloß, wie Wiener sagt, "eine der schwie¬
rigsten," sondern sie ist gar nicht zu lösen. Indirekte Zwangsmittel, um so¬
ziale Zwecke zu erreichen, werden heute von allen Seiten angewendet. Wiener
selbst führt Beispiele an, die ihm vielleicht schon bei Beratung des Urteils in
seinem Senat entgegengebracht worden sind. Er erwähnt die Fülle, daß ein
Oberst seinen Offizieren, ein Arbeitgeber seineu Arbeiter" den Besuch bestimmter
Lokale verbietet. Noch jüngst ist im Reichstage über diese Dinge verhandelt
und dabei erwähnt worden, daß sie namentlich auch in Leipzig eine Rolle
spielen. Der Verlauf der Sache ist gewöhnlich folgender. Gewisse Gastwirt¬
schaften öffnen deu Sozialdemokraten ihre Räume. Dann verbietet der Ne-
gimeutslvminandenr nicht allein seinen Soldaten, diese Wirtschaften zu besuchen,
sondern auch seiner Militärkapelle, in diesen Wirtschaften Konzerte zu halten.
Natürlich werden dadurch die Wirte sehr geschädigt. Entziehen nun die Wirte
den Svzialdemokmten ihre Räume, so bvylottiren diese die Vierbrauer, von
denen die Wirte ihr Bier beziehen, und fügen dadurch den Brauern und deu
Wirten den größten Schaden zu. So wird Bvykvtt mit Boycott beantwortet.
Müßte man nun nicht, wenn man die Arbeiter für die Boylottirnng der Wirte
ersatzpflichtig machen wollte, auch den Kommandeur, der durch sein Verbot die
Wirtschafte" geschädigt hat, für ersatzpflichtig halten? Nein! sagt Wiener; man
muß alle Einzelheiten des Falles gemalt in Betracht ziehe" und darnach unter-
scheiden. Wir könne" hier keine" llilterschied finde". Im Gegenteil: der Re¬
gimentskommandeur übt doch ans seine Untergebnen einen ganz ander" Zwang
aus, als der, der dnrch seine einfache Aufforderung auf andre einwirkt. Jener
müßte also umso "lehr zum Schadenersatz für verpflichtet gehalten werden.
In ähnlicher Weise gestaltet sich das Verhältnis zwischen Arbeitgebern und
Arbeitern. Die Arbeitgeber verbieten den Arbeiter" bei Strafe der Entlassung,
bestimmte Wirtschaften zu besuchen oder bestimmte Zeitungen zu halte". Hat
jeder Gewerbtreibeiide ein Recht darauf, daß ihm niemand dnrch Verbote ins. w.
seine Kundschaft entzieht, so müßte auch der Arbeitgeber den Wirten "ut de"
Zeitungsverlegern für ersatzpflichtig gehalten werden. Denn das Recht muß,
wie Regen und Sonnenschein, für alle gleich sein.

Jedenfalls hat das Reichsgericht, wenn es a"es seinerseits die von Wiener
empfohlene Unterscheidung zwischen Schonung und Strenge zu machen beab¬
sichtigen sollte, in dem Buchhändlerprozeß ein wenig glückliches Beispiel für
die anzuwendende Strenge gewählt, wie dies auch der weitere Verlauf, den
die Sache genommen hat, ergiebt.

Es ist nämlich nicht bei dem einen Prozesse geblieben. Ermutigt durch
das Neichsgerichtsurteil, hat die Firma Mayer und Müller "och einen zweite"
Prozeß gegen die übriggebliebne" vier Mitglieder des Börsenvvrstauds an¬
gestrengt und darin eine "och weit höhere E"tschädig"ug (17000 Mark)
berechnet. Die Sache ist in erster Instanz bei dem Landgericht i" Leipzig


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durchzuführen. Die Aufgabe ist uicht bloß, wie Wiener sagt, „eine der schwie¬
rigsten," sondern sie ist gar nicht zu lösen. Indirekte Zwangsmittel, um so¬
ziale Zwecke zu erreichen, werden heute von allen Seiten angewendet. Wiener
selbst führt Beispiele an, die ihm vielleicht schon bei Beratung des Urteils in
seinem Senat entgegengebracht worden sind. Er erwähnt die Fülle, daß ein
Oberst seinen Offizieren, ein Arbeitgeber seineu Arbeiter» den Besuch bestimmter
Lokale verbietet. Noch jüngst ist im Reichstage über diese Dinge verhandelt
und dabei erwähnt worden, daß sie namentlich auch in Leipzig eine Rolle
spielen. Der Verlauf der Sache ist gewöhnlich folgender. Gewisse Gastwirt¬
schaften öffnen deu Sozialdemokraten ihre Räume. Dann verbietet der Ne-
gimeutslvminandenr nicht allein seinen Soldaten, diese Wirtschaften zu besuchen,
sondern auch seiner Militärkapelle, in diesen Wirtschaften Konzerte zu halten.
Natürlich werden dadurch die Wirte sehr geschädigt. Entziehen nun die Wirte
den Svzialdemokmten ihre Räume, so bvylottiren diese die Vierbrauer, von
denen die Wirte ihr Bier beziehen, und fügen dadurch den Brauern und deu
Wirten den größten Schaden zu. So wird Bvykvtt mit Boycott beantwortet.
Müßte man nun nicht, wenn man die Arbeiter für die Boylottirnng der Wirte
ersatzpflichtig machen wollte, auch den Kommandeur, der durch sein Verbot die
Wirtschafte» geschädigt hat, für ersatzpflichtig halten? Nein! sagt Wiener; man
muß alle Einzelheiten des Falles gemalt in Betracht ziehe» und darnach unter-
scheiden. Wir könne» hier keine» llilterschied finde». Im Gegenteil: der Re¬
gimentskommandeur übt doch ans seine Untergebnen einen ganz ander» Zwang
aus, als der, der dnrch seine einfache Aufforderung auf andre einwirkt. Jener
müßte also umso »lehr zum Schadenersatz für verpflichtet gehalten werden.
In ähnlicher Weise gestaltet sich das Verhältnis zwischen Arbeitgebern und
Arbeitern. Die Arbeitgeber verbieten den Arbeiter» bei Strafe der Entlassung,
bestimmte Wirtschaften zu besuchen oder bestimmte Zeitungen zu halte». Hat
jeder Gewerbtreibeiide ein Recht darauf, daß ihm niemand dnrch Verbote ins. w.
seine Kundschaft entzieht, so müßte auch der Arbeitgeber den Wirten »ut de»
Zeitungsverlegern für ersatzpflichtig gehalten werden. Denn das Recht muß,
wie Regen und Sonnenschein, für alle gleich sein.

Jedenfalls hat das Reichsgericht, wenn es a»es seinerseits die von Wiener
empfohlene Unterscheidung zwischen Schonung und Strenge zu machen beab¬
sichtigen sollte, in dem Buchhändlerprozeß ein wenig glückliches Beispiel für
die anzuwendende Strenge gewählt, wie dies auch der weitere Verlauf, den
die Sache genommen hat, ergiebt.

Es ist nämlich nicht bei dem einen Prozesse geblieben. Ermutigt durch
das Neichsgerichtsurteil, hat die Firma Mayer und Müller »och einen zweite»
Prozeß gegen die übriggebliebne» vier Mitglieder des Börsenvvrstauds an¬
gestrengt und darin eine »och weit höhere E»tschädig»ug (17000 Mark)
berechnet. Die Sache ist in erster Instanz bei dem Landgericht i» Leipzig


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[0648] Die Grenzen der Rechis>necbnng durchzuführen. Die Aufgabe ist uicht bloß, wie Wiener sagt, „eine der schwie¬ rigsten," sondern sie ist gar nicht zu lösen. Indirekte Zwangsmittel, um so¬ ziale Zwecke zu erreichen, werden heute von allen Seiten angewendet. Wiener selbst führt Beispiele an, die ihm vielleicht schon bei Beratung des Urteils in seinem Senat entgegengebracht worden sind. Er erwähnt die Fülle, daß ein Oberst seinen Offizieren, ein Arbeitgeber seineu Arbeiter» den Besuch bestimmter Lokale verbietet. Noch jüngst ist im Reichstage über diese Dinge verhandelt und dabei erwähnt worden, daß sie namentlich auch in Leipzig eine Rolle spielen. Der Verlauf der Sache ist gewöhnlich folgender. Gewisse Gastwirt¬ schaften öffnen deu Sozialdemokraten ihre Räume. Dann verbietet der Ne- gimeutslvminandenr nicht allein seinen Soldaten, diese Wirtschaften zu besuchen, sondern auch seiner Militärkapelle, in diesen Wirtschaften Konzerte zu halten. Natürlich werden dadurch die Wirte sehr geschädigt. Entziehen nun die Wirte den Svzialdemokmten ihre Räume, so bvylottiren diese die Vierbrauer, von denen die Wirte ihr Bier beziehen, und fügen dadurch den Brauern und deu Wirten den größten Schaden zu. So wird Bvykvtt mit Boycott beantwortet. Müßte man nun nicht, wenn man die Arbeiter für die Boylottirnng der Wirte ersatzpflichtig machen wollte, auch den Kommandeur, der durch sein Verbot die Wirtschafte» geschädigt hat, für ersatzpflichtig halten? Nein! sagt Wiener; man muß alle Einzelheiten des Falles gemalt in Betracht ziehe» und darnach unter- scheiden. Wir könne» hier keine» llilterschied finde». Im Gegenteil: der Re¬ gimentskommandeur übt doch ans seine Untergebnen einen ganz ander» Zwang aus, als der, der dnrch seine einfache Aufforderung auf andre einwirkt. Jener müßte also umso »lehr zum Schadenersatz für verpflichtet gehalten werden. In ähnlicher Weise gestaltet sich das Verhältnis zwischen Arbeitgebern und Arbeitern. Die Arbeitgeber verbieten den Arbeiter» bei Strafe der Entlassung, bestimmte Wirtschaften zu besuchen oder bestimmte Zeitungen zu halte». Hat jeder Gewerbtreibeiide ein Recht darauf, daß ihm niemand dnrch Verbote ins. w. seine Kundschaft entzieht, so müßte auch der Arbeitgeber den Wirten »ut de» Zeitungsverlegern für ersatzpflichtig gehalten werden. Denn das Recht muß, wie Regen und Sonnenschein, für alle gleich sein. Jedenfalls hat das Reichsgericht, wenn es a»es seinerseits die von Wiener empfohlene Unterscheidung zwischen Schonung und Strenge zu machen beab¬ sichtigen sollte, in dem Buchhändlerprozeß ein wenig glückliches Beispiel für die anzuwendende Strenge gewählt, wie dies auch der weitere Verlauf, den die Sache genommen hat, ergiebt. Es ist nämlich nicht bei dem einen Prozesse geblieben. Ermutigt durch das Neichsgerichtsurteil, hat die Firma Mayer und Müller »och einen zweite» Prozeß gegen die übriggebliebne» vier Mitglieder des Börsenvvrstauds an¬ gestrengt und darin eine »och weit höhere E»tschädig»ug (17000 Mark) berechnet. Die Sache ist in erster Instanz bei dem Landgericht i» Leipzig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/648>, abgerufen am 16.06.2024.