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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Weltseele und allermodernste Lthik

fachen Richtungen meines Wesens nicht ein einer Denkweise genug haben. Als
Dichter und Künstler bin ich Polytheist -- Pantheist hingegen als Natur¬
forscher, und eines so entschieden als das andre. Bedarf ich eines Gottes für
meine Persönlichkeit als sittlicher Mensch, so ist auch dafür schon gesorgt."

Wo bleibt aber da die Weltseele? "Diese plumpe Welt aus einfachen
Elementen zusammenzusetzen sagt Goethe - - und sie jahraus jahrein in den
Strahlen der Sonne rollen zu lassen, hätte Gott wenig Spaß gemacht, wenn er
nicht den Plan gehabt hätte, auf dieser materiellen Unterlage sich eine Pflanz¬
stätte von Geistern zu gründen." Diese Ausdrucksweise läßt zweifellos auf eine
persönliche Gottesvorstellung schließen. Wo bleibt da, fragen wir abermals, die
Weltseele? "Ich frage nicht, lassen wir zum dritten den Dichter sprechen, ob
dieses höchste Wesen Verstand und Verminst habe, sondern ich fühle, es ist der
Verstand, die Verminst selbst. Alle Wesen sind davon durchdrungen, und der
Mensch hat davon soviel, daß er Teile des Höchsten erkennen kann."

Das ist, hören wir den neuen Propheten rufen, das ist die Weltseele!
Gut -- dann ist sie Gott, ein persönliches Wesen, wie Goethe will, dessen
Walten wir in der Natur und im Menschenleben als fortwährende Äußerung
der höchsten Liebe empfinden. Von seinem Wilhelm Meister äußert Goethe,
er scheine nichts andres sagen zu wollen, als daß der Mensch, trotz aller
Dummheiten und Verwirrungen, von einer höhern Hand geleitet dennoch zum
höhern Ziele gelange. Und ebenso sehen wir im Faust eine immer höhere und
reinere Thätigkeit bis ans Ende, und von oben die ihm zu Hilfe kommende
ewige Liebe. Hierin offenbart sich die tiefe innere Verwandtschaft Goethes mit
dem Geiste des Christentums, von dem er so spricht: "Die christliche Religion
ist ein mächtiges Wesen für sich, woran die gesunkne und leidende Menschheit
von Zeit zu Zeit sich immer wieder emporgearbeitet hat; und indem man ihr
diese Wirkung zugesteht, ist sie über aller Philosophie erhaben und bedarf
von ihr keiner Stütze. Mag die geistige Kultur nur immer fortschreiten, der
menschliche Geist sich erweitern, wie er will; über die Hoheit und sittliche
Kultur des Christentums wird er nicht hinauskommen."

Wie sich jemand, der, wenn auch als Nebengeschäft, die allertrivinlste
Gassenweisheit unsrer Tage zusammenkehrt, ans Goethe berufen kann, ist
schlechterdings unbegreiflich.

Und schlechterdings unbegreiflich ist es auch, wie jemand eine persönliche
sittliche Förderung erwarten kann von dem Glauben an etwas, das von sich
nichts weiß. Das Sittliche hat zu seiner unerläßlichen Voraussetzung den
Begriff der Persönlichkeit. Diese aber hat in jedem Augenblick ihres Daseins
das Bewußtsein ihres innern Lebens, wonach sich dieses als der ihr zuge¬
hörige Besitz darstellt. Das Psychische ist das mit Bewußtsein seiner selbst
begabte. Eine unbewußte Weltseele ist ein Widerspruch. Jedenfalls stünde
sie unendlich tieser, als die mit Bewußtsein ausgestattete Menschenseele, und


Weltseele und allermodernste Lthik

fachen Richtungen meines Wesens nicht ein einer Denkweise genug haben. Als
Dichter und Künstler bin ich Polytheist — Pantheist hingegen als Natur¬
forscher, und eines so entschieden als das andre. Bedarf ich eines Gottes für
meine Persönlichkeit als sittlicher Mensch, so ist auch dafür schon gesorgt."

Wo bleibt aber da die Weltseele? „Diese plumpe Welt aus einfachen
Elementen zusammenzusetzen sagt Goethe - - und sie jahraus jahrein in den
Strahlen der Sonne rollen zu lassen, hätte Gott wenig Spaß gemacht, wenn er
nicht den Plan gehabt hätte, auf dieser materiellen Unterlage sich eine Pflanz¬
stätte von Geistern zu gründen." Diese Ausdrucksweise läßt zweifellos auf eine
persönliche Gottesvorstellung schließen. Wo bleibt da, fragen wir abermals, die
Weltseele? „Ich frage nicht, lassen wir zum dritten den Dichter sprechen, ob
dieses höchste Wesen Verstand und Verminst habe, sondern ich fühle, es ist der
Verstand, die Verminst selbst. Alle Wesen sind davon durchdrungen, und der
Mensch hat davon soviel, daß er Teile des Höchsten erkennen kann."

Das ist, hören wir den neuen Propheten rufen, das ist die Weltseele!
Gut — dann ist sie Gott, ein persönliches Wesen, wie Goethe will, dessen
Walten wir in der Natur und im Menschenleben als fortwährende Äußerung
der höchsten Liebe empfinden. Von seinem Wilhelm Meister äußert Goethe,
er scheine nichts andres sagen zu wollen, als daß der Mensch, trotz aller
Dummheiten und Verwirrungen, von einer höhern Hand geleitet dennoch zum
höhern Ziele gelange. Und ebenso sehen wir im Faust eine immer höhere und
reinere Thätigkeit bis ans Ende, und von oben die ihm zu Hilfe kommende
ewige Liebe. Hierin offenbart sich die tiefe innere Verwandtschaft Goethes mit
dem Geiste des Christentums, von dem er so spricht: „Die christliche Religion
ist ein mächtiges Wesen für sich, woran die gesunkne und leidende Menschheit
von Zeit zu Zeit sich immer wieder emporgearbeitet hat; und indem man ihr
diese Wirkung zugesteht, ist sie über aller Philosophie erhaben und bedarf
von ihr keiner Stütze. Mag die geistige Kultur nur immer fortschreiten, der
menschliche Geist sich erweitern, wie er will; über die Hoheit und sittliche
Kultur des Christentums wird er nicht hinauskommen."

Wie sich jemand, der, wenn auch als Nebengeschäft, die allertrivinlste
Gassenweisheit unsrer Tage zusammenkehrt, ans Goethe berufen kann, ist
schlechterdings unbegreiflich.

Und schlechterdings unbegreiflich ist es auch, wie jemand eine persönliche
sittliche Förderung erwarten kann von dem Glauben an etwas, das von sich
nichts weiß. Das Sittliche hat zu seiner unerläßlichen Voraussetzung den
Begriff der Persönlichkeit. Diese aber hat in jedem Augenblick ihres Daseins
das Bewußtsein ihres innern Lebens, wonach sich dieses als der ihr zuge¬
hörige Besitz darstellt. Das Psychische ist das mit Bewußtsein seiner selbst
begabte. Eine unbewußte Weltseele ist ein Widerspruch. Jedenfalls stünde
sie unendlich tieser, als die mit Bewußtsein ausgestattete Menschenseele, und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/69>, abgerufen am 27.05.2024.