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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Die sogenannte lex Heinze

honorer Roheit und Sittenlosigkeit zeugen und gerade in neuester Zeit in der
bedrohlichsten Weise hervorgetreten sind, möglichst rasch entgegenzuwirken, nud
diese Abwehr auf dein Gebiete des Strafrechts nur durch Verschärfung der
Strafe wirksam gestaltet werden kann, so wird man die von der Vorlage be¬
absichtigte Regelung eines Teiles der Strafvollziehung doch wohl für zulässig
erachten müssen.

Nach dem Wortlaut der Vorlage soll nun auf die in Aussicht genommene
Verschärfung der Strafe in allen Fällen erkannt werden können, wenn die
That von besondrer Roheit oder Sittenlosigkeit des Thäters zeugt, und nach
der zu Z 16g, gegebnen Begründung soll diese Bestimmung in erster Linie ge¬
richtet sein gegen Kuppler, Zuhälter und Verbreiter unzüchtiger Schriften, so¬
dann anch gegen Raufbolde, die auf öffentlicher Straße rohe Schlägereien be¬
ginnen, harmlose Vorübergehende beschimpfen, Frauen mit Worten oder thätlich
angreifen, ferner gegen die sogenannten Messerhelden und die, die in der
Öffentlichkeit durch unzüchtige Reden oder Handlungen Ärgernis erregen. Hier¬
gegen wird kaum etwas einzuwenden fein, weil die bezeichneten Übelthäter in
der Regel so abgestumpft sind, daß eine gewöhnliche längere oder kürzere
Zuchthaus- oder Gefängnisstrafe auf sie gar keine" Eindruck macht. Bei rück¬
fälligen Übelthätern dieser Art wird es aber noch im dringendsten Interesse
der von ihnen fortgesetzt bedrohten öffentlichen Ordnung liegen, die vor-
geschlägne Verschärfung ein- oder mehreremal, insbesondre kurz vor Be¬
endigung der Strafhaft wiederholen zu lassen, weil sich nur dann erwarten
läßt, daß die Strafe warnend in der Erinnerung bleibt. Nach dieser Rich¬
tung dürfte also die Vorlage noch zu verschärfen sein. Andrerseits ist es aber
ebenso unerläßlich, daß die Grenzen für die Anwendbarkeit des 16^ in den
Worten des Gesetzes selbst und nicht nur in den Motiven bestimmt werden,
weil sonst Entscheidungen getroffen werden könnten, die mit dem allgemeinen
Rechtsbewusztsein in Widerstreit geraten würden.

Die Verschärfung der Strafe aus § ißg, soll nach dem Vorschlage der
Vorlage zu § 362 des Strafgesetzbuchs auch bei Verurteilung zur Haft, die
auf Grund des 361 Ur. 3 bis 8 erfolgt ist, zulässig sein. Es würden also
davon Landstreicher, rückfällige Bettler, Spieler, Trinker, Arbeitsscheue, Pro-
stituirte und solche, die ans eigner Verschuldung obdachlos sind, getroffen
werden. Auch hiergegen ist Wohl nichts zu erinnern, weil rückfällige Bettler,
Landstreicher u. s. w. gegen die gewöhnliche Haftstrafe meist gänzlich un¬
empfindlich ist. Es geht dies insbesondre daraus hervor, daß diese verkom¬
menen Personen gegen die verurteilenden Entscheidungen der Schöffengerichte
in der Regel nur insoweit die Berufung einlegen, als auf Überweisung an
die Landespolizeibehörde erkannt worden ist. Diese Wahrnehmung dürfte zu¬
gleich dringend darauf hinweisen, im zweiten und in jedem weitern Rückfcille
die Überweisung als obligatorisch auszusprechen, zumal da bei vielen Schöffen-


Die sogenannte lex Heinze

honorer Roheit und Sittenlosigkeit zeugen und gerade in neuester Zeit in der
bedrohlichsten Weise hervorgetreten sind, möglichst rasch entgegenzuwirken, nud
diese Abwehr auf dein Gebiete des Strafrechts nur durch Verschärfung der
Strafe wirksam gestaltet werden kann, so wird man die von der Vorlage be¬
absichtigte Regelung eines Teiles der Strafvollziehung doch wohl für zulässig
erachten müssen.

Nach dem Wortlaut der Vorlage soll nun auf die in Aussicht genommene
Verschärfung der Strafe in allen Fällen erkannt werden können, wenn die
That von besondrer Roheit oder Sittenlosigkeit des Thäters zeugt, und nach
der zu Z 16g, gegebnen Begründung soll diese Bestimmung in erster Linie ge¬
richtet sein gegen Kuppler, Zuhälter und Verbreiter unzüchtiger Schriften, so¬
dann anch gegen Raufbolde, die auf öffentlicher Straße rohe Schlägereien be¬
ginnen, harmlose Vorübergehende beschimpfen, Frauen mit Worten oder thätlich
angreifen, ferner gegen die sogenannten Messerhelden und die, die in der
Öffentlichkeit durch unzüchtige Reden oder Handlungen Ärgernis erregen. Hier¬
gegen wird kaum etwas einzuwenden fein, weil die bezeichneten Übelthäter in
der Regel so abgestumpft sind, daß eine gewöhnliche längere oder kürzere
Zuchthaus- oder Gefängnisstrafe auf sie gar keine» Eindruck macht. Bei rück¬
fälligen Übelthätern dieser Art wird es aber noch im dringendsten Interesse
der von ihnen fortgesetzt bedrohten öffentlichen Ordnung liegen, die vor-
geschlägne Verschärfung ein- oder mehreremal, insbesondre kurz vor Be¬
endigung der Strafhaft wiederholen zu lassen, weil sich nur dann erwarten
läßt, daß die Strafe warnend in der Erinnerung bleibt. Nach dieser Rich¬
tung dürfte also die Vorlage noch zu verschärfen sein. Andrerseits ist es aber
ebenso unerläßlich, daß die Grenzen für die Anwendbarkeit des 16^ in den
Worten des Gesetzes selbst und nicht nur in den Motiven bestimmt werden,
weil sonst Entscheidungen getroffen werden könnten, die mit dem allgemeinen
Rechtsbewusztsein in Widerstreit geraten würden.

Die Verschärfung der Strafe aus § ißg, soll nach dem Vorschlage der
Vorlage zu § 362 des Strafgesetzbuchs auch bei Verurteilung zur Haft, die
auf Grund des 361 Ur. 3 bis 8 erfolgt ist, zulässig sein. Es würden also
davon Landstreicher, rückfällige Bettler, Spieler, Trinker, Arbeitsscheue, Pro-
stituirte und solche, die ans eigner Verschuldung obdachlos sind, getroffen
werden. Auch hiergegen ist Wohl nichts zu erinnern, weil rückfällige Bettler,
Landstreicher u. s. w. gegen die gewöhnliche Haftstrafe meist gänzlich un¬
empfindlich ist. Es geht dies insbesondre daraus hervor, daß diese verkom¬
menen Personen gegen die verurteilenden Entscheidungen der Schöffengerichte
in der Regel nur insoweit die Berufung einlegen, als auf Überweisung an
die Landespolizeibehörde erkannt worden ist. Diese Wahrnehmung dürfte zu¬
gleich dringend darauf hinweisen, im zweiten und in jedem weitern Rückfcille
die Überweisung als obligatorisch auszusprechen, zumal da bei vielen Schöffen-


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[0081] Die sogenannte lex Heinze honorer Roheit und Sittenlosigkeit zeugen und gerade in neuester Zeit in der bedrohlichsten Weise hervorgetreten sind, möglichst rasch entgegenzuwirken, nud diese Abwehr auf dein Gebiete des Strafrechts nur durch Verschärfung der Strafe wirksam gestaltet werden kann, so wird man die von der Vorlage be¬ absichtigte Regelung eines Teiles der Strafvollziehung doch wohl für zulässig erachten müssen. Nach dem Wortlaut der Vorlage soll nun auf die in Aussicht genommene Verschärfung der Strafe in allen Fällen erkannt werden können, wenn die That von besondrer Roheit oder Sittenlosigkeit des Thäters zeugt, und nach der zu Z 16g, gegebnen Begründung soll diese Bestimmung in erster Linie ge¬ richtet sein gegen Kuppler, Zuhälter und Verbreiter unzüchtiger Schriften, so¬ dann anch gegen Raufbolde, die auf öffentlicher Straße rohe Schlägereien be¬ ginnen, harmlose Vorübergehende beschimpfen, Frauen mit Worten oder thätlich angreifen, ferner gegen die sogenannten Messerhelden und die, die in der Öffentlichkeit durch unzüchtige Reden oder Handlungen Ärgernis erregen. Hier¬ gegen wird kaum etwas einzuwenden fein, weil die bezeichneten Übelthäter in der Regel so abgestumpft sind, daß eine gewöhnliche längere oder kürzere Zuchthaus- oder Gefängnisstrafe auf sie gar keine» Eindruck macht. Bei rück¬ fälligen Übelthätern dieser Art wird es aber noch im dringendsten Interesse der von ihnen fortgesetzt bedrohten öffentlichen Ordnung liegen, die vor- geschlägne Verschärfung ein- oder mehreremal, insbesondre kurz vor Be¬ endigung der Strafhaft wiederholen zu lassen, weil sich nur dann erwarten läßt, daß die Strafe warnend in der Erinnerung bleibt. Nach dieser Rich¬ tung dürfte also die Vorlage noch zu verschärfen sein. Andrerseits ist es aber ebenso unerläßlich, daß die Grenzen für die Anwendbarkeit des 16^ in den Worten des Gesetzes selbst und nicht nur in den Motiven bestimmt werden, weil sonst Entscheidungen getroffen werden könnten, die mit dem allgemeinen Rechtsbewusztsein in Widerstreit geraten würden. Die Verschärfung der Strafe aus § ißg, soll nach dem Vorschlage der Vorlage zu § 362 des Strafgesetzbuchs auch bei Verurteilung zur Haft, die auf Grund des 361 Ur. 3 bis 8 erfolgt ist, zulässig sein. Es würden also davon Landstreicher, rückfällige Bettler, Spieler, Trinker, Arbeitsscheue, Pro- stituirte und solche, die ans eigner Verschuldung obdachlos sind, getroffen werden. Auch hiergegen ist Wohl nichts zu erinnern, weil rückfällige Bettler, Landstreicher u. s. w. gegen die gewöhnliche Haftstrafe meist gänzlich un¬ empfindlich ist. Es geht dies insbesondre daraus hervor, daß diese verkom¬ menen Personen gegen die verurteilenden Entscheidungen der Schöffengerichte in der Regel nur insoweit die Berufung einlegen, als auf Überweisung an die Landespolizeibehörde erkannt worden ist. Diese Wahrnehmung dürfte zu¬ gleich dringend darauf hinweisen, im zweiten und in jedem weitern Rückfcille die Überweisung als obligatorisch auszusprechen, zumal da bei vielen Schöffen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/81>, abgerufen am 12.05.2024.