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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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folgenden neuen 16 a einzuschalten: "Bei der Verurteilung zu Zuchthaus-
und Gefängnisstrafe kann, wenn die That von besondrer Roheit oder Sitten-
losigkeit des Thäters zeugt, auf Verschärfung der Strafe bis auf die Dauer
der ersten sechs Wochen erkannt werden. Die Verschärfung der Strafe besteht
darin, daß der Verurteilte eine harte Lagerstätte und als Nahrung Wasser
und Brot erhält. Die Verschärfungen können einzeln oder vereinigt ange¬
ordnet werden und kommen an jedem dritte" Tag in Wegfall. Auch kann
auf eine mildere Vollstreckungsweise erkannt werden. Die Strafverschärfungen
sind auszusetzen, wenn und so lange der körperliche Zustand des Verurteilten
den Vollzug nicht zuläßt."

Diesem Vorschlage gegenüber wird man zunächst fragen dürfen, ob es
sich rechtfertige" lasse, hier so gelegentlich einen Teil der Strafvollziehung mit
zu ordnen. Bei der Beantwortung dieser Frage dürfte folgendes zu erwägen
fein. Die Behandlung der Strafvollziehung ist schon in der Plenarsitzung des
Reichstags vom 21. Mai 1890 auf die Jnterpellation des Abgeordneten
Dr. Bamberger sehr eingehend erörtert worden. Damals wurde vo" dem
Staatssekretär des Reichsjustizamts mitgeteilt, daß bereits infolge früherer
Neichstagsbeschlüsse das Neichsjnstizaint den Auftrag erhalten habe, den Ent¬
wurf eines Strafvvllziehnngsgesetzes auszuarbeiten, daß sich aber dem Abschluß
dieses Entwurfs große Schwierigkeiten entgegengestellt hätten. Diese seien
zum Teil aus dem Kostenpunkt, zum Teil aus den Angriffen der Strafrechts¬
wissenschaft gegen das ganze Shstem unsrer Freiheitsstrafen erwachsen. Bei
einer spätern Gelegenheit (in der Neichstagssitzung vom 30. Januar 1891)
erklärte derselbe Staatssekretär, daß sich die verbündeten Regierungen gegen¬
über einer einheitlichen Ordnung der Strafvollziehung keineswegs ablehnend
verhielten, daß aber die Sache für eine endgiltige Entscheidung noch nicht reif
sei. Zuletzt ist diese Angelegenheit durch Petitionen, die dnrch die Behandlung
des Redakteurs Boshart in dem Gefängnis zu Jchtershausen veranlaßt worden
waren, wieder angeregt worden. Über diese Petitionen hat die Petitionskvm-
mission Bericht erstattet, und bei der Verhandlung darüber im Plenum
des Reichstags am 24. März 1892 ist der Antrag v. Strvmbecks ange¬
nommen worden, daß noch vor der Reform der Vollziehung der Freiheits¬
strafen die wichtigsten Grundsätze bezüglich der Beschäftigung, Bekleidung, Be¬
köstigung und sonstigen Behandlung der Straf- und Uutersuchuugsgefaugneu
durch die Reichsgesetzgebung festgestellt werden möchten. Ein Antrag des Ab¬
geordneten Dr. von Bar, der die Vollziehung von kürzern Haft- und Gefängnis¬
strafen betrifft, ist nicht mehr zur Berhcmdluug gekommen. Ebenso wenig ist
bisher der erwartete Gesetzentwurf vorgelegt worden. Daraus ist zu schließen,
daß auch im Reichsjustizamte die Erörterungen über Regelung der gesamten
Strafvollziehung noch zu keinem befriedigenden Ergebnis geführt haben. Da
es nun aber doch als unerläßlich anzuerkennen ist, Übelständen, die von be-


folgenden neuen 16 a einzuschalten: „Bei der Verurteilung zu Zuchthaus-
und Gefängnisstrafe kann, wenn die That von besondrer Roheit oder Sitten-
losigkeit des Thäters zeugt, auf Verschärfung der Strafe bis auf die Dauer
der ersten sechs Wochen erkannt werden. Die Verschärfung der Strafe besteht
darin, daß der Verurteilte eine harte Lagerstätte und als Nahrung Wasser
und Brot erhält. Die Verschärfungen können einzeln oder vereinigt ange¬
ordnet werden und kommen an jedem dritte» Tag in Wegfall. Auch kann
auf eine mildere Vollstreckungsweise erkannt werden. Die Strafverschärfungen
sind auszusetzen, wenn und so lange der körperliche Zustand des Verurteilten
den Vollzug nicht zuläßt."

Diesem Vorschlage gegenüber wird man zunächst fragen dürfen, ob es
sich rechtfertige» lasse, hier so gelegentlich einen Teil der Strafvollziehung mit
zu ordnen. Bei der Beantwortung dieser Frage dürfte folgendes zu erwägen
fein. Die Behandlung der Strafvollziehung ist schon in der Plenarsitzung des
Reichstags vom 21. Mai 1890 auf die Jnterpellation des Abgeordneten
Dr. Bamberger sehr eingehend erörtert worden. Damals wurde vo» dem
Staatssekretär des Reichsjustizamts mitgeteilt, daß bereits infolge früherer
Neichstagsbeschlüsse das Neichsjnstizaint den Auftrag erhalten habe, den Ent¬
wurf eines Strafvvllziehnngsgesetzes auszuarbeiten, daß sich aber dem Abschluß
dieses Entwurfs große Schwierigkeiten entgegengestellt hätten. Diese seien
zum Teil aus dem Kostenpunkt, zum Teil aus den Angriffen der Strafrechts¬
wissenschaft gegen das ganze Shstem unsrer Freiheitsstrafen erwachsen. Bei
einer spätern Gelegenheit (in der Neichstagssitzung vom 30. Januar 1891)
erklärte derselbe Staatssekretär, daß sich die verbündeten Regierungen gegen¬
über einer einheitlichen Ordnung der Strafvollziehung keineswegs ablehnend
verhielten, daß aber die Sache für eine endgiltige Entscheidung noch nicht reif
sei. Zuletzt ist diese Angelegenheit durch Petitionen, die dnrch die Behandlung
des Redakteurs Boshart in dem Gefängnis zu Jchtershausen veranlaßt worden
waren, wieder angeregt worden. Über diese Petitionen hat die Petitionskvm-
mission Bericht erstattet, und bei der Verhandlung darüber im Plenum
des Reichstags am 24. März 1892 ist der Antrag v. Strvmbecks ange¬
nommen worden, daß noch vor der Reform der Vollziehung der Freiheits¬
strafen die wichtigsten Grundsätze bezüglich der Beschäftigung, Bekleidung, Be¬
köstigung und sonstigen Behandlung der Straf- und Uutersuchuugsgefaugneu
durch die Reichsgesetzgebung festgestellt werden möchten. Ein Antrag des Ab¬
geordneten Dr. von Bar, der die Vollziehung von kürzern Haft- und Gefängnis¬
strafen betrifft, ist nicht mehr zur Berhcmdluug gekommen. Ebenso wenig ist
bisher der erwartete Gesetzentwurf vorgelegt worden. Daraus ist zu schließen,
daß auch im Reichsjustizamte die Erörterungen über Regelung der gesamten
Strafvollziehung noch zu keinem befriedigenden Ergebnis geführt haben. Da
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/80>, abgerufen am 26.05.2024.