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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Lin Aapitel von deutscher Lyrik

und Einkehr teilen. Es ist gelebte und genossene Poesie, in deren Wieder¬
schein wir uns hier sonnen, der Dichter immer er selbst und im zartesten wie
im kecksten, derbsten Ausdruck ein ganzer Mann. Ein paar Proben wollen
nicht viel besagen, wo man wahrem Reichtum und einer unversieglichen Frische
gegenübersteht, die angeschaut und mitgefühlt sein wollen, doch mögen we¬
nigstens ein Lied und ein Epigramm hier stehen:


Was braust der junge Märzenwind
Helljauchzeud in der Runde?
Was dringt des Frühlings wildes Kind
Für neue, lustge Kunde?
Noch blühn ja doch die Rosen nicht,
Die Nachtigallen kosen nicht
Mit liederreichen Munde.
Doch Gott sei Dank, das Myrtengrün
Ist von besondern! Schlage:
Wo nur die Mädchenblmnen blühn,
Da blühts in jedem Hage;
In Wintern es und Sommern wächst --
Man sagt sogar, in Pommern wächst
Es fröhlich alle Tage!

Wie sie gegen die Ganzheit wieder sich sperrn,
Die klapperdürr moralisirenden Herrn!
Seine Klanen hatten sie wohl erkannt
Und einen Löwen ihn gern genannt;
Mit staunendem Grauen sich jetzt erfüllt,
Daß der nicht mäh sagt, sondern brüllt.

Auch in den Gedichten von Karl Busse (Großenhain und Leipzig, Baumert
und Rouge) pulsirt echtes Dichterblut, lebt eine die Wirklichkeit rasch er¬
sassende und sie mit hellerem Glanz umwebende Phantasie, ringen ein keckes
Jugendfeuer und eine seltsame Mischung von derber Lebenslust und tief inner¬
lichem Lebensgefühl nach Ausdruck. Ein "Abendgebet" allerdings, wie das
am Schlusse der kleinen Sammlung, hat keiner der "Dichterkvnige," denen sich
der junge Dichter gesellen möchte, je gestammelt, das klingt nach Herwegh
und ähnlichen Selbstverherrlichern. Überhaupt ist der Dichter uicht frei von
Hinneigung zu den besondern Neigungen des jüngsten Deutschlands, der immer
wiederholten Ausmalung von Schäferstunden und der Darstellung gerade des
Lebens, das in Gedichten wie "Polnische Vagabundenlieder," "Schlechte Zeichen"
und ähnlichen zum Ausdruck kommt. Doch hat er daneben und darüber ein
tiefes dichterisches Naturgefühl, reine Innigkeit, glückliches Erfassen der ge¬
heimnisvollster wie der flüchtigsten Stimmungen und frische Wiedergabe leben¬
diger Bilder auszuweisen. Ein paar seiner "Sommerlieder" bis zum "Herbst-
beginn," "Junge Liebe," "Pfingsten," "Geistergruß," "Plötzliches Glück,"


Lin Aapitel von deutscher Lyrik

und Einkehr teilen. Es ist gelebte und genossene Poesie, in deren Wieder¬
schein wir uns hier sonnen, der Dichter immer er selbst und im zartesten wie
im kecksten, derbsten Ausdruck ein ganzer Mann. Ein paar Proben wollen
nicht viel besagen, wo man wahrem Reichtum und einer unversieglichen Frische
gegenübersteht, die angeschaut und mitgefühlt sein wollen, doch mögen we¬
nigstens ein Lied und ein Epigramm hier stehen:


Was braust der junge Märzenwind
Helljauchzeud in der Runde?
Was dringt des Frühlings wildes Kind
Für neue, lustge Kunde?
Noch blühn ja doch die Rosen nicht,
Die Nachtigallen kosen nicht
Mit liederreichen Munde.
Doch Gott sei Dank, das Myrtengrün
Ist von besondern! Schlage:
Wo nur die Mädchenblmnen blühn,
Da blühts in jedem Hage;
In Wintern es und Sommern wächst —
Man sagt sogar, in Pommern wächst
Es fröhlich alle Tage!

Wie sie gegen die Ganzheit wieder sich sperrn,
Die klapperdürr moralisirenden Herrn!
Seine Klanen hatten sie wohl erkannt
Und einen Löwen ihn gern genannt;
Mit staunendem Grauen sich jetzt erfüllt,
Daß der nicht mäh sagt, sondern brüllt.

Auch in den Gedichten von Karl Busse (Großenhain und Leipzig, Baumert
und Rouge) pulsirt echtes Dichterblut, lebt eine die Wirklichkeit rasch er¬
sassende und sie mit hellerem Glanz umwebende Phantasie, ringen ein keckes
Jugendfeuer und eine seltsame Mischung von derber Lebenslust und tief inner¬
lichem Lebensgefühl nach Ausdruck. Ein „Abendgebet" allerdings, wie das
am Schlusse der kleinen Sammlung, hat keiner der „Dichterkvnige," denen sich
der junge Dichter gesellen möchte, je gestammelt, das klingt nach Herwegh
und ähnlichen Selbstverherrlichern. Überhaupt ist der Dichter uicht frei von
Hinneigung zu den besondern Neigungen des jüngsten Deutschlands, der immer
wiederholten Ausmalung von Schäferstunden und der Darstellung gerade des
Lebens, das in Gedichten wie „Polnische Vagabundenlieder," „Schlechte Zeichen"
und ähnlichen zum Ausdruck kommt. Doch hat er daneben und darüber ein
tiefes dichterisches Naturgefühl, reine Innigkeit, glückliches Erfassen der ge¬
heimnisvollster wie der flüchtigsten Stimmungen und frische Wiedergabe leben¬
diger Bilder auszuweisen. Ein paar seiner „Sommerlieder" bis zum „Herbst-
beginn," „Junge Liebe," „Pfingsten," „Geistergruß," „Plötzliches Glück,"


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[0095] Lin Aapitel von deutscher Lyrik und Einkehr teilen. Es ist gelebte und genossene Poesie, in deren Wieder¬ schein wir uns hier sonnen, der Dichter immer er selbst und im zartesten wie im kecksten, derbsten Ausdruck ein ganzer Mann. Ein paar Proben wollen nicht viel besagen, wo man wahrem Reichtum und einer unversieglichen Frische gegenübersteht, die angeschaut und mitgefühlt sein wollen, doch mögen we¬ nigstens ein Lied und ein Epigramm hier stehen: Was braust der junge Märzenwind Helljauchzeud in der Runde? Was dringt des Frühlings wildes Kind Für neue, lustge Kunde? Noch blühn ja doch die Rosen nicht, Die Nachtigallen kosen nicht Mit liederreichen Munde. Doch Gott sei Dank, das Myrtengrün Ist von besondern! Schlage: Wo nur die Mädchenblmnen blühn, Da blühts in jedem Hage; In Wintern es und Sommern wächst — Man sagt sogar, in Pommern wächst Es fröhlich alle Tage! Wie sie gegen die Ganzheit wieder sich sperrn, Die klapperdürr moralisirenden Herrn! Seine Klanen hatten sie wohl erkannt Und einen Löwen ihn gern genannt; Mit staunendem Grauen sich jetzt erfüllt, Daß der nicht mäh sagt, sondern brüllt. Auch in den Gedichten von Karl Busse (Großenhain und Leipzig, Baumert und Rouge) pulsirt echtes Dichterblut, lebt eine die Wirklichkeit rasch er¬ sassende und sie mit hellerem Glanz umwebende Phantasie, ringen ein keckes Jugendfeuer und eine seltsame Mischung von derber Lebenslust und tief inner¬ lichem Lebensgefühl nach Ausdruck. Ein „Abendgebet" allerdings, wie das am Schlusse der kleinen Sammlung, hat keiner der „Dichterkvnige," denen sich der junge Dichter gesellen möchte, je gestammelt, das klingt nach Herwegh und ähnlichen Selbstverherrlichern. Überhaupt ist der Dichter uicht frei von Hinneigung zu den besondern Neigungen des jüngsten Deutschlands, der immer wiederholten Ausmalung von Schäferstunden und der Darstellung gerade des Lebens, das in Gedichten wie „Polnische Vagabundenlieder," „Schlechte Zeichen" und ähnlichen zum Ausdruck kommt. Doch hat er daneben und darüber ein tiefes dichterisches Naturgefühl, reine Innigkeit, glückliches Erfassen der ge¬ heimnisvollster wie der flüchtigsten Stimmungen und frische Wiedergabe leben¬ diger Bilder auszuweisen. Ein paar seiner „Sommerlieder" bis zum „Herbst- beginn," „Junge Liebe," „Pfingsten," „Geistergruß," „Plötzliches Glück,"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/95>, abgerufen am 23.05.2024.