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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Lin Kapitel von deutscher Lyrik

"Meiner Mutter," "Über den Bergen," "Waldesteich." "Seelengeheimnis,"
von den innig schönen Strophen "An Theodor Storm" zu schweigen, ver¬
bürgen eine glücklichere Entwicklung, als die kleinen Don Juanphantasien in
"Elfe," "Otto" und ähnlichen Gedichten.

Aus vollem Leben und glücklicher Erinnerung heraus klingen die Lieder
und leuchten die Bilder, die Karl Woermann in dem Cyklus Zu Zweien
im Süden (Dresden, L. Ehlermann) zusammengefaßt hat. Frohes Glücksgeftthl
im eignen Herzen und die größten Eindrücke der Natur und der Kunst haben
hier eine Reihe von Gedichten gezeitigt, die poetisch zwar nicht gleichwertig
sind, doch alle den sonnigen Gesamteindruck des kleinen Buches festhalten und
erhöhen helfen. Von den Dardanellen durch Griechenland, uach Neapel und
Rom und hinüber nach Spanien und zurück zum heimischen Rhein führt diese
Fahrt, deren schönste poetische Früchte wir in den Gedichten "In den Darda¬
nellen," "Phhle," "Auf dem Golf von Neapel," "In Pompeji," "Im Ko¬
losseum," "Fortuna Trevi," "In den Lagunen." dem ganz prächtigen "Im
Madrider Museum" und dein frischen "Nachklang" erblicken. Bezeichnend für
Zeit und Zeitstimmung ist es, daß sich der Dichter im "Vorklang" glaubt
entschuldigen zu müssen, daß er glücklich gewesen ist:


Zwölf Jahre hab ichs still herumgetragen.
Um keinem weh zu thun, dem Schmerzen sprossen!
Doch Wahrheit bleibt auch Wahrheit, lichtumflossen.

So weit wären wir also, daß wir das einfachste und Nächstliegende Recht des
Dichters, auch das zu feiern, was ihm das Leben Liebes gebracht hat, mit
Pathos verteidigen müssen!

Unbefangner verkündet am Ausgang des Lebens der greise Heinrich
Zeise in der Sammlung Natur- und Lebensbilder, einem Spütherbst-
strauß (Hamburg, Otto Meißner), seine Gefühle. Ihm erscheint auf froher
Wanderfahrt und in seliger Erinnerung, bei jedem Waldgang und jedem
Mvrgenlenchten die Erde noch immer begehrenswert, noch immer greift ihm


ins Herz so wunderbar
Die endlos weite Welt!

und er ruft sich, da es Herbst um ihn geworden ist. die fernen Lenze vor
das innere Auge. Nicht immer gelingt es ihm. feiner Naturschilderung
einen poetischen Gedanken einzuhauchen, das Naturbild zum dichterischen
Bilde zu steigern, aber wo es ihm gelingt, wie in den Gedichten "Die Sen¬
nerin," "Einem jungen Mädchen," "Die verlassene Mühle," da fühlen wir
uns lebendig erfaßt, wie von der frischesten Jngendpoesie.

Einzelne hübsche, frische und kräftige Lieder und Sprüche begegnen uns
in den Gedichten von Martin Langen (Köln und Leipzig, Albert Ahn),
die ebenso wie die Gedichte von Otto Ernst (Hamburg. Konrad Kloß) in
zweiter, vermehrter Auflage vorliegen. Die politisch-soziale" Parteiungen der


Lin Kapitel von deutscher Lyrik

„Meiner Mutter," „Über den Bergen," „Waldesteich." „Seelengeheimnis,"
von den innig schönen Strophen „An Theodor Storm" zu schweigen, ver¬
bürgen eine glücklichere Entwicklung, als die kleinen Don Juanphantasien in
„Elfe," „Otto" und ähnlichen Gedichten.

Aus vollem Leben und glücklicher Erinnerung heraus klingen die Lieder
und leuchten die Bilder, die Karl Woermann in dem Cyklus Zu Zweien
im Süden (Dresden, L. Ehlermann) zusammengefaßt hat. Frohes Glücksgeftthl
im eignen Herzen und die größten Eindrücke der Natur und der Kunst haben
hier eine Reihe von Gedichten gezeitigt, die poetisch zwar nicht gleichwertig
sind, doch alle den sonnigen Gesamteindruck des kleinen Buches festhalten und
erhöhen helfen. Von den Dardanellen durch Griechenland, uach Neapel und
Rom und hinüber nach Spanien und zurück zum heimischen Rhein führt diese
Fahrt, deren schönste poetische Früchte wir in den Gedichten „In den Darda¬
nellen," „Phhle," „Auf dem Golf von Neapel," „In Pompeji," „Im Ko¬
losseum," „Fortuna Trevi," „In den Lagunen." dem ganz prächtigen „Im
Madrider Museum" und dein frischen „Nachklang" erblicken. Bezeichnend für
Zeit und Zeitstimmung ist es, daß sich der Dichter im „Vorklang" glaubt
entschuldigen zu müssen, daß er glücklich gewesen ist:


Zwölf Jahre hab ichs still herumgetragen.
Um keinem weh zu thun, dem Schmerzen sprossen!
Doch Wahrheit bleibt auch Wahrheit, lichtumflossen.

So weit wären wir also, daß wir das einfachste und Nächstliegende Recht des
Dichters, auch das zu feiern, was ihm das Leben Liebes gebracht hat, mit
Pathos verteidigen müssen!

Unbefangner verkündet am Ausgang des Lebens der greise Heinrich
Zeise in der Sammlung Natur- und Lebensbilder, einem Spütherbst-
strauß (Hamburg, Otto Meißner), seine Gefühle. Ihm erscheint auf froher
Wanderfahrt und in seliger Erinnerung, bei jedem Waldgang und jedem
Mvrgenlenchten die Erde noch immer begehrenswert, noch immer greift ihm


ins Herz so wunderbar
Die endlos weite Welt!

und er ruft sich, da es Herbst um ihn geworden ist. die fernen Lenze vor
das innere Auge. Nicht immer gelingt es ihm. feiner Naturschilderung
einen poetischen Gedanken einzuhauchen, das Naturbild zum dichterischen
Bilde zu steigern, aber wo es ihm gelingt, wie in den Gedichten „Die Sen¬
nerin," „Einem jungen Mädchen," „Die verlassene Mühle," da fühlen wir
uns lebendig erfaßt, wie von der frischesten Jngendpoesie.

Einzelne hübsche, frische und kräftige Lieder und Sprüche begegnen uns
in den Gedichten von Martin Langen (Köln und Leipzig, Albert Ahn),
die ebenso wie die Gedichte von Otto Ernst (Hamburg. Konrad Kloß) in
zweiter, vermehrter Auflage vorliegen. Die politisch-soziale» Parteiungen der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/96>, abgerufen am 27.05.2024.