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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Friedrich Hebbels Briefwechsel

g enügsam und demütig vor, sondern ich fühle mich überschwenglich mit allem,
was ich als Mensch verlangen kann, gesegnet, und ich habe auch alle Ursache
dazu, denn ich habe eine Frau, in der Gemüt und Seele fast verleiblicht sind,
ich habe ein Kind, das sich aufs liebenswürdigste entwickelt, ich habe Freunde
in allen Kreisen, und ich brauche nicht ängstlich mehr für die Zukunft zu sorgen.
Wenden Sie mir ja nicht ein: das alles hattest du früher auch und empfandest
den Fußtritt, den "schweigendes Verdienst vom Unwert hinnimmt," desungeachtet
stark genug; zum Teil besaß ich diese Güter in einem viel beschränkter," Maß,
und dann kommt eben erst im reifern Alter der Sinn für das wahre Glück,
auch mußte ich meine Frau unter den miserabeln Theaterverhältnissen nicht
mehr leiden sehen, und sie brauchte Zeit, sich an das Unabänderliche zu ge¬
wöhnen."^) Zu seinem Lebensglück trug das kleine Besitztum, das er in Orth
bei Gmunden am Traunsee erworben hatte, ursprünglich nur ein schlichtes
Bauernhaus, aber mit schönem Garten und in entzückender Lage viel bei. Er
wurde nicht müde, die Reize dieses kleinen Idylls zu genießen und zu preisen.
"Wir sind in Gmunden bei bestem Wohlsein und leidlichem Wetter eingetroffen
und haben unser kleines Nest um ein beträchtliches bequemer und behaglicher
vorgefunden, als es ehemals war. Wenn der Um- und Ausbau ebenso solide
ist, als er sich dem Auge gefällig und zierlich darstellt, so bin ich meiner Frau
aufrichtig zu Dank verpflichtet und werde mich auch am Ende noch erbitten
lassen, die Kosten zu bezahlen, unter deren Last sie zu keuchen scheint. Ich
schreibe Ihnen jetzt aus einem Balkonzimmer, das auf schlanken, wenn auch
gerade nicht ionischen Säulen ruht; der See schimmert schwarzblau aus Schilf
und Ried hervor, der Traunstein schaut durch die Kronen meiner Äpfel- und
Birnbäume, die freilich um einige ihrer Zweige gekommen find. In unsrer
Abwesenheit ist unser Garten das Asyl der sämtlichen Vögel von Orth ge-
worden, wie eine befreundete Dame uns sagte; sie tritt eines Abends etwas
spät noch hinein, um vom Pavillon ans den Mondschein zu genießen, wie sie
sich dem Eingang aber nähert, rauschen ihr hunderte aufgescheucht entgegen,
die auf dein runden Tisch für die Nacht ihr Lager aufgeschlagen hatten, und
flattern ängstlich hinaus. Kann es ein anmutigeres Bild geben?" ^> Und
noch in dem letzten Sommer, der ihm in Gesundheit gegönnt war, schwelgte
er in den Wonnen, die ihm Gmunden immer wieder bereitete: "Am ersten
Juli traf ich wieder in Gmunden mit meiner Familie zusammen und verlebte
dort bei köstlichem Wetter meine gewöhnlichen sechs Wochen, die unendliche
Fruchtbarkeit des Jahres in meinem eignen kleinen Garten vor Augen, denn
fast jeder Baum mußte gestützt werden, und Äpfel und Birnen hingen in ganzen
Sträußen, wie kolossale Trauben, von den ächzenden Ästen herunter. Mich




') Wien, den 11. März 1858.
2) An Julius Glaser; Orth. den 4. Juli 1860.
Friedrich Hebbels Briefwechsel

g enügsam und demütig vor, sondern ich fühle mich überschwenglich mit allem,
was ich als Mensch verlangen kann, gesegnet, und ich habe auch alle Ursache
dazu, denn ich habe eine Frau, in der Gemüt und Seele fast verleiblicht sind,
ich habe ein Kind, das sich aufs liebenswürdigste entwickelt, ich habe Freunde
in allen Kreisen, und ich brauche nicht ängstlich mehr für die Zukunft zu sorgen.
Wenden Sie mir ja nicht ein: das alles hattest du früher auch und empfandest
den Fußtritt, den »schweigendes Verdienst vom Unwert hinnimmt,« desungeachtet
stark genug; zum Teil besaß ich diese Güter in einem viel beschränkter,» Maß,
und dann kommt eben erst im reifern Alter der Sinn für das wahre Glück,
auch mußte ich meine Frau unter den miserabeln Theaterverhältnissen nicht
mehr leiden sehen, und sie brauchte Zeit, sich an das Unabänderliche zu ge¬
wöhnen."^) Zu seinem Lebensglück trug das kleine Besitztum, das er in Orth
bei Gmunden am Traunsee erworben hatte, ursprünglich nur ein schlichtes
Bauernhaus, aber mit schönem Garten und in entzückender Lage viel bei. Er
wurde nicht müde, die Reize dieses kleinen Idylls zu genießen und zu preisen.
„Wir sind in Gmunden bei bestem Wohlsein und leidlichem Wetter eingetroffen
und haben unser kleines Nest um ein beträchtliches bequemer und behaglicher
vorgefunden, als es ehemals war. Wenn der Um- und Ausbau ebenso solide
ist, als er sich dem Auge gefällig und zierlich darstellt, so bin ich meiner Frau
aufrichtig zu Dank verpflichtet und werde mich auch am Ende noch erbitten
lassen, die Kosten zu bezahlen, unter deren Last sie zu keuchen scheint. Ich
schreibe Ihnen jetzt aus einem Balkonzimmer, das auf schlanken, wenn auch
gerade nicht ionischen Säulen ruht; der See schimmert schwarzblau aus Schilf
und Ried hervor, der Traunstein schaut durch die Kronen meiner Äpfel- und
Birnbäume, die freilich um einige ihrer Zweige gekommen find. In unsrer
Abwesenheit ist unser Garten das Asyl der sämtlichen Vögel von Orth ge-
worden, wie eine befreundete Dame uns sagte; sie tritt eines Abends etwas
spät noch hinein, um vom Pavillon ans den Mondschein zu genießen, wie sie
sich dem Eingang aber nähert, rauschen ihr hunderte aufgescheucht entgegen,
die auf dein runden Tisch für die Nacht ihr Lager aufgeschlagen hatten, und
flattern ängstlich hinaus. Kann es ein anmutigeres Bild geben?" ^> Und
noch in dem letzten Sommer, der ihm in Gesundheit gegönnt war, schwelgte
er in den Wonnen, die ihm Gmunden immer wieder bereitete: „Am ersten
Juli traf ich wieder in Gmunden mit meiner Familie zusammen und verlebte
dort bei köstlichem Wetter meine gewöhnlichen sechs Wochen, die unendliche
Fruchtbarkeit des Jahres in meinem eignen kleinen Garten vor Augen, denn
fast jeder Baum mußte gestützt werden, und Äpfel und Birnen hingen in ganzen
Sträußen, wie kolossale Trauben, von den ächzenden Ästen herunter. Mich




') Wien, den 11. März 1858.
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[0278] Friedrich Hebbels Briefwechsel g enügsam und demütig vor, sondern ich fühle mich überschwenglich mit allem, was ich als Mensch verlangen kann, gesegnet, und ich habe auch alle Ursache dazu, denn ich habe eine Frau, in der Gemüt und Seele fast verleiblicht sind, ich habe ein Kind, das sich aufs liebenswürdigste entwickelt, ich habe Freunde in allen Kreisen, und ich brauche nicht ängstlich mehr für die Zukunft zu sorgen. Wenden Sie mir ja nicht ein: das alles hattest du früher auch und empfandest den Fußtritt, den »schweigendes Verdienst vom Unwert hinnimmt,« desungeachtet stark genug; zum Teil besaß ich diese Güter in einem viel beschränkter,» Maß, und dann kommt eben erst im reifern Alter der Sinn für das wahre Glück, auch mußte ich meine Frau unter den miserabeln Theaterverhältnissen nicht mehr leiden sehen, und sie brauchte Zeit, sich an das Unabänderliche zu ge¬ wöhnen."^) Zu seinem Lebensglück trug das kleine Besitztum, das er in Orth bei Gmunden am Traunsee erworben hatte, ursprünglich nur ein schlichtes Bauernhaus, aber mit schönem Garten und in entzückender Lage viel bei. Er wurde nicht müde, die Reize dieses kleinen Idylls zu genießen und zu preisen. „Wir sind in Gmunden bei bestem Wohlsein und leidlichem Wetter eingetroffen und haben unser kleines Nest um ein beträchtliches bequemer und behaglicher vorgefunden, als es ehemals war. Wenn der Um- und Ausbau ebenso solide ist, als er sich dem Auge gefällig und zierlich darstellt, so bin ich meiner Frau aufrichtig zu Dank verpflichtet und werde mich auch am Ende noch erbitten lassen, die Kosten zu bezahlen, unter deren Last sie zu keuchen scheint. Ich schreibe Ihnen jetzt aus einem Balkonzimmer, das auf schlanken, wenn auch gerade nicht ionischen Säulen ruht; der See schimmert schwarzblau aus Schilf und Ried hervor, der Traunstein schaut durch die Kronen meiner Äpfel- und Birnbäume, die freilich um einige ihrer Zweige gekommen find. In unsrer Abwesenheit ist unser Garten das Asyl der sämtlichen Vögel von Orth ge- worden, wie eine befreundete Dame uns sagte; sie tritt eines Abends etwas spät noch hinein, um vom Pavillon ans den Mondschein zu genießen, wie sie sich dem Eingang aber nähert, rauschen ihr hunderte aufgescheucht entgegen, die auf dein runden Tisch für die Nacht ihr Lager aufgeschlagen hatten, und flattern ängstlich hinaus. Kann es ein anmutigeres Bild geben?" ^> Und noch in dem letzten Sommer, der ihm in Gesundheit gegönnt war, schwelgte er in den Wonnen, die ihm Gmunden immer wieder bereitete: „Am ersten Juli traf ich wieder in Gmunden mit meiner Familie zusammen und verlebte dort bei köstlichem Wetter meine gewöhnlichen sechs Wochen, die unendliche Fruchtbarkeit des Jahres in meinem eignen kleinen Garten vor Augen, denn fast jeder Baum mußte gestützt werden, und Äpfel und Birnen hingen in ganzen Sträußen, wie kolossale Trauben, von den ächzenden Ästen herunter. Mich ') Wien, den 11. März 1858. 2) An Julius Glaser; Orth. den 4. Juli 1860.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/278>, abgerufen am 10.06.2024.