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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Friedrich Hebbels Briefwechsel

rührt und erhebt ein solches Übersprudeln der Natur, es ist, als ob ein neuer
Liebes- und Lebensblitz durchs Weltall zuckte."

Es ist erquicklich, aus diesen und hundert andern Einzelheiten der Briefe
Hebbels die Gewißheit zu gewinnen, daß sich sein persönliches Leben wie seine
Dichterkraft und seine Bildung in aufsteigender Linie bewegt hat, daß er nicht
bloß Orden und Schillcrpreise, Lorbeerkränze und Lobgedichte erhielt, sondern
bis zuletzt den innern Gewinn seines Lebens mehrte und neben jedem Segen der
Kraft auch jeden Segen der Milde empfand. Wundervoll spricht des Dichters
warme Teilnahme an aller menschlichen Bedürftigkeit aus einer laugen Reihe
feiner Briefe, auch aus dem letzten an seine Frau gerichteten. Hebbel brauchte
im September 1863 die Bäder von Baden bei Wien und berichtete an Frau
Christine, daß er etwas später als seither sein tägliches Bad nehme: "Ich
gehe jetzt etwas später, teils weil Freund Schulz es mir durch dich raten
ließ, mehr aber noch, um dem armen Greise, denn alten italienischen Arzt,
einen Gefallen zu thun. Dieser fürchtet sich nämlich so sehr, allein im Wasser
zu sein, wozu er auch in seinem hilflosen Zustande alle Ursache hat, und da
die Frequenz jetzt nicht mehr besonders stark ist, so richte ich mich so ein, daß
ich ihm Gesellschaft leisten kann. So lächerlich er mir anfangs vorkam, so
rührend ist er mir jetzt; er hat bei all seinen kleinen Schwächen eine wahre
Kinderseele, die ihm auch aus den gutmütigen Augen sieht, ist schändlich be¬
trogen worden und steht ganz einsam in der Welt. Schrecklich! Was ist
ein Totenkopf gegen einen solchen Greis, wenigstens sür mich!"

Bei solcher Grundstimmung seines zum Höhepunkt gelangten Lebens hatte
der Tod, so wenig er ihn ersehnte, doch seine Schrecken für ihn verloren. Wenn
wir lesen, daß er im November 1863, schon auf dem Totenbette, die Nachricht
von der Berliner Preiskrönung seiner "Nibelungen" lächelnd mit den Worten
empfing: "Das ist Menschenlos, bald fehlt uns der Wein, bald fehlt uns der
Becher," daß er sich am letzten Nachmittag seines Lebens von seiner Tochter
Schillers "Spaziergang," das Gedicht, das jederzeit zu seinen Lieblingen ge¬
hört hatte, vorlesen ließ, daß er bis zuletzt für den kleinsten Liebesdienst, deu
man ihm erwies, herzlich dankbar blieb, so fühlen wir, daß alles edle Pathos
der Briefe seines letzten Jahrzehnts, alle Weihe, die aus seinein poetischen
Testament, dem Gedicht "Der Brahmine" spricht, innere Wahrheit war, und
daß der Dichter die Dämonen, die seine Jugend geschädigt und verdunkelt hatten,
in sich selbst überwunden hatte. Sicher wird auch nach dieser letzten ausführ¬
lichen Veröffentlichung der Streit über Friedrich Hebbel nicht abgeschlossen
sein, denn obwohl er der letzte war, der sich eine Schuld leichtfertig ver¬
geben Hütte, und zum innern Glück seines spätern Lebens gar nicht gelangt
wäre, wenn er nicht zuvor für jede Schuld redlich Buße und Sühne geleistet



-) An Fr. von Üchtriß; Wien, 25. Oktober 1"K7.
Friedrich Hebbels Briefwechsel

rührt und erhebt ein solches Übersprudeln der Natur, es ist, als ob ein neuer
Liebes- und Lebensblitz durchs Weltall zuckte."

Es ist erquicklich, aus diesen und hundert andern Einzelheiten der Briefe
Hebbels die Gewißheit zu gewinnen, daß sich sein persönliches Leben wie seine
Dichterkraft und seine Bildung in aufsteigender Linie bewegt hat, daß er nicht
bloß Orden und Schillcrpreise, Lorbeerkränze und Lobgedichte erhielt, sondern
bis zuletzt den innern Gewinn seines Lebens mehrte und neben jedem Segen der
Kraft auch jeden Segen der Milde empfand. Wundervoll spricht des Dichters
warme Teilnahme an aller menschlichen Bedürftigkeit aus einer laugen Reihe
feiner Briefe, auch aus dem letzten an seine Frau gerichteten. Hebbel brauchte
im September 1863 die Bäder von Baden bei Wien und berichtete an Frau
Christine, daß er etwas später als seither sein tägliches Bad nehme: „Ich
gehe jetzt etwas später, teils weil Freund Schulz es mir durch dich raten
ließ, mehr aber noch, um dem armen Greise, denn alten italienischen Arzt,
einen Gefallen zu thun. Dieser fürchtet sich nämlich so sehr, allein im Wasser
zu sein, wozu er auch in seinem hilflosen Zustande alle Ursache hat, und da
die Frequenz jetzt nicht mehr besonders stark ist, so richte ich mich so ein, daß
ich ihm Gesellschaft leisten kann. So lächerlich er mir anfangs vorkam, so
rührend ist er mir jetzt; er hat bei all seinen kleinen Schwächen eine wahre
Kinderseele, die ihm auch aus den gutmütigen Augen sieht, ist schändlich be¬
trogen worden und steht ganz einsam in der Welt. Schrecklich! Was ist
ein Totenkopf gegen einen solchen Greis, wenigstens sür mich!"

Bei solcher Grundstimmung seines zum Höhepunkt gelangten Lebens hatte
der Tod, so wenig er ihn ersehnte, doch seine Schrecken für ihn verloren. Wenn
wir lesen, daß er im November 1863, schon auf dem Totenbette, die Nachricht
von der Berliner Preiskrönung seiner „Nibelungen" lächelnd mit den Worten
empfing: „Das ist Menschenlos, bald fehlt uns der Wein, bald fehlt uns der
Becher," daß er sich am letzten Nachmittag seines Lebens von seiner Tochter
Schillers „Spaziergang," das Gedicht, das jederzeit zu seinen Lieblingen ge¬
hört hatte, vorlesen ließ, daß er bis zuletzt für den kleinsten Liebesdienst, deu
man ihm erwies, herzlich dankbar blieb, so fühlen wir, daß alles edle Pathos
der Briefe seines letzten Jahrzehnts, alle Weihe, die aus seinein poetischen
Testament, dem Gedicht „Der Brahmine" spricht, innere Wahrheit war, und
daß der Dichter die Dämonen, die seine Jugend geschädigt und verdunkelt hatten,
in sich selbst überwunden hatte. Sicher wird auch nach dieser letzten ausführ¬
lichen Veröffentlichung der Streit über Friedrich Hebbel nicht abgeschlossen
sein, denn obwohl er der letzte war, der sich eine Schuld leichtfertig ver¬
geben Hütte, und zum innern Glück seines spätern Lebens gar nicht gelangt
wäre, wenn er nicht zuvor für jede Schuld redlich Buße und Sühne geleistet



-) An Fr. von Üchtriß; Wien, 25. Oktober 1»K7.
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[0279] Friedrich Hebbels Briefwechsel rührt und erhebt ein solches Übersprudeln der Natur, es ist, als ob ein neuer Liebes- und Lebensblitz durchs Weltall zuckte." Es ist erquicklich, aus diesen und hundert andern Einzelheiten der Briefe Hebbels die Gewißheit zu gewinnen, daß sich sein persönliches Leben wie seine Dichterkraft und seine Bildung in aufsteigender Linie bewegt hat, daß er nicht bloß Orden und Schillcrpreise, Lorbeerkränze und Lobgedichte erhielt, sondern bis zuletzt den innern Gewinn seines Lebens mehrte und neben jedem Segen der Kraft auch jeden Segen der Milde empfand. Wundervoll spricht des Dichters warme Teilnahme an aller menschlichen Bedürftigkeit aus einer laugen Reihe feiner Briefe, auch aus dem letzten an seine Frau gerichteten. Hebbel brauchte im September 1863 die Bäder von Baden bei Wien und berichtete an Frau Christine, daß er etwas später als seither sein tägliches Bad nehme: „Ich gehe jetzt etwas später, teils weil Freund Schulz es mir durch dich raten ließ, mehr aber noch, um dem armen Greise, denn alten italienischen Arzt, einen Gefallen zu thun. Dieser fürchtet sich nämlich so sehr, allein im Wasser zu sein, wozu er auch in seinem hilflosen Zustande alle Ursache hat, und da die Frequenz jetzt nicht mehr besonders stark ist, so richte ich mich so ein, daß ich ihm Gesellschaft leisten kann. So lächerlich er mir anfangs vorkam, so rührend ist er mir jetzt; er hat bei all seinen kleinen Schwächen eine wahre Kinderseele, die ihm auch aus den gutmütigen Augen sieht, ist schändlich be¬ trogen worden und steht ganz einsam in der Welt. Schrecklich! Was ist ein Totenkopf gegen einen solchen Greis, wenigstens sür mich!" Bei solcher Grundstimmung seines zum Höhepunkt gelangten Lebens hatte der Tod, so wenig er ihn ersehnte, doch seine Schrecken für ihn verloren. Wenn wir lesen, daß er im November 1863, schon auf dem Totenbette, die Nachricht von der Berliner Preiskrönung seiner „Nibelungen" lächelnd mit den Worten empfing: „Das ist Menschenlos, bald fehlt uns der Wein, bald fehlt uns der Becher," daß er sich am letzten Nachmittag seines Lebens von seiner Tochter Schillers „Spaziergang," das Gedicht, das jederzeit zu seinen Lieblingen ge¬ hört hatte, vorlesen ließ, daß er bis zuletzt für den kleinsten Liebesdienst, deu man ihm erwies, herzlich dankbar blieb, so fühlen wir, daß alles edle Pathos der Briefe seines letzten Jahrzehnts, alle Weihe, die aus seinein poetischen Testament, dem Gedicht „Der Brahmine" spricht, innere Wahrheit war, und daß der Dichter die Dämonen, die seine Jugend geschädigt und verdunkelt hatten, in sich selbst überwunden hatte. Sicher wird auch nach dieser letzten ausführ¬ lichen Veröffentlichung der Streit über Friedrich Hebbel nicht abgeschlossen sein, denn obwohl er der letzte war, der sich eine Schuld leichtfertig ver¬ geben Hütte, und zum innern Glück seines spätern Lebens gar nicht gelangt wäre, wenn er nicht zuvor für jede Schuld redlich Buße und Sühne geleistet -) An Fr. von Üchtriß; Wien, 25. Oktober 1»K7.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/279>, abgerufen am 19.05.2024.