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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Leila die Uatzenprinzessin

sich ja dem Seefahrer durch den Duft ihrer Pflanzenwelt verraten, noch ehe
sie sein Auge wahrnimmt. Ja, der Orient, der wunderbare, geheimnisvolle
Orient, das war das Land seiner Sehnsucht. Die kleinen Säckchen, in denen
die seltnen Mvkkabvhnen ihrer Bestimmung entgegenträumten, die Ballen tür¬
kischen Tabaks, ans denen der Lehrherr mit bedächtigem Schmunzeln eine Probe
entnahm, die er dann mit Hilfe einer neuen holländische" Thonpfeife in süßen
blauen Rauch verwandelte, die kleinen geschliffnen Glasfläschchen mit vergoldetem
Rand, die einen Tropfen des kostbaren Rosenöls enthielten, alles das schien
ihm ans einer andern, schöneren Welt zu kommen. Wie glücklich war er, wenn
er nnter den vielfachen Hüllen der Verpackung ein zerknittertes Palmblatt oder
einen Papierfetzen mit arabischer Schrift fand, und mit welchem Eifer ver¬
wandte er jeden Augenblick seiner kargen Muße dazu, sich über jene Gegenden
des Aufgangs zu unterrichten!

Da setzte ihn der Tod eines reichen Verwandten in die Lage, seinen
Lieblingswunsch erfüllen und sich dem Studium widmen zu können. Er hörte
Vorlesungen an der Universität und beschäftigte sich mit den Sprachen und
der Philosophie der Alten. Aber auch hier verließ ihn seine Sehnsucht nach
dem Orient nicht, vom Lateinischen und Griechische" wandte er sich dem
Hebräischen zu und machte sich in erstaunlich kurzer Zeit mit der Sprache des
auserwählten Volkes vertraut. Nun kannte er kein größeres Vergnügen, als
sich ans dem Brühl herumzutreiben und die Bekanntschaft jener Nembrandtischen
Modelle zu machen, die dort mit Pelzwerk handeln und sich in den Lauten
ihrer Vorfahren unterhalten. Vom Hebräischen kam er zum Arabischen. Da
ihm aber die Litteratur dieser Sprache nicht den gehofften Reichtum bot, so be¬
gann er nebenbei Persisch zu treibe". Hier spornten ihn die Name" Firdusi,
Sadi und Hafis zu doppeltem Eiser an. Als er zum erstenmale einige Strophen
des Schah-Rauch las, faßte ihn ein wahrer Taumel der Begeisterung, sodciß
er den ganzen Tag Speise und Trank vergaß.

In "Küchenmeisters Hof" am Markte, hoch oben unter dein Giebel des
stattliche" Hauses, hatte er einige bescheidne Stuben gemietet. Dort lebte er in
stiller Zurückgezogenheit mit seinen Bücher", dere" Anzahl sich fast täglich ver¬
mehrte. Nur die Schwalbe", die am Gesims des Hauses nisteten, und die
Tauben des nahen Rathausturmes machte" ihm vo" Zeit zu Zeit Nachbar¬
schaftsbesuche; sonst sah er in seiner Nähe kein andres lebendes Wesen, als
die alte Suse, die ehemalige Dienerin seiner Großeltern, die in einem der
Hofflügel des Hauses wohnte, morgens und abends nach dem nötigsten sah
und über ihn und sein kleines Reich mit unerbittlicher Strenge und besen-
bewaffueter Hand regierte. Früher hatte sie es für ihre Pflicht gehalten, auch
für seine Unterhaltung zu sorgen, aber allmählich war sie zu der Einsicht ge¬
kommen, daß sich der arme "überstndirte" junge Herr, wie sie ihn nannte,
für nichts andres interessirte, als für seine alten Bücher, und als er einst,


Leila die Uatzenprinzessin

sich ja dem Seefahrer durch den Duft ihrer Pflanzenwelt verraten, noch ehe
sie sein Auge wahrnimmt. Ja, der Orient, der wunderbare, geheimnisvolle
Orient, das war das Land seiner Sehnsucht. Die kleinen Säckchen, in denen
die seltnen Mvkkabvhnen ihrer Bestimmung entgegenträumten, die Ballen tür¬
kischen Tabaks, ans denen der Lehrherr mit bedächtigem Schmunzeln eine Probe
entnahm, die er dann mit Hilfe einer neuen holländische» Thonpfeife in süßen
blauen Rauch verwandelte, die kleinen geschliffnen Glasfläschchen mit vergoldetem
Rand, die einen Tropfen des kostbaren Rosenöls enthielten, alles das schien
ihm ans einer andern, schöneren Welt zu kommen. Wie glücklich war er, wenn
er nnter den vielfachen Hüllen der Verpackung ein zerknittertes Palmblatt oder
einen Papierfetzen mit arabischer Schrift fand, und mit welchem Eifer ver¬
wandte er jeden Augenblick seiner kargen Muße dazu, sich über jene Gegenden
des Aufgangs zu unterrichten!

Da setzte ihn der Tod eines reichen Verwandten in die Lage, seinen
Lieblingswunsch erfüllen und sich dem Studium widmen zu können. Er hörte
Vorlesungen an der Universität und beschäftigte sich mit den Sprachen und
der Philosophie der Alten. Aber auch hier verließ ihn seine Sehnsucht nach
dem Orient nicht, vom Lateinischen und Griechische» wandte er sich dem
Hebräischen zu und machte sich in erstaunlich kurzer Zeit mit der Sprache des
auserwählten Volkes vertraut. Nun kannte er kein größeres Vergnügen, als
sich ans dem Brühl herumzutreiben und die Bekanntschaft jener Nembrandtischen
Modelle zu machen, die dort mit Pelzwerk handeln und sich in den Lauten
ihrer Vorfahren unterhalten. Vom Hebräischen kam er zum Arabischen. Da
ihm aber die Litteratur dieser Sprache nicht den gehofften Reichtum bot, so be¬
gann er nebenbei Persisch zu treibe». Hier spornten ihn die Name» Firdusi,
Sadi und Hafis zu doppeltem Eiser an. Als er zum erstenmale einige Strophen
des Schah-Rauch las, faßte ihn ein wahrer Taumel der Begeisterung, sodciß
er den ganzen Tag Speise und Trank vergaß.

In „Küchenmeisters Hof" am Markte, hoch oben unter dein Giebel des
stattliche» Hauses, hatte er einige bescheidne Stuben gemietet. Dort lebte er in
stiller Zurückgezogenheit mit seinen Bücher», dere» Anzahl sich fast täglich ver¬
mehrte. Nur die Schwalbe», die am Gesims des Hauses nisteten, und die
Tauben des nahen Rathausturmes machte» ihm vo» Zeit zu Zeit Nachbar¬
schaftsbesuche; sonst sah er in seiner Nähe kein andres lebendes Wesen, als
die alte Suse, die ehemalige Dienerin seiner Großeltern, die in einem der
Hofflügel des Hauses wohnte, morgens und abends nach dem nötigsten sah
und über ihn und sein kleines Reich mit unerbittlicher Strenge und besen-
bewaffueter Hand regierte. Früher hatte sie es für ihre Pflicht gehalten, auch
für seine Unterhaltung zu sorgen, aber allmählich war sie zu der Einsicht ge¬
kommen, daß sich der arme „überstndirte" junge Herr, wie sie ihn nannte,
für nichts andres interessirte, als für seine alten Bücher, und als er einst,


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[0281] Leila die Uatzenprinzessin sich ja dem Seefahrer durch den Duft ihrer Pflanzenwelt verraten, noch ehe sie sein Auge wahrnimmt. Ja, der Orient, der wunderbare, geheimnisvolle Orient, das war das Land seiner Sehnsucht. Die kleinen Säckchen, in denen die seltnen Mvkkabvhnen ihrer Bestimmung entgegenträumten, die Ballen tür¬ kischen Tabaks, ans denen der Lehrherr mit bedächtigem Schmunzeln eine Probe entnahm, die er dann mit Hilfe einer neuen holländische» Thonpfeife in süßen blauen Rauch verwandelte, die kleinen geschliffnen Glasfläschchen mit vergoldetem Rand, die einen Tropfen des kostbaren Rosenöls enthielten, alles das schien ihm ans einer andern, schöneren Welt zu kommen. Wie glücklich war er, wenn er nnter den vielfachen Hüllen der Verpackung ein zerknittertes Palmblatt oder einen Papierfetzen mit arabischer Schrift fand, und mit welchem Eifer ver¬ wandte er jeden Augenblick seiner kargen Muße dazu, sich über jene Gegenden des Aufgangs zu unterrichten! Da setzte ihn der Tod eines reichen Verwandten in die Lage, seinen Lieblingswunsch erfüllen und sich dem Studium widmen zu können. Er hörte Vorlesungen an der Universität und beschäftigte sich mit den Sprachen und der Philosophie der Alten. Aber auch hier verließ ihn seine Sehnsucht nach dem Orient nicht, vom Lateinischen und Griechische» wandte er sich dem Hebräischen zu und machte sich in erstaunlich kurzer Zeit mit der Sprache des auserwählten Volkes vertraut. Nun kannte er kein größeres Vergnügen, als sich ans dem Brühl herumzutreiben und die Bekanntschaft jener Nembrandtischen Modelle zu machen, die dort mit Pelzwerk handeln und sich in den Lauten ihrer Vorfahren unterhalten. Vom Hebräischen kam er zum Arabischen. Da ihm aber die Litteratur dieser Sprache nicht den gehofften Reichtum bot, so be¬ gann er nebenbei Persisch zu treibe». Hier spornten ihn die Name» Firdusi, Sadi und Hafis zu doppeltem Eiser an. Als er zum erstenmale einige Strophen des Schah-Rauch las, faßte ihn ein wahrer Taumel der Begeisterung, sodciß er den ganzen Tag Speise und Trank vergaß. In „Küchenmeisters Hof" am Markte, hoch oben unter dein Giebel des stattliche» Hauses, hatte er einige bescheidne Stuben gemietet. Dort lebte er in stiller Zurückgezogenheit mit seinen Bücher», dere» Anzahl sich fast täglich ver¬ mehrte. Nur die Schwalbe», die am Gesims des Hauses nisteten, und die Tauben des nahen Rathausturmes machte» ihm vo» Zeit zu Zeit Nachbar¬ schaftsbesuche; sonst sah er in seiner Nähe kein andres lebendes Wesen, als die alte Suse, die ehemalige Dienerin seiner Großeltern, die in einem der Hofflügel des Hauses wohnte, morgens und abends nach dem nötigsten sah und über ihn und sein kleines Reich mit unerbittlicher Strenge und besen- bewaffueter Hand regierte. Früher hatte sie es für ihre Pflicht gehalten, auch für seine Unterhaltung zu sorgen, aber allmählich war sie zu der Einsicht ge¬ kommen, daß sich der arme „überstndirte" junge Herr, wie sie ihn nannte, für nichts andres interessirte, als für seine alten Bücher, und als er einst,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/281>, abgerufen am 19.05.2024.