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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Leila die Aatzenprinzessin

nachdem sie ihm in einer länger" Rede über das neue Seidenkleid der Frau
Kalkulator Kegelmeyer berichtet hatte, durch eine gänzlich unmotivirte Frage
bewies, daß er gar nicht zugehört, sondern inzwischen über die Stellung des
Hamsazeichens in arabischen Wortanfängen nachgedacht hatte, faßte sie den
heroischen Entschluß, von jetzt an jedes Gespräch mit Justus zu vermeiden.

Unter diesen Umständen war es auch erklärlich, daß der junge Gelehrte
mit deu Bewohnern von "Küchenmeisters Hof" keinen Verkehr hatte, aus¬
genommen den alten Professor Walther. Der war auch Junggeselle und hatte
im Laufe seines langen Lebens so viel Seltsamkeiten angenommen, daß er zu
den bekanntesten Persönlichkeiten der Stadt gehörte. Er bewohnte das Stock¬
werk unter Justus Wohnung, aber beide hatten lange Zeit keine Ahnung von
ihrer beiderseitigen Existenz gehabt, bis sie der Zufall eines Tages auf dem
Pauliuerhofe zusammenführte und in ein lebhaftes Gespräch über Parti-
zipialkoustruktionen in baskischen Volksliedern verwickelte. Am Thore von
"Küchenmeisters Hof" blieben sie stehen, jeder von beiden, der sich von dem
andern nach Hause begleitet glaubte, wartete auf den Augenblick, wo sich der
andre verabschieden würde, bis sie endlich zu ihrem Erstaunen bemerkten, daß
sie seit Monaten in demselben Hause und in unmittelbarer Nähe wohnten.
Seitdem besuchten sie sich öfter. So groß ihr Altersunterschied, so verschieden
ihr Entwicklungsgang war, gewisse gelehrte Neigungen hatten beide auf ein
Gebiet geführt, das ihnen mancherlei Berührungspunkte bot, und so verging
selten ein Tag, wo sie nicht Gedanken über litterarische Fragen ausgetauscht
oder einander merkwürdige Stellen aus Büchern und Arbeiten, die sie gerade
beschäftigten, vorgelesen hätten.

So absonderlich wie der Professor selbst, der eine feuerrote Perücke trug
und ein wenig hinkte, war die Einrichtung und Ausstattung seiner Wohnung.
Eine Unzahl von Stühlen jedes Geschmacks und Alters, alle durch das ge¬
meinsame Gebrechen eines zu kurzen Beines ihrem Besitzer ähnlich, eine er¬
staunliche Menge von Silhouetten würdiger Herren und zierlicher Damen, die
alle mehr oder weniger die etwas sonderbar gebogne Walthersche Nase zeigten,
dazu eine Sammlung fabelhaft geformter Kakteen, deren karminrote Blüten
in schreiendein Gegensatz zu der Perücke ihres Besitzers standen -- dies alles
berührte den Besucher immer von neuem aufs eigentümlichste.

Die übrigen Bewohner von "Küchenmeisters Hof" bekümmerten sich um
den jungen Gelehrten wenig oder gar nicht; höchstens daß die Frauen oder
Mädchen aus einem der untern Stockwerke einmal einen neugierigen Blick in
das einsame niedrige Studirzimmer warfen, wenn sie einen Korb Wäsche zum
Trocknen auf den Dachboden trugen und bei der kurzen Rast vor der letzten
Treppe die Thüre zum Flur zufällig offen fanden.

In schönen Frühlingsnächten aber herrschte auf diesem Flur ein reges
^eben. denn hier pflegten sich sämtliche Kater und Katzen der Nachbarschaft


Grenzboten II 1893 35
Leila die Aatzenprinzessin

nachdem sie ihm in einer länger« Rede über das neue Seidenkleid der Frau
Kalkulator Kegelmeyer berichtet hatte, durch eine gänzlich unmotivirte Frage
bewies, daß er gar nicht zugehört, sondern inzwischen über die Stellung des
Hamsazeichens in arabischen Wortanfängen nachgedacht hatte, faßte sie den
heroischen Entschluß, von jetzt an jedes Gespräch mit Justus zu vermeiden.

Unter diesen Umständen war es auch erklärlich, daß der junge Gelehrte
mit deu Bewohnern von „Küchenmeisters Hof" keinen Verkehr hatte, aus¬
genommen den alten Professor Walther. Der war auch Junggeselle und hatte
im Laufe seines langen Lebens so viel Seltsamkeiten angenommen, daß er zu
den bekanntesten Persönlichkeiten der Stadt gehörte. Er bewohnte das Stock¬
werk unter Justus Wohnung, aber beide hatten lange Zeit keine Ahnung von
ihrer beiderseitigen Existenz gehabt, bis sie der Zufall eines Tages auf dem
Pauliuerhofe zusammenführte und in ein lebhaftes Gespräch über Parti-
zipialkoustruktionen in baskischen Volksliedern verwickelte. Am Thore von
„Küchenmeisters Hof" blieben sie stehen, jeder von beiden, der sich von dem
andern nach Hause begleitet glaubte, wartete auf den Augenblick, wo sich der
andre verabschieden würde, bis sie endlich zu ihrem Erstaunen bemerkten, daß
sie seit Monaten in demselben Hause und in unmittelbarer Nähe wohnten.
Seitdem besuchten sie sich öfter. So groß ihr Altersunterschied, so verschieden
ihr Entwicklungsgang war, gewisse gelehrte Neigungen hatten beide auf ein
Gebiet geführt, das ihnen mancherlei Berührungspunkte bot, und so verging
selten ein Tag, wo sie nicht Gedanken über litterarische Fragen ausgetauscht
oder einander merkwürdige Stellen aus Büchern und Arbeiten, die sie gerade
beschäftigten, vorgelesen hätten.

So absonderlich wie der Professor selbst, der eine feuerrote Perücke trug
und ein wenig hinkte, war die Einrichtung und Ausstattung seiner Wohnung.
Eine Unzahl von Stühlen jedes Geschmacks und Alters, alle durch das ge¬
meinsame Gebrechen eines zu kurzen Beines ihrem Besitzer ähnlich, eine er¬
staunliche Menge von Silhouetten würdiger Herren und zierlicher Damen, die
alle mehr oder weniger die etwas sonderbar gebogne Walthersche Nase zeigten,
dazu eine Sammlung fabelhaft geformter Kakteen, deren karminrote Blüten
in schreiendein Gegensatz zu der Perücke ihres Besitzers standen — dies alles
berührte den Besucher immer von neuem aufs eigentümlichste.

Die übrigen Bewohner von „Küchenmeisters Hof" bekümmerten sich um
den jungen Gelehrten wenig oder gar nicht; höchstens daß die Frauen oder
Mädchen aus einem der untern Stockwerke einmal einen neugierigen Blick in
das einsame niedrige Studirzimmer warfen, wenn sie einen Korb Wäsche zum
Trocknen auf den Dachboden trugen und bei der kurzen Rast vor der letzten
Treppe die Thüre zum Flur zufällig offen fanden.

In schönen Frühlingsnächten aber herrschte auf diesem Flur ein reges
^eben. denn hier pflegten sich sämtliche Kater und Katzen der Nachbarschaft


Grenzboten II 1893 35
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[0282] Leila die Aatzenprinzessin nachdem sie ihm in einer länger« Rede über das neue Seidenkleid der Frau Kalkulator Kegelmeyer berichtet hatte, durch eine gänzlich unmotivirte Frage bewies, daß er gar nicht zugehört, sondern inzwischen über die Stellung des Hamsazeichens in arabischen Wortanfängen nachgedacht hatte, faßte sie den heroischen Entschluß, von jetzt an jedes Gespräch mit Justus zu vermeiden. Unter diesen Umständen war es auch erklärlich, daß der junge Gelehrte mit deu Bewohnern von „Küchenmeisters Hof" keinen Verkehr hatte, aus¬ genommen den alten Professor Walther. Der war auch Junggeselle und hatte im Laufe seines langen Lebens so viel Seltsamkeiten angenommen, daß er zu den bekanntesten Persönlichkeiten der Stadt gehörte. Er bewohnte das Stock¬ werk unter Justus Wohnung, aber beide hatten lange Zeit keine Ahnung von ihrer beiderseitigen Existenz gehabt, bis sie der Zufall eines Tages auf dem Pauliuerhofe zusammenführte und in ein lebhaftes Gespräch über Parti- zipialkoustruktionen in baskischen Volksliedern verwickelte. Am Thore von „Küchenmeisters Hof" blieben sie stehen, jeder von beiden, der sich von dem andern nach Hause begleitet glaubte, wartete auf den Augenblick, wo sich der andre verabschieden würde, bis sie endlich zu ihrem Erstaunen bemerkten, daß sie seit Monaten in demselben Hause und in unmittelbarer Nähe wohnten. Seitdem besuchten sie sich öfter. So groß ihr Altersunterschied, so verschieden ihr Entwicklungsgang war, gewisse gelehrte Neigungen hatten beide auf ein Gebiet geführt, das ihnen mancherlei Berührungspunkte bot, und so verging selten ein Tag, wo sie nicht Gedanken über litterarische Fragen ausgetauscht oder einander merkwürdige Stellen aus Büchern und Arbeiten, die sie gerade beschäftigten, vorgelesen hätten. So absonderlich wie der Professor selbst, der eine feuerrote Perücke trug und ein wenig hinkte, war die Einrichtung und Ausstattung seiner Wohnung. Eine Unzahl von Stühlen jedes Geschmacks und Alters, alle durch das ge¬ meinsame Gebrechen eines zu kurzen Beines ihrem Besitzer ähnlich, eine er¬ staunliche Menge von Silhouetten würdiger Herren und zierlicher Damen, die alle mehr oder weniger die etwas sonderbar gebogne Walthersche Nase zeigten, dazu eine Sammlung fabelhaft geformter Kakteen, deren karminrote Blüten in schreiendein Gegensatz zu der Perücke ihres Besitzers standen — dies alles berührte den Besucher immer von neuem aufs eigentümlichste. Die übrigen Bewohner von „Küchenmeisters Hof" bekümmerten sich um den jungen Gelehrten wenig oder gar nicht; höchstens daß die Frauen oder Mädchen aus einem der untern Stockwerke einmal einen neugierigen Blick in das einsame niedrige Studirzimmer warfen, wenn sie einen Korb Wäsche zum Trocknen auf den Dachboden trugen und bei der kurzen Rast vor der letzten Treppe die Thüre zum Flur zufällig offen fanden. In schönen Frühlingsnächten aber herrschte auf diesem Flur ein reges ^eben. denn hier pflegten sich sämtliche Kater und Katzen der Nachbarschaft Grenzboten II 1893 35

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/282>, abgerufen am 10.06.2024.