Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.Bilder ans dem Mesteil richten, in welchem Verhältnis er zur Welthygieue stehe, mußte ich mir mit Das alte provisorische Gesundheitsamt an der Grantstraße ist eine recht Sehen wir uns diesen Ofen einmal etwas näher an. Er ist wichtig sür Bilder ans dem Mesteil richten, in welchem Verhältnis er zur Welthygieue stehe, mußte ich mir mit Das alte provisorische Gesundheitsamt an der Grantstraße ist eine recht Sehen wir uns diesen Ofen einmal etwas näher an. Er ist wichtig sür <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0279" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/216003"/> <fw type="header" place="top"> Bilder ans dem Mesteil</fw><lb/> <p xml:id="ID_781" prev="#ID_780"> richten, in welchem Verhältnis er zur Welthygieue stehe, mußte ich mir mit<lb/> Hilfe der Herren vom Gesundheitsamt in den Viehhof, in die berühmten<lb/> „Stockyards" von Kansas City, Einblick verschaffen; denn nur so konnte ich<lb/> sehen, inwieweit solche monopolistische Einrichtungen den rein menschlichen,<lb/> kosmopolitischen Ansprüchen gegenüber Stich halten, nur so durchschauen, welche<lb/> Schutzmaßregeln für den Magen und das Leben aller derer bestehen, denen<lb/> all das Fleisch tagtäglich in großen Eisenbahnladungen diesseits und jenseits<lb/> des Ozeans zugeführt wird. „Trichinenschau" gab es nicht. Folglich mußte<lb/> wohl die Viehschau vor dem Schlachten um so gründlicher und zuverlässiger<lb/> sein — oder aber die Idee der Uranfänge eines monopolistisch auf gegenseitige<lb/> Interessengemeinschaft (ü, 1a Hertzka) zugeschnittenen Zukunftsstaats geriet be¬<lb/> denklich ins Wanken. Aber greifen wir nicht vor. Wer lernen will, lernt<lb/> überall, auch vom Geringern.</p><lb/> <p xml:id="ID_782"> Das alte provisorische Gesundheitsamt an der Grantstraße ist eine recht<lb/> klapperige, graugelb angestrichne Bretterhütte im Cottagestil, mit Treppe und<lb/> Verandadach. In dem zweifenstrigen halbdunkeln Front- und Hauptzimmer<lb/> stehen alte wacklige Schreibtische mit Bücherregalen und Akten. Alles ist voll<lb/> Staub. In der Mitte des Zimmers steht ein großer, runder eiserner Ofen<lb/> auf drei Beinen. Ringsherum sitzen einige Mut'ces, die nach alter Sitte ins<lb/> Feuer spucken, wie schon vor fünfzig Jahren die Sklaveuverkäufer ans Onkel<lb/> Toms Hütte und vor fünfzehn Jahren die Notare und Polizisten auf den<lb/> Polizeibüreans und die Bahnwärter und Bummler auf den Nrwaldstationen.<lb/> Denn der ewig glühende eiserne Ofen ist der Mittelpunkt alles in Nordamerika<lb/> aufkeimenden Menschcnverkehrs, der Mittelpunkt alles dessen, was man in<lb/> Amerika „Office" nenut; er scheint das Zentralfeuer der westlichen Zivilisation<lb/> zu sein. Wenn die Geschichte des Deutschtums mit den Worten begänne:<lb/> „Im Anfang war der Metkrng," die des Jrländers: „Im Anfang war die<lb/> Whiskyflasche," die des Franzosen: „Im Anfang war die Gloire" und die<lb/> des Engländers: „Im Anfang war der Spleen," so müßte die des Yankees<lb/> mit den Worten beginnen: „Im Anfang war der Ofen.", So sehr ist dies<lb/> eiserne Möbel Sinnbild alles und jedes Anfangs in Nordamerika.</p><lb/> <p xml:id="ID_783" next="#ID_784"> Sehen wir uns diesen Ofen einmal etwas näher an. Er ist wichtig sür<lb/> den, der die Anfänge des Zukuuftsstaates studieren will. Er sieht nicht aus<lb/> wie unsre gewöhnlichen Kanonenöfchen. Er ist nicht rohrförmig, sondern birnen-<lb/> förmig, und um den weiß angcstrichnen Bauch der Birne zieht sich rings ein<lb/> wagerechtes eisernes Sims, um die Füße darcmstemmen zu können. Wie es<lb/> um ihn her aussieht, will ich nicht beschreiben; es kann sich das jeder ausmalen,<lb/> wenn ich sage, daß er rings von stummen, tabakrauchendcn, rotblaugoldigen<lb/> Gestalten umgeben ist. Not von Whisky oder Brandy ist meist das Gesicht,<lb/> blau das wollene Unterhemd und goldblond der Schnurrbart und das Haupt¬<lb/> haar des Tramps, des stellensuchenden Politikers oder Bummlers, der in</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0279]
Bilder ans dem Mesteil
richten, in welchem Verhältnis er zur Welthygieue stehe, mußte ich mir mit
Hilfe der Herren vom Gesundheitsamt in den Viehhof, in die berühmten
„Stockyards" von Kansas City, Einblick verschaffen; denn nur so konnte ich
sehen, inwieweit solche monopolistische Einrichtungen den rein menschlichen,
kosmopolitischen Ansprüchen gegenüber Stich halten, nur so durchschauen, welche
Schutzmaßregeln für den Magen und das Leben aller derer bestehen, denen
all das Fleisch tagtäglich in großen Eisenbahnladungen diesseits und jenseits
des Ozeans zugeführt wird. „Trichinenschau" gab es nicht. Folglich mußte
wohl die Viehschau vor dem Schlachten um so gründlicher und zuverlässiger
sein — oder aber die Idee der Uranfänge eines monopolistisch auf gegenseitige
Interessengemeinschaft (ü, 1a Hertzka) zugeschnittenen Zukunftsstaats geriet be¬
denklich ins Wanken. Aber greifen wir nicht vor. Wer lernen will, lernt
überall, auch vom Geringern.
Das alte provisorische Gesundheitsamt an der Grantstraße ist eine recht
klapperige, graugelb angestrichne Bretterhütte im Cottagestil, mit Treppe und
Verandadach. In dem zweifenstrigen halbdunkeln Front- und Hauptzimmer
stehen alte wacklige Schreibtische mit Bücherregalen und Akten. Alles ist voll
Staub. In der Mitte des Zimmers steht ein großer, runder eiserner Ofen
auf drei Beinen. Ringsherum sitzen einige Mut'ces, die nach alter Sitte ins
Feuer spucken, wie schon vor fünfzig Jahren die Sklaveuverkäufer ans Onkel
Toms Hütte und vor fünfzehn Jahren die Notare und Polizisten auf den
Polizeibüreans und die Bahnwärter und Bummler auf den Nrwaldstationen.
Denn der ewig glühende eiserne Ofen ist der Mittelpunkt alles in Nordamerika
aufkeimenden Menschcnverkehrs, der Mittelpunkt alles dessen, was man in
Amerika „Office" nenut; er scheint das Zentralfeuer der westlichen Zivilisation
zu sein. Wenn die Geschichte des Deutschtums mit den Worten begänne:
„Im Anfang war der Metkrng," die des Jrländers: „Im Anfang war die
Whiskyflasche," die des Franzosen: „Im Anfang war die Gloire" und die
des Engländers: „Im Anfang war der Spleen," so müßte die des Yankees
mit den Worten beginnen: „Im Anfang war der Ofen.", So sehr ist dies
eiserne Möbel Sinnbild alles und jedes Anfangs in Nordamerika.
Sehen wir uns diesen Ofen einmal etwas näher an. Er ist wichtig sür
den, der die Anfänge des Zukuuftsstaates studieren will. Er sieht nicht aus
wie unsre gewöhnlichen Kanonenöfchen. Er ist nicht rohrförmig, sondern birnen-
förmig, und um den weiß angcstrichnen Bauch der Birne zieht sich rings ein
wagerechtes eisernes Sims, um die Füße darcmstemmen zu können. Wie es
um ihn her aussieht, will ich nicht beschreiben; es kann sich das jeder ausmalen,
wenn ich sage, daß er rings von stummen, tabakrauchendcn, rotblaugoldigen
Gestalten umgeben ist. Not von Whisky oder Brandy ist meist das Gesicht,
blau das wollene Unterhemd und goldblond der Schnurrbart und das Haupt¬
haar des Tramps, des stellensuchenden Politikers oder Bummlers, der in
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