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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Neue Novellen

gehörten zu denen, die am ersten wieder zusammenbrachen"), vertritt zugleich
ein Stück Kulturgeschichte der Reichshauptstadt.

Eine merkwürdige Wandlung vollzieht sich in den Stillen Geschichten
von Carl Busse (München, Dr. E. Albert 6-Comp.). Wir sind dem Dichter
als Lyriker und in dem krankhaften, peinlichen, aber talentvollen Roman "Ich
weiß es nicht" begegnet, er zählte sich zu den "Modernsten," und einzelne dieser
Geschichten verraten noch, wo er mit all den gepriesenen Vourget und Mnu-
passant, den Jacobsen und Kielland zusammenhängt. Und nun schreibt, nein
dichtet er so prächtige Geschichten wie die vom "Doktor Väffchen" und die
Novellen "Apfelblüten" und "Marienkälbchen." Und wenn sich in andern,
wie "Der kleine Ben," "Die Krähe," "Aschermittwoch" auch minder erfreu¬
liche Geister regen, so sagt sich doch der Dichter in seiner Einleitung selbst
das Rechte: "Heute ist so manches in mir still geworden. Die ganzen dnrch-
tollten Nächte und all der Überschwang, die großen Worte und die großen
Schmerzen. . . . Alle diese mächtigen Worte, die man macht, kommen mir vor
wie die Schläge auf einer großen Trommel. Je mehr es dröhnt, desto hohler
und leerer ist es innen. Das kann schließlich auch jeder. Und überhaupt weißt
du, die ganzen neuen Meinungen. Das mag ja alles recht schön und viel¬
leicht auch richtig sein, aber es befriedigt doch eigentlich keinen. So wollen wir
lieber zu den alten Idealen zurückkehren und wieder daran glauben lernen,
daß jede große Kunst auch eine befreiende und versöhnende, eine Kunst der
höchsten Harmonie sein muß. Und höchste Harmonie ist ja höchste Schönheit.
Ich will nicht streiten darüber, und jeder mag es halten, wie es ihm gerade
paßt, aber ich kann einmal nicht anders." Vielleicht hat an diesem Bekenntnis
einigen Anteil, daß es den Dichter zu stillen Geschichten gedrängt hat, jeden¬
falls ist es nicht zufällig, daß es zuerst die phantasievollsten und gcmütstiefsten
unter den jüngsten sind, denen allmählich die Lehre verdächtig wird, daß wir
zu fein seien, viel zu sein für starkes und reines Empfinden, daß uns das
Rückgrat gebrochen sei, daß wir modernen Menschen keine Kraft mehr hätten
und nichts weiter thun könnten, als die Hände in den Schoß legen und träumen,
träumen von allem Goldner, Großen und Ewigen. Der Dichter braucht darum
bei seinem neuen Empfinden und der neuen Sehnsucht noch lange nicht aus¬
schließlich in "stillen" Geschichten zu verharren; alle Leidenschaft und selbst die
Verworrenheit der Welt hat in der Poesie ihr gutes Recht, auf Auge und
Herz des Darstellers kommt es an, ob wir an ihnen Anteil nehmen können
oder uns kalt abwenden müssen. Die innere Entwicklung Karl Busses aber
muß jedem Teilnahme einflößen, den es um die Zukunft unsrer Litteratur
E (Schluß folgt) rnst ist.




Neue Novellen

gehörten zu denen, die am ersten wieder zusammenbrachen"), vertritt zugleich
ein Stück Kulturgeschichte der Reichshauptstadt.

Eine merkwürdige Wandlung vollzieht sich in den Stillen Geschichten
von Carl Busse (München, Dr. E. Albert 6-Comp.). Wir sind dem Dichter
als Lyriker und in dem krankhaften, peinlichen, aber talentvollen Roman „Ich
weiß es nicht" begegnet, er zählte sich zu den „Modernsten," und einzelne dieser
Geschichten verraten noch, wo er mit all den gepriesenen Vourget und Mnu-
passant, den Jacobsen und Kielland zusammenhängt. Und nun schreibt, nein
dichtet er so prächtige Geschichten wie die vom „Doktor Väffchen" und die
Novellen „Apfelblüten" und „Marienkälbchen." Und wenn sich in andern,
wie „Der kleine Ben," „Die Krähe," „Aschermittwoch" auch minder erfreu¬
liche Geister regen, so sagt sich doch der Dichter in seiner Einleitung selbst
das Rechte: „Heute ist so manches in mir still geworden. Die ganzen dnrch-
tollten Nächte und all der Überschwang, die großen Worte und die großen
Schmerzen. . . . Alle diese mächtigen Worte, die man macht, kommen mir vor
wie die Schläge auf einer großen Trommel. Je mehr es dröhnt, desto hohler
und leerer ist es innen. Das kann schließlich auch jeder. Und überhaupt weißt
du, die ganzen neuen Meinungen. Das mag ja alles recht schön und viel¬
leicht auch richtig sein, aber es befriedigt doch eigentlich keinen. So wollen wir
lieber zu den alten Idealen zurückkehren und wieder daran glauben lernen,
daß jede große Kunst auch eine befreiende und versöhnende, eine Kunst der
höchsten Harmonie sein muß. Und höchste Harmonie ist ja höchste Schönheit.
Ich will nicht streiten darüber, und jeder mag es halten, wie es ihm gerade
paßt, aber ich kann einmal nicht anders." Vielleicht hat an diesem Bekenntnis
einigen Anteil, daß es den Dichter zu stillen Geschichten gedrängt hat, jeden¬
falls ist es nicht zufällig, daß es zuerst die phantasievollsten und gcmütstiefsten
unter den jüngsten sind, denen allmählich die Lehre verdächtig wird, daß wir
zu fein seien, viel zu sein für starkes und reines Empfinden, daß uns das
Rückgrat gebrochen sei, daß wir modernen Menschen keine Kraft mehr hätten
und nichts weiter thun könnten, als die Hände in den Schoß legen und träumen,
träumen von allem Goldner, Großen und Ewigen. Der Dichter braucht darum
bei seinem neuen Empfinden und der neuen Sehnsucht noch lange nicht aus¬
schließlich in „stillen" Geschichten zu verharren; alle Leidenschaft und selbst die
Verworrenheit der Welt hat in der Poesie ihr gutes Recht, auf Auge und
Herz des Darstellers kommt es an, ob wir an ihnen Anteil nehmen können
oder uns kalt abwenden müssen. Die innere Entwicklung Karl Busses aber
muß jedem Teilnahme einflößen, den es um die Zukunft unsrer Litteratur
E (Schluß folgt) rnst ist.




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[0142] Neue Novellen gehörten zu denen, die am ersten wieder zusammenbrachen"), vertritt zugleich ein Stück Kulturgeschichte der Reichshauptstadt. Eine merkwürdige Wandlung vollzieht sich in den Stillen Geschichten von Carl Busse (München, Dr. E. Albert 6-Comp.). Wir sind dem Dichter als Lyriker und in dem krankhaften, peinlichen, aber talentvollen Roman „Ich weiß es nicht" begegnet, er zählte sich zu den „Modernsten," und einzelne dieser Geschichten verraten noch, wo er mit all den gepriesenen Vourget und Mnu- passant, den Jacobsen und Kielland zusammenhängt. Und nun schreibt, nein dichtet er so prächtige Geschichten wie die vom „Doktor Väffchen" und die Novellen „Apfelblüten" und „Marienkälbchen." Und wenn sich in andern, wie „Der kleine Ben," „Die Krähe," „Aschermittwoch" auch minder erfreu¬ liche Geister regen, so sagt sich doch der Dichter in seiner Einleitung selbst das Rechte: „Heute ist so manches in mir still geworden. Die ganzen dnrch- tollten Nächte und all der Überschwang, die großen Worte und die großen Schmerzen. . . . Alle diese mächtigen Worte, die man macht, kommen mir vor wie die Schläge auf einer großen Trommel. Je mehr es dröhnt, desto hohler und leerer ist es innen. Das kann schließlich auch jeder. Und überhaupt weißt du, die ganzen neuen Meinungen. Das mag ja alles recht schön und viel¬ leicht auch richtig sein, aber es befriedigt doch eigentlich keinen. So wollen wir lieber zu den alten Idealen zurückkehren und wieder daran glauben lernen, daß jede große Kunst auch eine befreiende und versöhnende, eine Kunst der höchsten Harmonie sein muß. Und höchste Harmonie ist ja höchste Schönheit. Ich will nicht streiten darüber, und jeder mag es halten, wie es ihm gerade paßt, aber ich kann einmal nicht anders." Vielleicht hat an diesem Bekenntnis einigen Anteil, daß es den Dichter zu stillen Geschichten gedrängt hat, jeden¬ falls ist es nicht zufällig, daß es zuerst die phantasievollsten und gcmütstiefsten unter den jüngsten sind, denen allmählich die Lehre verdächtig wird, daß wir zu fein seien, viel zu sein für starkes und reines Empfinden, daß uns das Rückgrat gebrochen sei, daß wir modernen Menschen keine Kraft mehr hätten und nichts weiter thun könnten, als die Hände in den Schoß legen und träumen, träumen von allem Goldner, Großen und Ewigen. Der Dichter braucht darum bei seinem neuen Empfinden und der neuen Sehnsucht noch lange nicht aus¬ schließlich in „stillen" Geschichten zu verharren; alle Leidenschaft und selbst die Verworrenheit der Welt hat in der Poesie ihr gutes Recht, auf Auge und Herz des Darstellers kommt es an, ob wir an ihnen Anteil nehmen können oder uns kalt abwenden müssen. Die innere Entwicklung Karl Busses aber muß jedem Teilnahme einflößen, den es um die Zukunft unsrer Litteratur E (Schluß folgt) rnst ist.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/142>, abgerufen am 12.05.2024.