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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Die Zustände in der Verwaltung in Preußen

Verständnis für die Bedürfnisse des Volkes können sie nicht haben. Das giebt
dann die Leute, die vom grünen Tisch dekretiren, und die glauben, es sei alles
in bester Ordnung, wenn die Verfügung auf dein Papier entworfen ist.

Die Regierung fühlt selbst, das; sür die Ausbildung der Verwaltungs¬
beamten etwas geschehen müsse, den" sie läßt jedes Jahr in Berlin eine
Woche lang landwirtschaftliche Kurse für Verwaltungsbeamte abhalten. Das
ist gewiß ein gesunder Gedanke. Lernen kann man ja in einer Woche nichts,
aber man erhält doch Anregung, und das ist viel wert. Nun sollte man
denken, daß zu diesen Kursen jedesmal eine Anzahl der fähigsten Beamten
kommandirt würde, um einen militärischen Ausdruck zu gebrauchen. O nein.
Der Minister weist die Regierungspräsidenten an, daß sie den ihnen unter¬
stellten Beamten auf Wunsch zur Teilnahme an diesen Kursen eine Woche
Urlaub erteilen. Das ist alles. Was denkt man nur eigentlich? Zuerst
muß der Beurlaubte die Reise bezahlen, dann die Kosten des Aufenthalts in
Berlin und schließlich noch - äillloils sse, Wtiriuu. non svriovrö -- etwa
80 Mark für den Besuch der Vorlesungen! Selbstverständlich kann also an
dem Kursus nur der teilnehmen, der viel mehr hat, als er zu seinem Lebens¬
unterhalte braucht. Der gar nicht oder nur sehr mangelhaft besoldete Assessor
kann es, wenn er nicht sehr vermögend ist, nicht, und der ältere Beamte kann
es auch nicht, wenn er nicht unverheiratet ist. Dieses Beispiel zeigt recht
deutlich den Unterschied zwischen der Fürsorge der Militärverwaltung und der
Gleichgiltigkeit der Zivilverwaltung.

Aber für die Verwaltung ist einmal vorläufig kein Geld vorhanden, ebenso
wenig wie für die Justiz. Mit dieser Thatsache muß man rechnen, und darum
fragt es sich: Was kann auch ohne die Bewilligung von Mitteln geschehen,
um Verwaltungsbeamte zu erziehen, wie Herr von Massow einer gewesen ist?
Mit gutem Willen wäre doch manches zu erreichen. Zunächst müßten die
Regierungspräsidenten angewiesen werden, der Ausbildung der Referendare
ihre ganz besondre Aufmerksamkeit zu widmen, was jetzt durchaus nicht überall
geschieht. Für ein Repetitorium müßte bei jeder Regierung gesorgt sein. Der
Schwerpunkt der Ausbildung wäre aber in die Zeit der Beschäftigung beim
Landrat zu legen, die möglichst auszudehnen wäre, was ohne Änderung der
bestehenden Bestimmungen geschehen könnte. Jeder Referendar muß nämlich
drei Monate bei einer Stadtverwaltung arbeiten; verbindet er diese Beschäfti¬
gung mit der beim Landrat, so muß die Thätigkeit beim Landrat neun Mo¬
nate währen. Diese Bestimmung brauchte mau mir dahin zu ergänzen, daß
jeder Referendar neun Monate bei einem Landrat zu arbeiten hätte, davou
die drei letzten Monate gleichzeitig bei der Stadtverwaltung. Dem Landrat,
der in der Negierungshauptstadt seinen dienstlichen Wohnsitz hat, dürften Refe¬
rendare nur dann ausnahmsweise überwiesen werden, wenn er den Ruf ganz
besondrer Tüchtigkeit genießt; regelmäßig müßten die Referendare hinaus in


Die Zustände in der Verwaltung in Preußen

Verständnis für die Bedürfnisse des Volkes können sie nicht haben. Das giebt
dann die Leute, die vom grünen Tisch dekretiren, und die glauben, es sei alles
in bester Ordnung, wenn die Verfügung auf dein Papier entworfen ist.

Die Regierung fühlt selbst, das; sür die Ausbildung der Verwaltungs¬
beamten etwas geschehen müsse, den» sie läßt jedes Jahr in Berlin eine
Woche lang landwirtschaftliche Kurse für Verwaltungsbeamte abhalten. Das
ist gewiß ein gesunder Gedanke. Lernen kann man ja in einer Woche nichts,
aber man erhält doch Anregung, und das ist viel wert. Nun sollte man
denken, daß zu diesen Kursen jedesmal eine Anzahl der fähigsten Beamten
kommandirt würde, um einen militärischen Ausdruck zu gebrauchen. O nein.
Der Minister weist die Regierungspräsidenten an, daß sie den ihnen unter¬
stellten Beamten auf Wunsch zur Teilnahme an diesen Kursen eine Woche
Urlaub erteilen. Das ist alles. Was denkt man nur eigentlich? Zuerst
muß der Beurlaubte die Reise bezahlen, dann die Kosten des Aufenthalts in
Berlin und schließlich noch - äillloils sse, Wtiriuu. non svriovrö — etwa
80 Mark für den Besuch der Vorlesungen! Selbstverständlich kann also an
dem Kursus nur der teilnehmen, der viel mehr hat, als er zu seinem Lebens¬
unterhalte braucht. Der gar nicht oder nur sehr mangelhaft besoldete Assessor
kann es, wenn er nicht sehr vermögend ist, nicht, und der ältere Beamte kann
es auch nicht, wenn er nicht unverheiratet ist. Dieses Beispiel zeigt recht
deutlich den Unterschied zwischen der Fürsorge der Militärverwaltung und der
Gleichgiltigkeit der Zivilverwaltung.

Aber für die Verwaltung ist einmal vorläufig kein Geld vorhanden, ebenso
wenig wie für die Justiz. Mit dieser Thatsache muß man rechnen, und darum
fragt es sich: Was kann auch ohne die Bewilligung von Mitteln geschehen,
um Verwaltungsbeamte zu erziehen, wie Herr von Massow einer gewesen ist?
Mit gutem Willen wäre doch manches zu erreichen. Zunächst müßten die
Regierungspräsidenten angewiesen werden, der Ausbildung der Referendare
ihre ganz besondre Aufmerksamkeit zu widmen, was jetzt durchaus nicht überall
geschieht. Für ein Repetitorium müßte bei jeder Regierung gesorgt sein. Der
Schwerpunkt der Ausbildung wäre aber in die Zeit der Beschäftigung beim
Landrat zu legen, die möglichst auszudehnen wäre, was ohne Änderung der
bestehenden Bestimmungen geschehen könnte. Jeder Referendar muß nämlich
drei Monate bei einer Stadtverwaltung arbeiten; verbindet er diese Beschäfti¬
gung mit der beim Landrat, so muß die Thätigkeit beim Landrat neun Mo¬
nate währen. Diese Bestimmung brauchte mau mir dahin zu ergänzen, daß
jeder Referendar neun Monate bei einem Landrat zu arbeiten hätte, davou
die drei letzten Monate gleichzeitig bei der Stadtverwaltung. Dem Landrat,
der in der Negierungshauptstadt seinen dienstlichen Wohnsitz hat, dürften Refe¬
rendare nur dann ausnahmsweise überwiesen werden, wenn er den Ruf ganz
besondrer Tüchtigkeit genießt; regelmäßig müßten die Referendare hinaus in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/174>, abgerufen am 23.05.2024.