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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Die Zustände in der Verwaltung in Preußen

den Bezirk, und zwar wieder mir zu den tüchtigsten Landräten. Dabei wäre
zu unterscheiden: wer vom Lande stammt, müßte in einen Jndustriebezirk, alle
übrigen unbedingt auf das platte Land. Ist im Bezirk kein geeigneter Kreis
vorhanden, so wäre der Referendar in einen andern Bezirk zu schicken, wozu
jetzt ohne vernünftigen Grund jedesmal die Genehmigung des Ministers er¬
beten werden muß. Wenn aber einmal zwei Referendare gleichzeitig an dem¬
selben Landratsamt arbeiteten, so schadete das auch nichts, denn nicht darauf
kommt es an, daß der Referendar viel schreibt (dazu hat er bei der Negierung
Gelegenheit), sondern darauf, daß er viel sieht.

In ähnlicher Weise wäre mit den Assessoren zu verfahren. Assessoren,
von denen anzunehmen ist, daß sie auf dem Lande Bescheid wissen und bald
wieder als Landräte aufs Land gehen, schicke man an eine Regierung, alle
andern als Hilfsarbeiter an ein Landratsamt, und zwar nicht für ein Jahr,
sondern für zwei bis drei Jahre, damit sie sich einleben und für die Verhält¬
nisse Interesse gewinnen. Wer aus dem Osten stammt, dem gebe man Ge¬
legenheit, den Westen kennen zu lernen, und umgekehrt, deun ein Verwaltungs¬
beamter muß mehr von seinem Vaterlande gesehen haben als seine Heimatprovinz.
Dabei wäre aber nicht so zu verfahren, wie es jetzt geschieht, daß die Assessoren
nur den großen Landratsämtern zugeteilt würden zur Entlastung der Land¬
räte, man müßte sie wieder nur den tüchtigsten Landräten überweisen, damit
sie Gelegenheit hätten, von diesen zu lernen. Wenn man die Assessoren jahre¬
lang nicht besoldet, dann sollte man sie wenigstens nicht gleich vom ersten
Tage an ausnutzen.

Verführe man in dieser Weise, so würde jeder Verwaltungsbeamte doch
mindestens drei Jahre seines Lebens Gelegenheit gehabt haben, unter der An¬
leitung eines tüchtigen Vorgesetzten die Bedürfnisse der Bevölkerung kennen zu
lernen, und damit wäre viel gewonnen. Manche würden auch dabei nichts
lernen, aber solche Leute giebt es ja überall, und sie werden dann in der
Minderheit sein. Will man dann noch ein übriges thun, so gebe man jedes
Jahr zur Teilnahme an den landwirtschaftlichen Kursen einer bestimmten An¬
zahl von Verwaltungsbeamten Freikarten für die Hin- und Rückfahrt, was ja
doch dem Staat thatsächlich nichts tosten würde, und wenigstens 6 Mark Tage¬
gelder, für sieben Tage also 42 Mark! Auskommen könnte ja damit niemand,
aber es wäre doch etwas, und man sähe den guten Willen des Staats. Für
vierzig Beamte würde das jährlich die ungeheure Summe von 1680 Mark
ausmachen! Außerdem könnte ja denen, die über genügende Mittel verfügen,
die Teilnahme an den Kursen freigestellt werden. Die Vorlesungen müßten
natürlich für alle unentgeltlich gehalten werden.

Man sieht, es ließe sich anch ohne oder doch mit ganz geringen Kosten
etwas erreichen, wenn nur der gute Wille vorhanden wäre. Viciöimt oc>n8u1ö8!
hat Herr von Massow gesagt.




Die Zustände in der Verwaltung in Preußen

den Bezirk, und zwar wieder mir zu den tüchtigsten Landräten. Dabei wäre
zu unterscheiden: wer vom Lande stammt, müßte in einen Jndustriebezirk, alle
übrigen unbedingt auf das platte Land. Ist im Bezirk kein geeigneter Kreis
vorhanden, so wäre der Referendar in einen andern Bezirk zu schicken, wozu
jetzt ohne vernünftigen Grund jedesmal die Genehmigung des Ministers er¬
beten werden muß. Wenn aber einmal zwei Referendare gleichzeitig an dem¬
selben Landratsamt arbeiteten, so schadete das auch nichts, denn nicht darauf
kommt es an, daß der Referendar viel schreibt (dazu hat er bei der Negierung
Gelegenheit), sondern darauf, daß er viel sieht.

In ähnlicher Weise wäre mit den Assessoren zu verfahren. Assessoren,
von denen anzunehmen ist, daß sie auf dem Lande Bescheid wissen und bald
wieder als Landräte aufs Land gehen, schicke man an eine Regierung, alle
andern als Hilfsarbeiter an ein Landratsamt, und zwar nicht für ein Jahr,
sondern für zwei bis drei Jahre, damit sie sich einleben und für die Verhält¬
nisse Interesse gewinnen. Wer aus dem Osten stammt, dem gebe man Ge¬
legenheit, den Westen kennen zu lernen, und umgekehrt, deun ein Verwaltungs¬
beamter muß mehr von seinem Vaterlande gesehen haben als seine Heimatprovinz.
Dabei wäre aber nicht so zu verfahren, wie es jetzt geschieht, daß die Assessoren
nur den großen Landratsämtern zugeteilt würden zur Entlastung der Land¬
räte, man müßte sie wieder nur den tüchtigsten Landräten überweisen, damit
sie Gelegenheit hätten, von diesen zu lernen. Wenn man die Assessoren jahre¬
lang nicht besoldet, dann sollte man sie wenigstens nicht gleich vom ersten
Tage an ausnutzen.

Verführe man in dieser Weise, so würde jeder Verwaltungsbeamte doch
mindestens drei Jahre seines Lebens Gelegenheit gehabt haben, unter der An¬
leitung eines tüchtigen Vorgesetzten die Bedürfnisse der Bevölkerung kennen zu
lernen, und damit wäre viel gewonnen. Manche würden auch dabei nichts
lernen, aber solche Leute giebt es ja überall, und sie werden dann in der
Minderheit sein. Will man dann noch ein übriges thun, so gebe man jedes
Jahr zur Teilnahme an den landwirtschaftlichen Kursen einer bestimmten An¬
zahl von Verwaltungsbeamten Freikarten für die Hin- und Rückfahrt, was ja
doch dem Staat thatsächlich nichts tosten würde, und wenigstens 6 Mark Tage¬
gelder, für sieben Tage also 42 Mark! Auskommen könnte ja damit niemand,
aber es wäre doch etwas, und man sähe den guten Willen des Staats. Für
vierzig Beamte würde das jährlich die ungeheure Summe von 1680 Mark
ausmachen! Außerdem könnte ja denen, die über genügende Mittel verfügen,
die Teilnahme an den Kursen freigestellt werden. Die Vorlesungen müßten
natürlich für alle unentgeltlich gehalten werden.

Man sieht, es ließe sich anch ohne oder doch mit ganz geringen Kosten
etwas erreichen, wenn nur der gute Wille vorhanden wäre. Viciöimt oc>n8u1ö8!
hat Herr von Massow gesagt.




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[0175] Die Zustände in der Verwaltung in Preußen den Bezirk, und zwar wieder mir zu den tüchtigsten Landräten. Dabei wäre zu unterscheiden: wer vom Lande stammt, müßte in einen Jndustriebezirk, alle übrigen unbedingt auf das platte Land. Ist im Bezirk kein geeigneter Kreis vorhanden, so wäre der Referendar in einen andern Bezirk zu schicken, wozu jetzt ohne vernünftigen Grund jedesmal die Genehmigung des Ministers er¬ beten werden muß. Wenn aber einmal zwei Referendare gleichzeitig an dem¬ selben Landratsamt arbeiteten, so schadete das auch nichts, denn nicht darauf kommt es an, daß der Referendar viel schreibt (dazu hat er bei der Negierung Gelegenheit), sondern darauf, daß er viel sieht. In ähnlicher Weise wäre mit den Assessoren zu verfahren. Assessoren, von denen anzunehmen ist, daß sie auf dem Lande Bescheid wissen und bald wieder als Landräte aufs Land gehen, schicke man an eine Regierung, alle andern als Hilfsarbeiter an ein Landratsamt, und zwar nicht für ein Jahr, sondern für zwei bis drei Jahre, damit sie sich einleben und für die Verhält¬ nisse Interesse gewinnen. Wer aus dem Osten stammt, dem gebe man Ge¬ legenheit, den Westen kennen zu lernen, und umgekehrt, deun ein Verwaltungs¬ beamter muß mehr von seinem Vaterlande gesehen haben als seine Heimatprovinz. Dabei wäre aber nicht so zu verfahren, wie es jetzt geschieht, daß die Assessoren nur den großen Landratsämtern zugeteilt würden zur Entlastung der Land¬ räte, man müßte sie wieder nur den tüchtigsten Landräten überweisen, damit sie Gelegenheit hätten, von diesen zu lernen. Wenn man die Assessoren jahre¬ lang nicht besoldet, dann sollte man sie wenigstens nicht gleich vom ersten Tage an ausnutzen. Verführe man in dieser Weise, so würde jeder Verwaltungsbeamte doch mindestens drei Jahre seines Lebens Gelegenheit gehabt haben, unter der An¬ leitung eines tüchtigen Vorgesetzten die Bedürfnisse der Bevölkerung kennen zu lernen, und damit wäre viel gewonnen. Manche würden auch dabei nichts lernen, aber solche Leute giebt es ja überall, und sie werden dann in der Minderheit sein. Will man dann noch ein übriges thun, so gebe man jedes Jahr zur Teilnahme an den landwirtschaftlichen Kursen einer bestimmten An¬ zahl von Verwaltungsbeamten Freikarten für die Hin- und Rückfahrt, was ja doch dem Staat thatsächlich nichts tosten würde, und wenigstens 6 Mark Tage¬ gelder, für sieben Tage also 42 Mark! Auskommen könnte ja damit niemand, aber es wäre doch etwas, und man sähe den guten Willen des Staats. Für vierzig Beamte würde das jährlich die ungeheure Summe von 1680 Mark ausmachen! Außerdem könnte ja denen, die über genügende Mittel verfügen, die Teilnahme an den Kursen freigestellt werden. Die Vorlesungen müßten natürlich für alle unentgeltlich gehalten werden. Man sieht, es ließe sich anch ohne oder doch mit ganz geringen Kosten etwas erreichen, wenn nur der gute Wille vorhanden wäre. Viciöimt oc>n8u1ö8! hat Herr von Massow gesagt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/175>, abgerufen am 12.05.2024.