Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.halten, sondern auch noch durch genauere Abgrenzung des Handwerksgebiets Doch auch ganz für sich, nicht im Zusammenhange der Junungsfmge be¬ Deshalb muß der Schwerpunkt der Thätigkeit der Handwerkskammern in halten, sondern auch noch durch genauere Abgrenzung des Handwerksgebiets Doch auch ganz für sich, nicht im Zusammenhange der Junungsfmge be¬ Deshalb muß der Schwerpunkt der Thätigkeit der Handwerkskammern in <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0221" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/219223"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_636" prev="#ID_635"> halten, sondern auch noch durch genauere Abgrenzung des Handwerksgebiets<lb/> zu erweitern. Sind erst obligatorische Handwerkskammern errichtet, und haben<lb/> die Behörden zwischen Industrie und Handwerk geschieden, so wird sich im<lb/> Falle eines Streites stets mit Leichtigkeit nachweisen lassen, wer verpflichtet<lb/> ist, zu den Kosten für die gemeinnützigen Einrichtungen beizusteuern, und wer<lb/> nicht, wer Lehrlinge beschäftigt, und wer „jugendliche Arbeiter" hält, es wird<lb/> mich kaum noch möglich sein, die als Jnnungsprivilegicn bezeichneten Paragraphen<lb/> der Reichsgewcrbeordnung zu umgehen. Dann werden aber anch viele Hand¬<lb/> werker, die sich jetzt von jeder Organisation fernhalten, geneigt sein, einer<lb/> Innung beizutreten, weil sie sich von den Kosten der Jnnungseinrichtung doch<lb/> nicht befreien können. Dann aber müssen die Innungen an innerer Kraft und<lb/> an Ansehen gewinnen.</p><lb/> <p xml:id="ID_637"> Doch auch ganz für sich, nicht im Zusammenhange der Junungsfmge be¬<lb/> trachtet, ist die Errichtung von Handwerkskammern das, was zunächst im<lb/> Interesse des Handwerkerstandes zu erstreben ist. Wirksame Interessenvertretung<lb/> ist in unserm Zeitalter der Gegenseitigkeit und der verschärften Wirtschafts¬<lb/> kämpfe kein flaches und billiges Schlagwort, sondern die Parole aller Berufs-<lb/> nnd Erwerbsstände. Handel und Industrie lassen sich ihre Sekretariate ein<lb/> hübsches Stück Geld kosten; mag auch dabei mancher Bogen Papier unnütz<lb/> verschrieben werden, mag manche Petition in den Papierkorb wandern, mag<lb/> auch hie und da über Gebühr der lieben Eitelkeit gefröhnt werden, man weiß<lb/> doch im ganzen Handelsstande, was man an diesen Einrichtungen hat, und<lb/> was man mit ihrer Hilfe durchsetzen kann. Die Landwirtschaft erhält die besten<lb/> Anregungen aus ihren freien Vereinigungen und aus dem deutschen Land¬<lb/> wirtschaftsrat, in Preußen ist man dabei, besondre Lnndwirtschaftskammern<lb/> zu bilden. Nimmt man hinzu, welchen sozialen Einfluß Handel, Industrie<lb/> und Landwirtschaft haben, welch ein Netz von Verbindungen zwischen diesen<lb/> Klassen und der Verwaltung, der Presse und den leitenden Stellen im Ge¬<lb/> werbe besteht, und bedenkt man, wie traurig es in dieser Hinsicht mit dem<lb/> Handwerk bestellt ist, so erweist es sich schon als Forderung der ausgleichenden<lb/> Gerechtigkeit, daß diesem Stande mehr als bisher Gelegenheit gegeben werde,<lb/> seine Wünsche mit einigem Nachdruck vorzutragen. Was jetzt ans dem Wege<lb/> der Resolutionen oder durch de» Mund einiger konservativen, klerikalen oder<lb/> antisemitische» Abgeordneten als „dringende Forderungen des Handwerkerstandes"<lb/> vorgetragen wird, entspricht nur zum Teil seinen Bedürfnissen, zum andern<lb/> Teil werden damit Privat- oder Parteiwünsche ans den Markt des politischen<lb/> Lebens gebracht.</p><lb/> <p xml:id="ID_638" next="#ID_639"> Deshalb muß der Schwerpunkt der Thätigkeit der Handwerkskammern in<lb/> der Befugnis liegen, die Lage und die Forderungen des Handwerkerstandes<lb/> ihrer Bezirke sachgemäß zur Kenntnis der Behörden, der Parlamente und<lb/> andrer öffentlicher Körperschaften zu bringen, Benachteiligung des Kleingewerbes</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0221]
halten, sondern auch noch durch genauere Abgrenzung des Handwerksgebiets
zu erweitern. Sind erst obligatorische Handwerkskammern errichtet, und haben
die Behörden zwischen Industrie und Handwerk geschieden, so wird sich im
Falle eines Streites stets mit Leichtigkeit nachweisen lassen, wer verpflichtet
ist, zu den Kosten für die gemeinnützigen Einrichtungen beizusteuern, und wer
nicht, wer Lehrlinge beschäftigt, und wer „jugendliche Arbeiter" hält, es wird
mich kaum noch möglich sein, die als Jnnungsprivilegicn bezeichneten Paragraphen
der Reichsgewcrbeordnung zu umgehen. Dann werden aber anch viele Hand¬
werker, die sich jetzt von jeder Organisation fernhalten, geneigt sein, einer
Innung beizutreten, weil sie sich von den Kosten der Jnnungseinrichtung doch
nicht befreien können. Dann aber müssen die Innungen an innerer Kraft und
an Ansehen gewinnen.
Doch auch ganz für sich, nicht im Zusammenhange der Junungsfmge be¬
trachtet, ist die Errichtung von Handwerkskammern das, was zunächst im
Interesse des Handwerkerstandes zu erstreben ist. Wirksame Interessenvertretung
ist in unserm Zeitalter der Gegenseitigkeit und der verschärften Wirtschafts¬
kämpfe kein flaches und billiges Schlagwort, sondern die Parole aller Berufs-
nnd Erwerbsstände. Handel und Industrie lassen sich ihre Sekretariate ein
hübsches Stück Geld kosten; mag auch dabei mancher Bogen Papier unnütz
verschrieben werden, mag manche Petition in den Papierkorb wandern, mag
auch hie und da über Gebühr der lieben Eitelkeit gefröhnt werden, man weiß
doch im ganzen Handelsstande, was man an diesen Einrichtungen hat, und
was man mit ihrer Hilfe durchsetzen kann. Die Landwirtschaft erhält die besten
Anregungen aus ihren freien Vereinigungen und aus dem deutschen Land¬
wirtschaftsrat, in Preußen ist man dabei, besondre Lnndwirtschaftskammern
zu bilden. Nimmt man hinzu, welchen sozialen Einfluß Handel, Industrie
und Landwirtschaft haben, welch ein Netz von Verbindungen zwischen diesen
Klassen und der Verwaltung, der Presse und den leitenden Stellen im Ge¬
werbe besteht, und bedenkt man, wie traurig es in dieser Hinsicht mit dem
Handwerk bestellt ist, so erweist es sich schon als Forderung der ausgleichenden
Gerechtigkeit, daß diesem Stande mehr als bisher Gelegenheit gegeben werde,
seine Wünsche mit einigem Nachdruck vorzutragen. Was jetzt ans dem Wege
der Resolutionen oder durch de» Mund einiger konservativen, klerikalen oder
antisemitische» Abgeordneten als „dringende Forderungen des Handwerkerstandes"
vorgetragen wird, entspricht nur zum Teil seinen Bedürfnissen, zum andern
Teil werden damit Privat- oder Parteiwünsche ans den Markt des politischen
Lebens gebracht.
Deshalb muß der Schwerpunkt der Thätigkeit der Handwerkskammern in
der Befugnis liegen, die Lage und die Forderungen des Handwerkerstandes
ihrer Bezirke sachgemäß zur Kenntnis der Behörden, der Parlamente und
andrer öffentlicher Körperschaften zu bringen, Benachteiligung des Kleingewerbes
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