Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

naße" unterrichtet zu werde" wünschen, u"d ferner, weder der Staat noch
die Hilfesuchenden hätten das geringste Recht, andre als geschäftliche Ansprüche
an den Arzt zu erheben und eine freiwillige, rein menschliche, dem öffentlichen
Wohle gewidmete Arbeit von ihm zu verlangen.

Mit diesen Anschauungen wird sich gewiß jedermann vorbehaltlos ein¬
verstanden erklären, der ärztlichen Beistand genießt oder seiner manchmal be¬
darf; insbesondre ist nicht bekannt, daß man den Ärzten zugemutet hätte, sich
ohne Entgelt aufzuopfern, vielmehr lehrt die überreichliche Nachfrage nach
dem Amt der Kassenärzte, daß selbst diesen ihre Thätigkeit genügend ver¬
gütet wird.

In jener Darlegung wird aber weiter auch erwähnt, daß ein großer
Teil der heutigen Ärzte seine Stellung den übrigen Mitmenschen gegenüber
anders auffaßt als die sonstigen Stände, und diese in Wahrheit unter den
Medizinern außerordentlich weit verbreitete Auffassung -- Professor Flechsig
hat noch in feiner Rektoratsrede vom 31. Oktober v. I. die Medizin eine
moralische (?) Wissenschaft genannt! -- giebt zu dem Versuche Veranlassung,
einmal zu zeigen, daß es ihr an einem zureichenden Grunde fehlt, und
Ärzte wie Kranke besser fahren würden, wenn sich die Ärzte nicht bloß in
der und jener Hinsicht, sondern grundsätzlich ans dem Boden des Rechts
halten und nicht immer und immer wieder von der Gesetzgebung in verschie¬
denster Beziehung Ansnahmevorschriften und Sondervestimmungeu fordern
wollten, zu deren Bewilligung sich ein geordnetes privates und öffentliches
Rechtswesens immer nur widerstrebend bewege" läßt.

Schon das ältere römische Recht hatte erkannt, daß der wirtschaftliche
Zweck eines Mietvertrages, mag die ermietete Leistung in körperlichen Diensten
oder allein oder vorwiegend in geistiger Thätigkeit bestehen, derselbe bleibt:
er ist gerichtet auf Umsatz von Gebrauch gegen Geld. Schon damals galten
deshalb -- abgesehen von einer hier gleichgiltigen Verschiedenheit der Klag-
fvrm -- für das Verhältnis zwischen dem Arzt und dem Kranken dieselben
Regeln wie für den Vertrag, durch den jemand einem andern den Gebrauch
einer Sache oder den Gebrauch seiner körperlichen Arbeitskraft gegen Entgelt
erlaubt. Dieselbe Anschauung ist daher auch in den deutschen Gebiete", wo
das römische Recht zur Zeit noch Geltung hat, die herrschende. "Heutzutage,
sagt Windscheid, würde man die vielen Verhältnisse und den darauf gebauten
Sinn der Kontrahenten sehr verkennen, wenn um" Verträge dieser Art einer
andern rechtlichen Beurteilung unterwerfen wollte, als gegenseitige Verträge
überhaupt. Die Benutzung geistiger Thätigkeit zum Erwerbe gilt nicht nur
nicht als eine Verletzung des Anstandes und der Würde, sondern hat auch
längst aufgehört, etwas außergewöhnliches und auffälliges zu sein. Sie bildet
einen Faktor im Vermögensverkehr wie jeder andre Faktor und kann daher
-- im Prinzip -- für die rechtliche Beurteilung eine Ausnahmestellung weder


naße» unterrichtet zu werde» wünschen, u»d ferner, weder der Staat noch
die Hilfesuchenden hätten das geringste Recht, andre als geschäftliche Ansprüche
an den Arzt zu erheben und eine freiwillige, rein menschliche, dem öffentlichen
Wohle gewidmete Arbeit von ihm zu verlangen.

Mit diesen Anschauungen wird sich gewiß jedermann vorbehaltlos ein¬
verstanden erklären, der ärztlichen Beistand genießt oder seiner manchmal be¬
darf; insbesondre ist nicht bekannt, daß man den Ärzten zugemutet hätte, sich
ohne Entgelt aufzuopfern, vielmehr lehrt die überreichliche Nachfrage nach
dem Amt der Kassenärzte, daß selbst diesen ihre Thätigkeit genügend ver¬
gütet wird.

In jener Darlegung wird aber weiter auch erwähnt, daß ein großer
Teil der heutigen Ärzte seine Stellung den übrigen Mitmenschen gegenüber
anders auffaßt als die sonstigen Stände, und diese in Wahrheit unter den
Medizinern außerordentlich weit verbreitete Auffassung — Professor Flechsig
hat noch in feiner Rektoratsrede vom 31. Oktober v. I. die Medizin eine
moralische (?) Wissenschaft genannt! — giebt zu dem Versuche Veranlassung,
einmal zu zeigen, daß es ihr an einem zureichenden Grunde fehlt, und
Ärzte wie Kranke besser fahren würden, wenn sich die Ärzte nicht bloß in
der und jener Hinsicht, sondern grundsätzlich ans dem Boden des Rechts
halten und nicht immer und immer wieder von der Gesetzgebung in verschie¬
denster Beziehung Ansnahmevorschriften und Sondervestimmungeu fordern
wollten, zu deren Bewilligung sich ein geordnetes privates und öffentliches
Rechtswesens immer nur widerstrebend bewege» läßt.

Schon das ältere römische Recht hatte erkannt, daß der wirtschaftliche
Zweck eines Mietvertrages, mag die ermietete Leistung in körperlichen Diensten
oder allein oder vorwiegend in geistiger Thätigkeit bestehen, derselbe bleibt:
er ist gerichtet auf Umsatz von Gebrauch gegen Geld. Schon damals galten
deshalb — abgesehen von einer hier gleichgiltigen Verschiedenheit der Klag-
fvrm — für das Verhältnis zwischen dem Arzt und dem Kranken dieselben
Regeln wie für den Vertrag, durch den jemand einem andern den Gebrauch
einer Sache oder den Gebrauch seiner körperlichen Arbeitskraft gegen Entgelt
erlaubt. Dieselbe Anschauung ist daher auch in den deutschen Gebiete», wo
das römische Recht zur Zeit noch Geltung hat, die herrschende. „Heutzutage,
sagt Windscheid, würde man die vielen Verhältnisse und den darauf gebauten
Sinn der Kontrahenten sehr verkennen, wenn um» Verträge dieser Art einer
andern rechtlichen Beurteilung unterwerfen wollte, als gegenseitige Verträge
überhaupt. Die Benutzung geistiger Thätigkeit zum Erwerbe gilt nicht nur
nicht als eine Verletzung des Anstandes und der Würde, sondern hat auch
längst aufgehört, etwas außergewöhnliches und auffälliges zu sein. Sie bildet
einen Faktor im Vermögensverkehr wie jeder andre Faktor und kann daher
— im Prinzip — für die rechtliche Beurteilung eine Ausnahmestellung weder


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0271" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/219273"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_780" prev="#ID_779"> naße» unterrichtet zu werde» wünschen, u»d ferner, weder der Staat noch<lb/>
die Hilfesuchenden hätten das geringste Recht, andre als geschäftliche Ansprüche<lb/>
an den Arzt zu erheben und eine freiwillige, rein menschliche, dem öffentlichen<lb/>
Wohle gewidmete Arbeit von ihm zu verlangen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_781"> Mit diesen Anschauungen wird sich gewiß jedermann vorbehaltlos ein¬<lb/>
verstanden erklären, der ärztlichen Beistand genießt oder seiner manchmal be¬<lb/>
darf; insbesondre ist nicht bekannt, daß man den Ärzten zugemutet hätte, sich<lb/>
ohne Entgelt aufzuopfern, vielmehr lehrt die überreichliche Nachfrage nach<lb/>
dem Amt der Kassenärzte, daß selbst diesen ihre Thätigkeit genügend ver¬<lb/>
gütet wird.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_782"> In jener Darlegung wird aber weiter auch erwähnt, daß ein großer<lb/>
Teil der heutigen Ärzte seine Stellung den übrigen Mitmenschen gegenüber<lb/>
anders auffaßt als die sonstigen Stände, und diese in Wahrheit unter den<lb/>
Medizinern außerordentlich weit verbreitete Auffassung &#x2014; Professor Flechsig<lb/>
hat noch in feiner Rektoratsrede vom 31. Oktober v. I. die Medizin eine<lb/>
moralische (?) Wissenschaft genannt! &#x2014; giebt zu dem Versuche Veranlassung,<lb/>
einmal zu zeigen, daß es ihr an einem zureichenden Grunde fehlt, und<lb/>
Ärzte wie Kranke besser fahren würden, wenn sich die Ärzte nicht bloß in<lb/>
der und jener Hinsicht, sondern grundsätzlich ans dem Boden des Rechts<lb/>
halten und nicht immer und immer wieder von der Gesetzgebung in verschie¬<lb/>
denster Beziehung Ansnahmevorschriften und Sondervestimmungeu fordern<lb/>
wollten, zu deren Bewilligung sich ein geordnetes privates und öffentliches<lb/>
Rechtswesens immer nur widerstrebend bewege» läßt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_783" next="#ID_784"> Schon das ältere römische Recht hatte erkannt, daß der wirtschaftliche<lb/>
Zweck eines Mietvertrages, mag die ermietete Leistung in körperlichen Diensten<lb/>
oder allein oder vorwiegend in geistiger Thätigkeit bestehen, derselbe bleibt:<lb/>
er ist gerichtet auf Umsatz von Gebrauch gegen Geld. Schon damals galten<lb/>
deshalb &#x2014; abgesehen von einer hier gleichgiltigen Verschiedenheit der Klag-<lb/>
fvrm &#x2014; für das Verhältnis zwischen dem Arzt und dem Kranken dieselben<lb/>
Regeln wie für den Vertrag, durch den jemand einem andern den Gebrauch<lb/>
einer Sache oder den Gebrauch seiner körperlichen Arbeitskraft gegen Entgelt<lb/>
erlaubt. Dieselbe Anschauung ist daher auch in den deutschen Gebiete», wo<lb/>
das römische Recht zur Zeit noch Geltung hat, die herrschende. &#x201E;Heutzutage,<lb/>
sagt Windscheid, würde man die vielen Verhältnisse und den darauf gebauten<lb/>
Sinn der Kontrahenten sehr verkennen, wenn um» Verträge dieser Art einer<lb/>
andern rechtlichen Beurteilung unterwerfen wollte, als gegenseitige Verträge<lb/>
überhaupt. Die Benutzung geistiger Thätigkeit zum Erwerbe gilt nicht nur<lb/>
nicht als eine Verletzung des Anstandes und der Würde, sondern hat auch<lb/>
längst aufgehört, etwas außergewöhnliches und auffälliges zu sein. Sie bildet<lb/>
einen Faktor im Vermögensverkehr wie jeder andre Faktor und kann daher<lb/>
&#x2014; im Prinzip &#x2014; für die rechtliche Beurteilung eine Ausnahmestellung weder</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0271] naße» unterrichtet zu werde» wünschen, u»d ferner, weder der Staat noch die Hilfesuchenden hätten das geringste Recht, andre als geschäftliche Ansprüche an den Arzt zu erheben und eine freiwillige, rein menschliche, dem öffentlichen Wohle gewidmete Arbeit von ihm zu verlangen. Mit diesen Anschauungen wird sich gewiß jedermann vorbehaltlos ein¬ verstanden erklären, der ärztlichen Beistand genießt oder seiner manchmal be¬ darf; insbesondre ist nicht bekannt, daß man den Ärzten zugemutet hätte, sich ohne Entgelt aufzuopfern, vielmehr lehrt die überreichliche Nachfrage nach dem Amt der Kassenärzte, daß selbst diesen ihre Thätigkeit genügend ver¬ gütet wird. In jener Darlegung wird aber weiter auch erwähnt, daß ein großer Teil der heutigen Ärzte seine Stellung den übrigen Mitmenschen gegenüber anders auffaßt als die sonstigen Stände, und diese in Wahrheit unter den Medizinern außerordentlich weit verbreitete Auffassung — Professor Flechsig hat noch in feiner Rektoratsrede vom 31. Oktober v. I. die Medizin eine moralische (?) Wissenschaft genannt! — giebt zu dem Versuche Veranlassung, einmal zu zeigen, daß es ihr an einem zureichenden Grunde fehlt, und Ärzte wie Kranke besser fahren würden, wenn sich die Ärzte nicht bloß in der und jener Hinsicht, sondern grundsätzlich ans dem Boden des Rechts halten und nicht immer und immer wieder von der Gesetzgebung in verschie¬ denster Beziehung Ansnahmevorschriften und Sondervestimmungeu fordern wollten, zu deren Bewilligung sich ein geordnetes privates und öffentliches Rechtswesens immer nur widerstrebend bewege» läßt. Schon das ältere römische Recht hatte erkannt, daß der wirtschaftliche Zweck eines Mietvertrages, mag die ermietete Leistung in körperlichen Diensten oder allein oder vorwiegend in geistiger Thätigkeit bestehen, derselbe bleibt: er ist gerichtet auf Umsatz von Gebrauch gegen Geld. Schon damals galten deshalb — abgesehen von einer hier gleichgiltigen Verschiedenheit der Klag- fvrm — für das Verhältnis zwischen dem Arzt und dem Kranken dieselben Regeln wie für den Vertrag, durch den jemand einem andern den Gebrauch einer Sache oder den Gebrauch seiner körperlichen Arbeitskraft gegen Entgelt erlaubt. Dieselbe Anschauung ist daher auch in den deutschen Gebiete», wo das römische Recht zur Zeit noch Geltung hat, die herrschende. „Heutzutage, sagt Windscheid, würde man die vielen Verhältnisse und den darauf gebauten Sinn der Kontrahenten sehr verkennen, wenn um» Verträge dieser Art einer andern rechtlichen Beurteilung unterwerfen wollte, als gegenseitige Verträge überhaupt. Die Benutzung geistiger Thätigkeit zum Erwerbe gilt nicht nur nicht als eine Verletzung des Anstandes und der Würde, sondern hat auch längst aufgehört, etwas außergewöhnliches und auffälliges zu sein. Sie bildet einen Faktor im Vermögensverkehr wie jeder andre Faktor und kann daher — im Prinzip — für die rechtliche Beurteilung eine Ausnahmestellung weder

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/271
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/271>, abgerufen am 12.05.2024.