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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Die rechtliche Stellung des Arztes

verlangen, noch braucht sie sich dieselbe gefallen zu lassen." Von derselben
Ansicht gehen die deutschen Partikularrechte, z. B. das preußische Landrecht
und das sächsische Gesetz aus, und der Entwurf eines bürgerlichen Gesetz¬
buchs für das deutsche Reich vermeidet es im Anschlich an die Rechtsprechung
des Reichsgerichts, auch nur dem Wortlaute nach zwischen der gewöhnlichen
Dienstmiete und den geistigen Mühewaltungen, den operas liberales, zu unter¬
scheiden. Die Kommission hat die Verhandlungen des neunzehnten deutschen
Ärztetages, sowie die Eingaben der Geheimen Snnitätsrüte Dr. Graf und
Dr. Wallichs, die zwischen der ersten und zweiten Lesung Bedenken gegen diese
Einrichtung vorgebracht hatten, unbeachtet gelassen; das Rechtverhältnis
zwischen demi Arzt und dem Kranken soll auch künftig unter die allgemeinen
Vorschriften fallen, die auf den Dienstvertrag und den Werkvertrag schlechthin
Anwendung erleiden, je nachdem die Arbeit als solche (wie beim festbesoldeten
Hausarzt) oder das Erzeugnis der Dienste idie Heilung einer bestimmten
Krankheit, die Geburtshilfe) den Gegenstand des Rechtsgeschäfts bildet.

Obwohl also nach dem geltenden und dem kommenden Recht die gleiche
Bestimmung dem Arzt und jedem andern Arbeiter die Verbindlichkeit auf¬
erlegt, die von ihnen zugesicherten Dienste zu leisten oder den versprochnen
Arbeitserfolg herbeizuführen, so waltet doch in Bezug auf Dienste, deren Aus¬
übung die Erlernung einer Kunst oder Fertigkeit vorangehen muß, eine Be¬
sonderheit ob. Der Ermieter darf beanspruchen, daß der Arbeiter, der sich
zur Gewährung derartiger Dienste erbietet, sein Fach beherrsche, der Dienst¬
leistende aber hat andrerseits das Recht, seine handwerksmäßige, künstlerische
oder wissenschaftliche Individualität zu bethätigen, namentlich wird er durch
sein Leistuugsversprechen nicht zu jeder beliebigen Anwendung seiner Fähig¬
keiten und Berufskenutnisse verpflichtet, also etwa genötigt, sie allenthalben
nach den Anordnungen des Ermictcrs einzurichten. Am meisten leuchtet das
beim Künstler ein, und man wird es gewiß überall begreiflich gefunden haben,
daß Begas, als vor nicht langer Zeit von ihm zur Verminderung der Kosten
die Abänderung eines Denkmalsentwurfs gefordert wurde, erwidert hat, man
solle seinen Plan ausführen oder verwerfen, ihn aber mit ähnlichen Vor¬
schlägen verschonen; zur Begründung des deutschen Gesetzbuchs ist jedoch
ganz richtig hervorgehoben worden, daß selbst dem gewöhnlichen Maurer die
Befugnis nicht werde versagt werden dürfen, sich zu weigern, sobald von
ihm verlangt wird, er solle wider die anerkannten Regeln der Baukunst
handeln.

Mit diesem Rechte der Einstellung fernerer Dienstleistung ist aber der
Einfluß des ermicteten Arbeiters auf die Art und Weise der Arbeitsausführuug
erschöpft. Auch in dem Verhältnis zum Arzte bleibt mithin der Kranke, der
ihn angenommen hat, von Anfang bis zu Ende immer der Dienstherr, und
dem Arzt steht es, wenn er glaubt, die ihm erteilten Weisungen vor Gewissen


Die rechtliche Stellung des Arztes

verlangen, noch braucht sie sich dieselbe gefallen zu lassen." Von derselben
Ansicht gehen die deutschen Partikularrechte, z. B. das preußische Landrecht
und das sächsische Gesetz aus, und der Entwurf eines bürgerlichen Gesetz¬
buchs für das deutsche Reich vermeidet es im Anschlich an die Rechtsprechung
des Reichsgerichts, auch nur dem Wortlaute nach zwischen der gewöhnlichen
Dienstmiete und den geistigen Mühewaltungen, den operas liberales, zu unter¬
scheiden. Die Kommission hat die Verhandlungen des neunzehnten deutschen
Ärztetages, sowie die Eingaben der Geheimen Snnitätsrüte Dr. Graf und
Dr. Wallichs, die zwischen der ersten und zweiten Lesung Bedenken gegen diese
Einrichtung vorgebracht hatten, unbeachtet gelassen; das Rechtverhältnis
zwischen demi Arzt und dem Kranken soll auch künftig unter die allgemeinen
Vorschriften fallen, die auf den Dienstvertrag und den Werkvertrag schlechthin
Anwendung erleiden, je nachdem die Arbeit als solche (wie beim festbesoldeten
Hausarzt) oder das Erzeugnis der Dienste idie Heilung einer bestimmten
Krankheit, die Geburtshilfe) den Gegenstand des Rechtsgeschäfts bildet.

Obwohl also nach dem geltenden und dem kommenden Recht die gleiche
Bestimmung dem Arzt und jedem andern Arbeiter die Verbindlichkeit auf¬
erlegt, die von ihnen zugesicherten Dienste zu leisten oder den versprochnen
Arbeitserfolg herbeizuführen, so waltet doch in Bezug auf Dienste, deren Aus¬
übung die Erlernung einer Kunst oder Fertigkeit vorangehen muß, eine Be¬
sonderheit ob. Der Ermieter darf beanspruchen, daß der Arbeiter, der sich
zur Gewährung derartiger Dienste erbietet, sein Fach beherrsche, der Dienst¬
leistende aber hat andrerseits das Recht, seine handwerksmäßige, künstlerische
oder wissenschaftliche Individualität zu bethätigen, namentlich wird er durch
sein Leistuugsversprechen nicht zu jeder beliebigen Anwendung seiner Fähig¬
keiten und Berufskenutnisse verpflichtet, also etwa genötigt, sie allenthalben
nach den Anordnungen des Ermictcrs einzurichten. Am meisten leuchtet das
beim Künstler ein, und man wird es gewiß überall begreiflich gefunden haben,
daß Begas, als vor nicht langer Zeit von ihm zur Verminderung der Kosten
die Abänderung eines Denkmalsentwurfs gefordert wurde, erwidert hat, man
solle seinen Plan ausführen oder verwerfen, ihn aber mit ähnlichen Vor¬
schlägen verschonen; zur Begründung des deutschen Gesetzbuchs ist jedoch
ganz richtig hervorgehoben worden, daß selbst dem gewöhnlichen Maurer die
Befugnis nicht werde versagt werden dürfen, sich zu weigern, sobald von
ihm verlangt wird, er solle wider die anerkannten Regeln der Baukunst
handeln.

Mit diesem Rechte der Einstellung fernerer Dienstleistung ist aber der
Einfluß des ermicteten Arbeiters auf die Art und Weise der Arbeitsausführuug
erschöpft. Auch in dem Verhältnis zum Arzte bleibt mithin der Kranke, der
ihn angenommen hat, von Anfang bis zu Ende immer der Dienstherr, und
dem Arzt steht es, wenn er glaubt, die ihm erteilten Weisungen vor Gewissen


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[0272] Die rechtliche Stellung des Arztes verlangen, noch braucht sie sich dieselbe gefallen zu lassen." Von derselben Ansicht gehen die deutschen Partikularrechte, z. B. das preußische Landrecht und das sächsische Gesetz aus, und der Entwurf eines bürgerlichen Gesetz¬ buchs für das deutsche Reich vermeidet es im Anschlich an die Rechtsprechung des Reichsgerichts, auch nur dem Wortlaute nach zwischen der gewöhnlichen Dienstmiete und den geistigen Mühewaltungen, den operas liberales, zu unter¬ scheiden. Die Kommission hat die Verhandlungen des neunzehnten deutschen Ärztetages, sowie die Eingaben der Geheimen Snnitätsrüte Dr. Graf und Dr. Wallichs, die zwischen der ersten und zweiten Lesung Bedenken gegen diese Einrichtung vorgebracht hatten, unbeachtet gelassen; das Rechtverhältnis zwischen demi Arzt und dem Kranken soll auch künftig unter die allgemeinen Vorschriften fallen, die auf den Dienstvertrag und den Werkvertrag schlechthin Anwendung erleiden, je nachdem die Arbeit als solche (wie beim festbesoldeten Hausarzt) oder das Erzeugnis der Dienste idie Heilung einer bestimmten Krankheit, die Geburtshilfe) den Gegenstand des Rechtsgeschäfts bildet. Obwohl also nach dem geltenden und dem kommenden Recht die gleiche Bestimmung dem Arzt und jedem andern Arbeiter die Verbindlichkeit auf¬ erlegt, die von ihnen zugesicherten Dienste zu leisten oder den versprochnen Arbeitserfolg herbeizuführen, so waltet doch in Bezug auf Dienste, deren Aus¬ übung die Erlernung einer Kunst oder Fertigkeit vorangehen muß, eine Be¬ sonderheit ob. Der Ermieter darf beanspruchen, daß der Arbeiter, der sich zur Gewährung derartiger Dienste erbietet, sein Fach beherrsche, der Dienst¬ leistende aber hat andrerseits das Recht, seine handwerksmäßige, künstlerische oder wissenschaftliche Individualität zu bethätigen, namentlich wird er durch sein Leistuugsversprechen nicht zu jeder beliebigen Anwendung seiner Fähig¬ keiten und Berufskenutnisse verpflichtet, also etwa genötigt, sie allenthalben nach den Anordnungen des Ermictcrs einzurichten. Am meisten leuchtet das beim Künstler ein, und man wird es gewiß überall begreiflich gefunden haben, daß Begas, als vor nicht langer Zeit von ihm zur Verminderung der Kosten die Abänderung eines Denkmalsentwurfs gefordert wurde, erwidert hat, man solle seinen Plan ausführen oder verwerfen, ihn aber mit ähnlichen Vor¬ schlägen verschonen; zur Begründung des deutschen Gesetzbuchs ist jedoch ganz richtig hervorgehoben worden, daß selbst dem gewöhnlichen Maurer die Befugnis nicht werde versagt werden dürfen, sich zu weigern, sobald von ihm verlangt wird, er solle wider die anerkannten Regeln der Baukunst handeln. Mit diesem Rechte der Einstellung fernerer Dienstleistung ist aber der Einfluß des ermicteten Arbeiters auf die Art und Weise der Arbeitsausführuug erschöpft. Auch in dem Verhältnis zum Arzte bleibt mithin der Kranke, der ihn angenommen hat, von Anfang bis zu Ende immer der Dienstherr, und dem Arzt steht es, wenn er glaubt, die ihm erteilten Weisungen vor Gewissen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/272>, abgerufen am 26.05.2024.