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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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<Lin neues Buch über das alte Italien

Schwierigkeiten ein Ausweg, wenn man den Sachverhalt klar darlegt und Ver¬
trauen gegen Vertrauen bietet. Das Buch, von dem wir reden, trägt den be¬
scheidnen Titel: Ährenlese, sein Verfasser ist der Seidenfabrikant und Ehren¬
doktor der Basler Universität Karl Vischer-Merian in Basel. Gewidmet
ist es der Familie des Verfassers zu Weihnachten, und als Festgeschenk hat
es auch eine Ausstattung erhalten, wie sie sich nur wenige deutsche oder deutsch¬
schreibende Gelehrte leisten können. Es trägt nicht etwa eines der bunten
Kleider, wie deren so viele in aller Hast alljährlich für den deutschen Weihnachts¬
büchermarkt von geschickten Büchermachern und Buchbindern beinahe fabrik¬
mäßig hergestellt werden; auch ein künstlerisch gebildetes, anspruchsvolles Auge
wird mit Wohlgefallen anf dem starken Oktavbande ruhen, dessen Seiten auf
Büttenpapier mit kräftiger Antiqnaschrift bedruckt sind. Aus einer der ältesten
Basler Druckerwerkstättcn, der Petrischeu und nachmaligen Schweighanserschen,
die auf eine vierhundertjährige Vergangenheit zurückblickt (der jetzige In¬
haber ist Benno Schwabe) ist das Buch hervorgegangen. Wir sehen darnns
mit Freuden, daß das Buchgewerbe in der alten Basilea noch immer in Blüte
steht; wenn es auch für gewisse, mechanisch auszuführende Illustrationen und
Einzelknpfer in Lichtdruck, Heliogravüre und Autotypie auswärtige Anstalten
zur Hilfe heranziehen muß, so haben wir dafür die Genugthuung, daß in
Basel noch die älteste Art der Jllustrationstechnik, zugleich der Ruhm der
alten Buchdruckerstadt, der Holzschnitt, mit Eifer gepflegt wird, und zwar in
jener jedes fein empfindende Auge wahrhaft erquickenden Art des Feinschnitts,
der durch Hans Holbein und seinen verständnisvollen Dolmetsch Hans Lützel-
burger klassische Bedeutung erhalten hat. Die Holzschnitte sind teils nach
Photographien, teils nach Zeichnungen von Adolf Vvllmy-Schaub und L. F.
Kultus ausgeführt worden. Es ist selbstverständlich, daß die nach Zeichnungen
viel besser, lebendiger, klarer und individueller ausgefallen sind, als die uach
Photographien. Aber auch auf diesen haben die Holzschneider etwas mehr die
schwarzen Schatten gelockert und die Einzelheiten aufgehellt, als es in den
deutschen Werkstätten, die für den Markt Dutzendware liefern, üblich ist. Das
Wohnhaus des Boccaccio in Certaldo, das Völlmy uach einer Zeichnung ge¬
schnitten hat, hat mir neben andern Schnitten dieser Art besonders den Ge¬
danken an Holbein und Lützelburger nahegelegt.

Mit diesem Zitat komme ich auf den Inhalt des Buches. Bischer, der
schon die Siebzig überschritten hat, fühlte den Drang in sich, uoch eine un¬
gestillte Sehnsucht zu befriedigen. Trotz häufiger Reisen nach Italien hatte
^ doch nie einen Einblick in jene östlich vom Apennin gelegne Landschaften
und Städte gethan, die der Schauplatz so vieler denkwürdigen Ereignisse, so
vieler Einzelgeschichten von würdigen und unwürdigen Herrscherhäusern ge¬
wesen sind. Seine Zwecke waren mannichfaltig; aber im Grunde liefen sie
doch auf das eine Ziel hinaus, die Menschen und ihre Thaten im Zusammen-


<Lin neues Buch über das alte Italien

Schwierigkeiten ein Ausweg, wenn man den Sachverhalt klar darlegt und Ver¬
trauen gegen Vertrauen bietet. Das Buch, von dem wir reden, trägt den be¬
scheidnen Titel: Ährenlese, sein Verfasser ist der Seidenfabrikant und Ehren¬
doktor der Basler Universität Karl Vischer-Merian in Basel. Gewidmet
ist es der Familie des Verfassers zu Weihnachten, und als Festgeschenk hat
es auch eine Ausstattung erhalten, wie sie sich nur wenige deutsche oder deutsch¬
schreibende Gelehrte leisten können. Es trägt nicht etwa eines der bunten
Kleider, wie deren so viele in aller Hast alljährlich für den deutschen Weihnachts¬
büchermarkt von geschickten Büchermachern und Buchbindern beinahe fabrik¬
mäßig hergestellt werden; auch ein künstlerisch gebildetes, anspruchsvolles Auge
wird mit Wohlgefallen anf dem starken Oktavbande ruhen, dessen Seiten auf
Büttenpapier mit kräftiger Antiqnaschrift bedruckt sind. Aus einer der ältesten
Basler Druckerwerkstättcn, der Petrischeu und nachmaligen Schweighanserschen,
die auf eine vierhundertjährige Vergangenheit zurückblickt (der jetzige In¬
haber ist Benno Schwabe) ist das Buch hervorgegangen. Wir sehen darnns
mit Freuden, daß das Buchgewerbe in der alten Basilea noch immer in Blüte
steht; wenn es auch für gewisse, mechanisch auszuführende Illustrationen und
Einzelknpfer in Lichtdruck, Heliogravüre und Autotypie auswärtige Anstalten
zur Hilfe heranziehen muß, so haben wir dafür die Genugthuung, daß in
Basel noch die älteste Art der Jllustrationstechnik, zugleich der Ruhm der
alten Buchdruckerstadt, der Holzschnitt, mit Eifer gepflegt wird, und zwar in
jener jedes fein empfindende Auge wahrhaft erquickenden Art des Feinschnitts,
der durch Hans Holbein und seinen verständnisvollen Dolmetsch Hans Lützel-
burger klassische Bedeutung erhalten hat. Die Holzschnitte sind teils nach
Photographien, teils nach Zeichnungen von Adolf Vvllmy-Schaub und L. F.
Kultus ausgeführt worden. Es ist selbstverständlich, daß die nach Zeichnungen
viel besser, lebendiger, klarer und individueller ausgefallen sind, als die uach
Photographien. Aber auch auf diesen haben die Holzschneider etwas mehr die
schwarzen Schatten gelockert und die Einzelheiten aufgehellt, als es in den
deutschen Werkstätten, die für den Markt Dutzendware liefern, üblich ist. Das
Wohnhaus des Boccaccio in Certaldo, das Völlmy uach einer Zeichnung ge¬
schnitten hat, hat mir neben andern Schnitten dieser Art besonders den Ge¬
danken an Holbein und Lützelburger nahegelegt.

Mit diesem Zitat komme ich auf den Inhalt des Buches. Bischer, der
schon die Siebzig überschritten hat, fühlte den Drang in sich, uoch eine un¬
gestillte Sehnsucht zu befriedigen. Trotz häufiger Reisen nach Italien hatte
^ doch nie einen Einblick in jene östlich vom Apennin gelegne Landschaften
und Städte gethan, die der Schauplatz so vieler denkwürdigen Ereignisse, so
vieler Einzelgeschichten von würdigen und unwürdigen Herrscherhäusern ge¬
wesen sind. Seine Zwecke waren mannichfaltig; aber im Grunde liefen sie
doch auf das eine Ziel hinaus, die Menschen und ihre Thaten im Zusammen-


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[0319] <Lin neues Buch über das alte Italien Schwierigkeiten ein Ausweg, wenn man den Sachverhalt klar darlegt und Ver¬ trauen gegen Vertrauen bietet. Das Buch, von dem wir reden, trägt den be¬ scheidnen Titel: Ährenlese, sein Verfasser ist der Seidenfabrikant und Ehren¬ doktor der Basler Universität Karl Vischer-Merian in Basel. Gewidmet ist es der Familie des Verfassers zu Weihnachten, und als Festgeschenk hat es auch eine Ausstattung erhalten, wie sie sich nur wenige deutsche oder deutsch¬ schreibende Gelehrte leisten können. Es trägt nicht etwa eines der bunten Kleider, wie deren so viele in aller Hast alljährlich für den deutschen Weihnachts¬ büchermarkt von geschickten Büchermachern und Buchbindern beinahe fabrik¬ mäßig hergestellt werden; auch ein künstlerisch gebildetes, anspruchsvolles Auge wird mit Wohlgefallen anf dem starken Oktavbande ruhen, dessen Seiten auf Büttenpapier mit kräftiger Antiqnaschrift bedruckt sind. Aus einer der ältesten Basler Druckerwerkstättcn, der Petrischeu und nachmaligen Schweighanserschen, die auf eine vierhundertjährige Vergangenheit zurückblickt (der jetzige In¬ haber ist Benno Schwabe) ist das Buch hervorgegangen. Wir sehen darnns mit Freuden, daß das Buchgewerbe in der alten Basilea noch immer in Blüte steht; wenn es auch für gewisse, mechanisch auszuführende Illustrationen und Einzelknpfer in Lichtdruck, Heliogravüre und Autotypie auswärtige Anstalten zur Hilfe heranziehen muß, so haben wir dafür die Genugthuung, daß in Basel noch die älteste Art der Jllustrationstechnik, zugleich der Ruhm der alten Buchdruckerstadt, der Holzschnitt, mit Eifer gepflegt wird, und zwar in jener jedes fein empfindende Auge wahrhaft erquickenden Art des Feinschnitts, der durch Hans Holbein und seinen verständnisvollen Dolmetsch Hans Lützel- burger klassische Bedeutung erhalten hat. Die Holzschnitte sind teils nach Photographien, teils nach Zeichnungen von Adolf Vvllmy-Schaub und L. F. Kultus ausgeführt worden. Es ist selbstverständlich, daß die nach Zeichnungen viel besser, lebendiger, klarer und individueller ausgefallen sind, als die uach Photographien. Aber auch auf diesen haben die Holzschneider etwas mehr die schwarzen Schatten gelockert und die Einzelheiten aufgehellt, als es in den deutschen Werkstätten, die für den Markt Dutzendware liefern, üblich ist. Das Wohnhaus des Boccaccio in Certaldo, das Völlmy uach einer Zeichnung ge¬ schnitten hat, hat mir neben andern Schnitten dieser Art besonders den Ge¬ danken an Holbein und Lützelburger nahegelegt. Mit diesem Zitat komme ich auf den Inhalt des Buches. Bischer, der schon die Siebzig überschritten hat, fühlte den Drang in sich, uoch eine un¬ gestillte Sehnsucht zu befriedigen. Trotz häufiger Reisen nach Italien hatte ^ doch nie einen Einblick in jene östlich vom Apennin gelegne Landschaften und Städte gethan, die der Schauplatz so vieler denkwürdigen Ereignisse, so vieler Einzelgeschichten von würdigen und unwürdigen Herrscherhäusern ge¬ wesen sind. Seine Zwecke waren mannichfaltig; aber im Grunde liefen sie doch auf das eine Ziel hinaus, die Menschen und ihre Thaten im Zusammen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/319>, abgerufen am 28.05.2024.