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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Der Streit der Fakultäten

Auszugleichen? rief die alte Dame beinahe erschrocken aus. Ausgleichen
nennen Sie diesen schrecklichen Gegensatz von Arm und Reich, der sich immer
unerträglicher vertieft? Außerdem ist Ausgleichen gar nicht einmal ein wünschens¬
wertes Ziel. Der Ausgleich ist der Tod. Aber es ist schwer, sich darüber
zu verständigen. Die Ansprüche mag ja die heutige Zeit ausgeglichen haben,
indem sie alle unzufrieden gemacht hat und jeden reizt, reich werden zu wollen.
In meiner Jugend war man genügsam und mit dem Platze zufrieden, an den
einen Gott gestellt hatte.

Mit der ernsthaften Wendung, die das Gespräch so unvermittelt genommen
hatte, schien sich eine Abneigung Luft machen zu wollen, die das alte Fräu¬
lein von vornherein gegen den jungen Rechtsanwalt gefaßt hatte, und die sich
auch durch die harmlose Tischuuterhaltung nicht hatte mindern lassen wollen.
Das Fräulein konnte es dem jungen Manne nicht verzeihen, daß er so ganz
wie ein Gleichberechtigter genommen werden wollte. In seinem Wesen drängte
sich ihr so unmittelbar der Anspruch der vielköpfigen Bourgeoisie auf, mitzu¬
zählen, wenn nnr Besitz und Bildung vorhanden waren. Daß sich ein namen¬
loser Bürgerlicher über seine Fachtüchtigkeit hinaus auch als Gesamtpersön-
lichkeit geltend machen wollte, war für sie ein Eingriff in die Rechte ihres
Standes, dessen vollständig veränderte Stellung sie in ihrer weltfremden Ab¬
geschlossenheit nicht so gut wie ihre Brüder, Vettern und sonstigen männ¬
lichen Verwandten spüren konnte, die auf Schulen, im Dienste, selbst in der
Armee den Wechsel der Zeiten erkannten. Sie als Frau und Stiftsdame
vertrat die Beharrung; ihr Stift war ein lebendiges Denkmal der Geschlossen¬
heit ihres Standes, und wenn sie sich wirklich jemals entschlossen hätte, ihren
grundsätzlich ablehnenden Standpunkt aufzugeben, so hätte sie sich wenigstens
damit trösten können, daß die mit der Verneinung beginnende Macht der
herrschsüctigen Bourgeoisie sich noch keine festen durch Religion und Geschichte
geheiligten Bollwerke geschaffen hatte, sich schließlich an die alten Formen
anlehnte und sich mehr und mehr von gleichen furchtbaren Gefahren bedroht
sah, denen sie nur ihr liebstes, den Geldschrank, entgegenstellen konnte.

So weit ging nun das Fräulein in ihren Gedanken nicht, sie ließ sich
mehr von einer instinktiven Abneigung leiten und wäre wenig erbaut ge¬
wesen, wenn sie hätte ahnen können, daß in ihrer Nichte der Wunsch lebendig
wurde, dem jungen Manne den Mißerfolg bei ihrer Tante durch Bezeigen
freundlicherer Gesinnungen zu verzuckern. Sie erkundigte sich daher, mit einer
kühnen Wendung vom Reisen auf die intimsten Heimatverhültnisfe überspringend,
nach seinen Angehörigen.

Aber damit traf sie es nicht gerade glücklich. Denn so wenig sich Vogel¬
sang seiner Eltern zu schämen Grund hatte, in dieser Umgebung stellte er sich
doch nur ungern seinen Vater vor, wie er in seinem Allerweltsladen einer
hartnäckige" Bäuerin die Vorzüge eines guten, aber teuern Stoffes aus-


Der Streit der Fakultäten

Auszugleichen? rief die alte Dame beinahe erschrocken aus. Ausgleichen
nennen Sie diesen schrecklichen Gegensatz von Arm und Reich, der sich immer
unerträglicher vertieft? Außerdem ist Ausgleichen gar nicht einmal ein wünschens¬
wertes Ziel. Der Ausgleich ist der Tod. Aber es ist schwer, sich darüber
zu verständigen. Die Ansprüche mag ja die heutige Zeit ausgeglichen haben,
indem sie alle unzufrieden gemacht hat und jeden reizt, reich werden zu wollen.
In meiner Jugend war man genügsam und mit dem Platze zufrieden, an den
einen Gott gestellt hatte.

Mit der ernsthaften Wendung, die das Gespräch so unvermittelt genommen
hatte, schien sich eine Abneigung Luft machen zu wollen, die das alte Fräu¬
lein von vornherein gegen den jungen Rechtsanwalt gefaßt hatte, und die sich
auch durch die harmlose Tischuuterhaltung nicht hatte mindern lassen wollen.
Das Fräulein konnte es dem jungen Manne nicht verzeihen, daß er so ganz
wie ein Gleichberechtigter genommen werden wollte. In seinem Wesen drängte
sich ihr so unmittelbar der Anspruch der vielköpfigen Bourgeoisie auf, mitzu¬
zählen, wenn nnr Besitz und Bildung vorhanden waren. Daß sich ein namen¬
loser Bürgerlicher über seine Fachtüchtigkeit hinaus auch als Gesamtpersön-
lichkeit geltend machen wollte, war für sie ein Eingriff in die Rechte ihres
Standes, dessen vollständig veränderte Stellung sie in ihrer weltfremden Ab¬
geschlossenheit nicht so gut wie ihre Brüder, Vettern und sonstigen männ¬
lichen Verwandten spüren konnte, die auf Schulen, im Dienste, selbst in der
Armee den Wechsel der Zeiten erkannten. Sie als Frau und Stiftsdame
vertrat die Beharrung; ihr Stift war ein lebendiges Denkmal der Geschlossen¬
heit ihres Standes, und wenn sie sich wirklich jemals entschlossen hätte, ihren
grundsätzlich ablehnenden Standpunkt aufzugeben, so hätte sie sich wenigstens
damit trösten können, daß die mit der Verneinung beginnende Macht der
herrschsüctigen Bourgeoisie sich noch keine festen durch Religion und Geschichte
geheiligten Bollwerke geschaffen hatte, sich schließlich an die alten Formen
anlehnte und sich mehr und mehr von gleichen furchtbaren Gefahren bedroht
sah, denen sie nur ihr liebstes, den Geldschrank, entgegenstellen konnte.

So weit ging nun das Fräulein in ihren Gedanken nicht, sie ließ sich
mehr von einer instinktiven Abneigung leiten und wäre wenig erbaut ge¬
wesen, wenn sie hätte ahnen können, daß in ihrer Nichte der Wunsch lebendig
wurde, dem jungen Manne den Mißerfolg bei ihrer Tante durch Bezeigen
freundlicherer Gesinnungen zu verzuckern. Sie erkundigte sich daher, mit einer
kühnen Wendung vom Reisen auf die intimsten Heimatverhültnisfe überspringend,
nach seinen Angehörigen.

Aber damit traf sie es nicht gerade glücklich. Denn so wenig sich Vogel¬
sang seiner Eltern zu schämen Grund hatte, in dieser Umgebung stellte er sich
doch nur ungern seinen Vater vor, wie er in seinem Allerweltsladen einer
hartnäckige» Bäuerin die Vorzüge eines guten, aber teuern Stoffes aus-


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[0333] Der Streit der Fakultäten Auszugleichen? rief die alte Dame beinahe erschrocken aus. Ausgleichen nennen Sie diesen schrecklichen Gegensatz von Arm und Reich, der sich immer unerträglicher vertieft? Außerdem ist Ausgleichen gar nicht einmal ein wünschens¬ wertes Ziel. Der Ausgleich ist der Tod. Aber es ist schwer, sich darüber zu verständigen. Die Ansprüche mag ja die heutige Zeit ausgeglichen haben, indem sie alle unzufrieden gemacht hat und jeden reizt, reich werden zu wollen. In meiner Jugend war man genügsam und mit dem Platze zufrieden, an den einen Gott gestellt hatte. Mit der ernsthaften Wendung, die das Gespräch so unvermittelt genommen hatte, schien sich eine Abneigung Luft machen zu wollen, die das alte Fräu¬ lein von vornherein gegen den jungen Rechtsanwalt gefaßt hatte, und die sich auch durch die harmlose Tischuuterhaltung nicht hatte mindern lassen wollen. Das Fräulein konnte es dem jungen Manne nicht verzeihen, daß er so ganz wie ein Gleichberechtigter genommen werden wollte. In seinem Wesen drängte sich ihr so unmittelbar der Anspruch der vielköpfigen Bourgeoisie auf, mitzu¬ zählen, wenn nnr Besitz und Bildung vorhanden waren. Daß sich ein namen¬ loser Bürgerlicher über seine Fachtüchtigkeit hinaus auch als Gesamtpersön- lichkeit geltend machen wollte, war für sie ein Eingriff in die Rechte ihres Standes, dessen vollständig veränderte Stellung sie in ihrer weltfremden Ab¬ geschlossenheit nicht so gut wie ihre Brüder, Vettern und sonstigen männ¬ lichen Verwandten spüren konnte, die auf Schulen, im Dienste, selbst in der Armee den Wechsel der Zeiten erkannten. Sie als Frau und Stiftsdame vertrat die Beharrung; ihr Stift war ein lebendiges Denkmal der Geschlossen¬ heit ihres Standes, und wenn sie sich wirklich jemals entschlossen hätte, ihren grundsätzlich ablehnenden Standpunkt aufzugeben, so hätte sie sich wenigstens damit trösten können, daß die mit der Verneinung beginnende Macht der herrschsüctigen Bourgeoisie sich noch keine festen durch Religion und Geschichte geheiligten Bollwerke geschaffen hatte, sich schließlich an die alten Formen anlehnte und sich mehr und mehr von gleichen furchtbaren Gefahren bedroht sah, denen sie nur ihr liebstes, den Geldschrank, entgegenstellen konnte. So weit ging nun das Fräulein in ihren Gedanken nicht, sie ließ sich mehr von einer instinktiven Abneigung leiten und wäre wenig erbaut ge¬ wesen, wenn sie hätte ahnen können, daß in ihrer Nichte der Wunsch lebendig wurde, dem jungen Manne den Mißerfolg bei ihrer Tante durch Bezeigen freundlicherer Gesinnungen zu verzuckern. Sie erkundigte sich daher, mit einer kühnen Wendung vom Reisen auf die intimsten Heimatverhültnisfe überspringend, nach seinen Angehörigen. Aber damit traf sie es nicht gerade glücklich. Denn so wenig sich Vogel¬ sang seiner Eltern zu schämen Grund hatte, in dieser Umgebung stellte er sich doch nur ungern seinen Vater vor, wie er in seinem Allerweltsladen einer hartnäckige» Bäuerin die Vorzüge eines guten, aber teuern Stoffes aus-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/333>, abgerufen am 31.05.2024.