Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Line Dorfbilanz

wurden, 441 Mark 42 Pfennige Amtskassenbeitrag zu den Kosten des Amt¬
manns und des Polizeidieners u. s. w., 384 Mark ^!5 Pfennige zu den Orts¬
verwaltungskosten (für Ortsvorsteher, Gemeindediener u. s. w.) und 421 Mark
95 Pfennige für Verzinsung und Amortisation der Gemeindeschuld ab, so
bleiben gerade noch jährlich 89 Mark 14 Pfennige für Gemeindeverbesserungen
übrig, vorausgesetzt, daß auch alle Steuerbeträge eingehen. Dabei sind die
1428 Mark nicht berücksichtigt, die noch einige Jahre von den Steuerzahlern
des Dorfes als Kosten der Zusammenlegung der Grundstücke eingezogen
werden!

Unter solchen Umständen ist es begreiflich, daß die Wege im Orte greu¬
lich sind. Fast durch jeden dieser Wege fließt ein Bächlein; keines ist für sich
allein hinreichend zur Wasserversorgung, während sie, an passender Stelle ver¬
einigt, eine für die Mehrzahl der Häuser ausreichende Wasserleitung abgeben
könnten. Der Gemeinderat des Dorfes will sowohl die Trockenlegung und
Ordnung der Wege, als die Wasserleitung; aber es ist klar, daß bei einer
solchen Gemeindeschuld und bei so hohen Gemeindeumlagen, die regelmäßig
doch keinen Steuerrest für Verbesserungen übrig lassen, für Anlage einer Wasser¬
leitung das Geld fehlt.

Faßt man alles zusammen, so kann man sagen: Das Gemeindevermögen
ist viel weniger als nichts. Die Steuererträge sind nicht viel mehr als nichts.
Das unverschuldete Privatvermögen der Bewohner giebt kein tröstliches Bild.

Zwar sind die Bewohner nüchtern, Physisch kräftig und von früh bis spät
fleißig, allein bei solchen materiellen Grundlagen der Gemeinde ist ein Vor¬
wärtskommen aus eigner "Kraft" nicht zu erwarten.

Leider sind solche Verhältnisse nicht vereinzelt. Unter den etwa dreißig¬
tausend Ortschaften in Preußen dürften ein- bis zweitausend in einer ähnlichen
Lage sein, namentlich in den gebirgigen Teilen, die keine Eisenbahn in der
Nähe und wenig gute, fahrbare Straßen haben. In der Eifel, am Hunsrück,
im Westerwald, im Sauerlande wird man ganze Gruppen solcher Dörfer
finden, wo der Rat, sich selbst zu helfen, undurchführbar ist. Die Eifel hat
durch den nun schon seit einer Reihe von Jahren über sie aufgeschütteten
Geldsegen sür Meliorationen einen erfreulichen Aufschwung genommen und wird
sich, wenn die Beihilfen noch so lange gewährt werden, als sie bereits gewährt
worden sind, so weit gestärkt haben, daß sie sich dann selbst wird forthelfen
können. Sie wird aus einem Schmerzenskind für die Verwaltung eine leistungs¬
fähige, aus einer Staatsgelder konsumirende zu einer Staatseinnahmen pro-
duzirenden Gegend geworden sein, wenn nicht vorzeitig unterbrochen wird, was
so wirksam und erfolgreich eingeleitet worden ist. Ähnliche Einrichtungen wären
aber auch für Ortschaften in andern Gegenden des Landes am Platze, die
wirtschaftlich so weit zurückgegangen sind, daß sie sich selbst nicht mehr vor¬
wärtsbringen können.


Line Dorfbilanz

wurden, 441 Mark 42 Pfennige Amtskassenbeitrag zu den Kosten des Amt¬
manns und des Polizeidieners u. s. w., 384 Mark ^!5 Pfennige zu den Orts¬
verwaltungskosten (für Ortsvorsteher, Gemeindediener u. s. w.) und 421 Mark
95 Pfennige für Verzinsung und Amortisation der Gemeindeschuld ab, so
bleiben gerade noch jährlich 89 Mark 14 Pfennige für Gemeindeverbesserungen
übrig, vorausgesetzt, daß auch alle Steuerbeträge eingehen. Dabei sind die
1428 Mark nicht berücksichtigt, die noch einige Jahre von den Steuerzahlern
des Dorfes als Kosten der Zusammenlegung der Grundstücke eingezogen
werden!

Unter solchen Umständen ist es begreiflich, daß die Wege im Orte greu¬
lich sind. Fast durch jeden dieser Wege fließt ein Bächlein; keines ist für sich
allein hinreichend zur Wasserversorgung, während sie, an passender Stelle ver¬
einigt, eine für die Mehrzahl der Häuser ausreichende Wasserleitung abgeben
könnten. Der Gemeinderat des Dorfes will sowohl die Trockenlegung und
Ordnung der Wege, als die Wasserleitung; aber es ist klar, daß bei einer
solchen Gemeindeschuld und bei so hohen Gemeindeumlagen, die regelmäßig
doch keinen Steuerrest für Verbesserungen übrig lassen, für Anlage einer Wasser¬
leitung das Geld fehlt.

Faßt man alles zusammen, so kann man sagen: Das Gemeindevermögen
ist viel weniger als nichts. Die Steuererträge sind nicht viel mehr als nichts.
Das unverschuldete Privatvermögen der Bewohner giebt kein tröstliches Bild.

Zwar sind die Bewohner nüchtern, Physisch kräftig und von früh bis spät
fleißig, allein bei solchen materiellen Grundlagen der Gemeinde ist ein Vor¬
wärtskommen aus eigner „Kraft" nicht zu erwarten.

Leider sind solche Verhältnisse nicht vereinzelt. Unter den etwa dreißig¬
tausend Ortschaften in Preußen dürften ein- bis zweitausend in einer ähnlichen
Lage sein, namentlich in den gebirgigen Teilen, die keine Eisenbahn in der
Nähe und wenig gute, fahrbare Straßen haben. In der Eifel, am Hunsrück,
im Westerwald, im Sauerlande wird man ganze Gruppen solcher Dörfer
finden, wo der Rat, sich selbst zu helfen, undurchführbar ist. Die Eifel hat
durch den nun schon seit einer Reihe von Jahren über sie aufgeschütteten
Geldsegen sür Meliorationen einen erfreulichen Aufschwung genommen und wird
sich, wenn die Beihilfen noch so lange gewährt werden, als sie bereits gewährt
worden sind, so weit gestärkt haben, daß sie sich dann selbst wird forthelfen
können. Sie wird aus einem Schmerzenskind für die Verwaltung eine leistungs¬
fähige, aus einer Staatsgelder konsumirende zu einer Staatseinnahmen pro-
duzirenden Gegend geworden sein, wenn nicht vorzeitig unterbrochen wird, was
so wirksam und erfolgreich eingeleitet worden ist. Ähnliche Einrichtungen wären
aber auch für Ortschaften in andern Gegenden des Landes am Platze, die
wirtschaftlich so weit zurückgegangen sind, daß sie sich selbst nicht mehr vor¬
wärtsbringen können.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0368" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/219370"/>
          <fw type="header" place="top"> Line Dorfbilanz</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1107" prev="#ID_1106"> wurden, 441 Mark 42 Pfennige Amtskassenbeitrag zu den Kosten des Amt¬<lb/>
manns und des Polizeidieners u. s. w., 384 Mark ^!5 Pfennige zu den Orts¬<lb/>
verwaltungskosten (für Ortsvorsteher, Gemeindediener u. s. w.) und 421 Mark<lb/>
95 Pfennige für Verzinsung und Amortisation der Gemeindeschuld ab, so<lb/>
bleiben gerade noch jährlich 89 Mark 14 Pfennige für Gemeindeverbesserungen<lb/>
übrig, vorausgesetzt, daß auch alle Steuerbeträge eingehen. Dabei sind die<lb/>
1428 Mark nicht berücksichtigt, die noch einige Jahre von den Steuerzahlern<lb/>
des Dorfes als Kosten der Zusammenlegung der Grundstücke eingezogen<lb/>
werden!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1108"> Unter solchen Umständen ist es begreiflich, daß die Wege im Orte greu¬<lb/>
lich sind. Fast durch jeden dieser Wege fließt ein Bächlein; keines ist für sich<lb/>
allein hinreichend zur Wasserversorgung, während sie, an passender Stelle ver¬<lb/>
einigt, eine für die Mehrzahl der Häuser ausreichende Wasserleitung abgeben<lb/>
könnten. Der Gemeinderat des Dorfes will sowohl die Trockenlegung und<lb/>
Ordnung der Wege, als die Wasserleitung; aber es ist klar, daß bei einer<lb/>
solchen Gemeindeschuld und bei so hohen Gemeindeumlagen, die regelmäßig<lb/>
doch keinen Steuerrest für Verbesserungen übrig lassen, für Anlage einer Wasser¬<lb/>
leitung das Geld fehlt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1109"> Faßt man alles zusammen, so kann man sagen: Das Gemeindevermögen<lb/>
ist viel weniger als nichts. Die Steuererträge sind nicht viel mehr als nichts.<lb/>
Das unverschuldete Privatvermögen der Bewohner giebt kein tröstliches Bild.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1110"> Zwar sind die Bewohner nüchtern, Physisch kräftig und von früh bis spät<lb/>
fleißig, allein bei solchen materiellen Grundlagen der Gemeinde ist ein Vor¬<lb/>
wärtskommen aus eigner &#x201E;Kraft" nicht zu erwarten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1111"> Leider sind solche Verhältnisse nicht vereinzelt. Unter den etwa dreißig¬<lb/>
tausend Ortschaften in Preußen dürften ein- bis zweitausend in einer ähnlichen<lb/>
Lage sein, namentlich in den gebirgigen Teilen, die keine Eisenbahn in der<lb/>
Nähe und wenig gute, fahrbare Straßen haben. In der Eifel, am Hunsrück,<lb/>
im Westerwald, im Sauerlande wird man ganze Gruppen solcher Dörfer<lb/>
finden, wo der Rat, sich selbst zu helfen, undurchführbar ist. Die Eifel hat<lb/>
durch den nun schon seit einer Reihe von Jahren über sie aufgeschütteten<lb/>
Geldsegen sür Meliorationen einen erfreulichen Aufschwung genommen und wird<lb/>
sich, wenn die Beihilfen noch so lange gewährt werden, als sie bereits gewährt<lb/>
worden sind, so weit gestärkt haben, daß sie sich dann selbst wird forthelfen<lb/>
können. Sie wird aus einem Schmerzenskind für die Verwaltung eine leistungs¬<lb/>
fähige, aus einer Staatsgelder konsumirende zu einer Staatseinnahmen pro-<lb/>
duzirenden Gegend geworden sein, wenn nicht vorzeitig unterbrochen wird, was<lb/>
so wirksam und erfolgreich eingeleitet worden ist. Ähnliche Einrichtungen wären<lb/>
aber auch für Ortschaften in andern Gegenden des Landes am Platze, die<lb/>
wirtschaftlich so weit zurückgegangen sind, daß sie sich selbst nicht mehr vor¬<lb/>
wärtsbringen können.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0368] Line Dorfbilanz wurden, 441 Mark 42 Pfennige Amtskassenbeitrag zu den Kosten des Amt¬ manns und des Polizeidieners u. s. w., 384 Mark ^!5 Pfennige zu den Orts¬ verwaltungskosten (für Ortsvorsteher, Gemeindediener u. s. w.) und 421 Mark 95 Pfennige für Verzinsung und Amortisation der Gemeindeschuld ab, so bleiben gerade noch jährlich 89 Mark 14 Pfennige für Gemeindeverbesserungen übrig, vorausgesetzt, daß auch alle Steuerbeträge eingehen. Dabei sind die 1428 Mark nicht berücksichtigt, die noch einige Jahre von den Steuerzahlern des Dorfes als Kosten der Zusammenlegung der Grundstücke eingezogen werden! Unter solchen Umständen ist es begreiflich, daß die Wege im Orte greu¬ lich sind. Fast durch jeden dieser Wege fließt ein Bächlein; keines ist für sich allein hinreichend zur Wasserversorgung, während sie, an passender Stelle ver¬ einigt, eine für die Mehrzahl der Häuser ausreichende Wasserleitung abgeben könnten. Der Gemeinderat des Dorfes will sowohl die Trockenlegung und Ordnung der Wege, als die Wasserleitung; aber es ist klar, daß bei einer solchen Gemeindeschuld und bei so hohen Gemeindeumlagen, die regelmäßig doch keinen Steuerrest für Verbesserungen übrig lassen, für Anlage einer Wasser¬ leitung das Geld fehlt. Faßt man alles zusammen, so kann man sagen: Das Gemeindevermögen ist viel weniger als nichts. Die Steuererträge sind nicht viel mehr als nichts. Das unverschuldete Privatvermögen der Bewohner giebt kein tröstliches Bild. Zwar sind die Bewohner nüchtern, Physisch kräftig und von früh bis spät fleißig, allein bei solchen materiellen Grundlagen der Gemeinde ist ein Vor¬ wärtskommen aus eigner „Kraft" nicht zu erwarten. Leider sind solche Verhältnisse nicht vereinzelt. Unter den etwa dreißig¬ tausend Ortschaften in Preußen dürften ein- bis zweitausend in einer ähnlichen Lage sein, namentlich in den gebirgigen Teilen, die keine Eisenbahn in der Nähe und wenig gute, fahrbare Straßen haben. In der Eifel, am Hunsrück, im Westerwald, im Sauerlande wird man ganze Gruppen solcher Dörfer finden, wo der Rat, sich selbst zu helfen, undurchführbar ist. Die Eifel hat durch den nun schon seit einer Reihe von Jahren über sie aufgeschütteten Geldsegen sür Meliorationen einen erfreulichen Aufschwung genommen und wird sich, wenn die Beihilfen noch so lange gewährt werden, als sie bereits gewährt worden sind, so weit gestärkt haben, daß sie sich dann selbst wird forthelfen können. Sie wird aus einem Schmerzenskind für die Verwaltung eine leistungs¬ fähige, aus einer Staatsgelder konsumirende zu einer Staatseinnahmen pro- duzirenden Gegend geworden sein, wenn nicht vorzeitig unterbrochen wird, was so wirksam und erfolgreich eingeleitet worden ist. Ähnliche Einrichtungen wären aber auch für Ortschaften in andern Gegenden des Landes am Platze, die wirtschaftlich so weit zurückgegangen sind, daß sie sich selbst nicht mehr vor¬ wärtsbringen können.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/368
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/368>, abgerufen am 13.05.2024.