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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Die Wissenschaft

anerkannt haben. Zu ihnen rechne ich auch den jüngst verstorbnen Berliner
Physiker Helmholtz, der teils durch seine fachivissenschaftlichen, teils durch seine
erkenntnis-theoretischen Studien außerordentlich viel zur Erleuchtung der Geister
auf diesem strittigen Gebiete beigetragen hat. Man kann ihn hier unbedenklich
neben Sokrates, Kant und Friedrich Albert Lange stellen. Freilich nimmt ihn
Herr Häckel als Anhänger seines Monismus für sich in Anspruch, weil er,
als er ihn zum letztenmal im Jahre 1892 sah, in einem längern Gespräch
über die neuern Fortschritte der Entwicklungslehre in allen wesentlichen Punkten
eine vollkommne Übereinstimmung ihrer monistischen Überzeugungen habe fest¬
stellen können. Ich bin weit entfernt, die subjektive Nichtigkeit dieser Angabe
Häckels zu bezweifeln; dennoch glaube ich, daß er sich in der Beurteilung der
Stellung Helmholtzens zu den letzten Fragen getäuscht hat. Der Widerspruch
zwischen dieser im Privatgespräch geäußerten Ansicht und seinen öffentlichen
Reden wäre zu schroff. Ein Manu, der, wie er selbst sagt, seinen Schülern,
wo er kann, den Grundsatz predigt: "Ein metaphysischer Schluß ist entweder
ein Trugschluß oder ein versteckter Erfahrungsschluß," der "keine andre natur¬
wissenschaftliche Forschungsmethode kennt, als die, die Gesetze der Thatsachen
dnrch Beobachtung kennen zu lernen, und zwar dnrch Induktion, durch sorg¬
fältige Aufsuchung, Herbeiführung, Beobachtung solcher Fülle, die unter das
Gesetz gehören." ein Mann, der erklärt, "seine Generation habe noch unter
dem Druck spiritualistischer Metaphysik gelitte", die jüngere werde sich wohl
vor dem der materialistischen zu wahren haben," der endlich "vor den Leuten
mit hinreichend gesteigertem Eigendünkel warnt, die sich einbilden, durch Blitze
der Genialität leisten zu können, was das Menschengeschlecht nur durch mühsame
Arbeit zu erreichen hoffen kann, vor Leuten, die Hypothesen erfinden, die, als
Dogmen vorgetragen, alle Rätsel auf einmal zu lösen versprechen" -- ein
solcher Mann kaun unmöglich seine Zustimmung erklärt haben zu dem "Sub-
stanzgesctz," das Häckel als neueste Errungenschaft der Wissenschaft an die Spitze
seiner Religion stellt, das aber nicht einmal neu ist, sondern lediglich eine
"exakte" Auffrischung des alten Begriffs, mit dem die MetaPhysiker von Leibniz
bis Spinoza zur Belustigung der Naturforscher Fangball gespielt haben. Nein,
Helmholtz hatte eine andre Auffassung von der Philosophie: er teilte ihr die
Aufgabe zu, "das große und wichtige Feld der geistigen und seelischen Vor¬
gänge und ihrer Gesetze zu bearbeiten" und das "Hauptinstrumeut, mit dein
wir arbeiten, das menschliche Denken, nach seiner Leistungsfähigkeit genau zu
studiren." Auf beiden Gebieten hat er selbst ganz hervorragendes geleistet,
trotzdem aber den Ausspruch gethan: "Selbstüberschätzung -- das vergesse
niemand, der sich der Wissenschaft widmet -- ist der größte und schlimmste
Feind aller wissenschaftlichen Thätigkeit."

Man könnte mit Helmholtz darüber rechten, daß er die Aufgabe, die
Gesetze der seelischen und geistigen Vorgänge zu bearbeiten, der Philosophie


Die Wissenschaft

anerkannt haben. Zu ihnen rechne ich auch den jüngst verstorbnen Berliner
Physiker Helmholtz, der teils durch seine fachivissenschaftlichen, teils durch seine
erkenntnis-theoretischen Studien außerordentlich viel zur Erleuchtung der Geister
auf diesem strittigen Gebiete beigetragen hat. Man kann ihn hier unbedenklich
neben Sokrates, Kant und Friedrich Albert Lange stellen. Freilich nimmt ihn
Herr Häckel als Anhänger seines Monismus für sich in Anspruch, weil er,
als er ihn zum letztenmal im Jahre 1892 sah, in einem längern Gespräch
über die neuern Fortschritte der Entwicklungslehre in allen wesentlichen Punkten
eine vollkommne Übereinstimmung ihrer monistischen Überzeugungen habe fest¬
stellen können. Ich bin weit entfernt, die subjektive Nichtigkeit dieser Angabe
Häckels zu bezweifeln; dennoch glaube ich, daß er sich in der Beurteilung der
Stellung Helmholtzens zu den letzten Fragen getäuscht hat. Der Widerspruch
zwischen dieser im Privatgespräch geäußerten Ansicht und seinen öffentlichen
Reden wäre zu schroff. Ein Manu, der, wie er selbst sagt, seinen Schülern,
wo er kann, den Grundsatz predigt: „Ein metaphysischer Schluß ist entweder
ein Trugschluß oder ein versteckter Erfahrungsschluß," der „keine andre natur¬
wissenschaftliche Forschungsmethode kennt, als die, die Gesetze der Thatsachen
dnrch Beobachtung kennen zu lernen, und zwar dnrch Induktion, durch sorg¬
fältige Aufsuchung, Herbeiführung, Beobachtung solcher Fülle, die unter das
Gesetz gehören." ein Mann, der erklärt, „seine Generation habe noch unter
dem Druck spiritualistischer Metaphysik gelitte», die jüngere werde sich wohl
vor dem der materialistischen zu wahren haben," der endlich „vor den Leuten
mit hinreichend gesteigertem Eigendünkel warnt, die sich einbilden, durch Blitze
der Genialität leisten zu können, was das Menschengeschlecht nur durch mühsame
Arbeit zu erreichen hoffen kann, vor Leuten, die Hypothesen erfinden, die, als
Dogmen vorgetragen, alle Rätsel auf einmal zu lösen versprechen" — ein
solcher Mann kaun unmöglich seine Zustimmung erklärt haben zu dem „Sub-
stanzgesctz," das Häckel als neueste Errungenschaft der Wissenschaft an die Spitze
seiner Religion stellt, das aber nicht einmal neu ist, sondern lediglich eine
„exakte" Auffrischung des alten Begriffs, mit dem die MetaPhysiker von Leibniz
bis Spinoza zur Belustigung der Naturforscher Fangball gespielt haben. Nein,
Helmholtz hatte eine andre Auffassung von der Philosophie: er teilte ihr die
Aufgabe zu, „das große und wichtige Feld der geistigen und seelischen Vor¬
gänge und ihrer Gesetze zu bearbeiten" und das „Hauptinstrumeut, mit dein
wir arbeiten, das menschliche Denken, nach seiner Leistungsfähigkeit genau zu
studiren." Auf beiden Gebieten hat er selbst ganz hervorragendes geleistet,
trotzdem aber den Ausspruch gethan: „Selbstüberschätzung — das vergesse
niemand, der sich der Wissenschaft widmet — ist der größte und schlimmste
Feind aller wissenschaftlichen Thätigkeit."

Man könnte mit Helmholtz darüber rechten, daß er die Aufgabe, die
Gesetze der seelischen und geistigen Vorgänge zu bearbeiten, der Philosophie


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[0425] Die Wissenschaft anerkannt haben. Zu ihnen rechne ich auch den jüngst verstorbnen Berliner Physiker Helmholtz, der teils durch seine fachivissenschaftlichen, teils durch seine erkenntnis-theoretischen Studien außerordentlich viel zur Erleuchtung der Geister auf diesem strittigen Gebiete beigetragen hat. Man kann ihn hier unbedenklich neben Sokrates, Kant und Friedrich Albert Lange stellen. Freilich nimmt ihn Herr Häckel als Anhänger seines Monismus für sich in Anspruch, weil er, als er ihn zum letztenmal im Jahre 1892 sah, in einem längern Gespräch über die neuern Fortschritte der Entwicklungslehre in allen wesentlichen Punkten eine vollkommne Übereinstimmung ihrer monistischen Überzeugungen habe fest¬ stellen können. Ich bin weit entfernt, die subjektive Nichtigkeit dieser Angabe Häckels zu bezweifeln; dennoch glaube ich, daß er sich in der Beurteilung der Stellung Helmholtzens zu den letzten Fragen getäuscht hat. Der Widerspruch zwischen dieser im Privatgespräch geäußerten Ansicht und seinen öffentlichen Reden wäre zu schroff. Ein Manu, der, wie er selbst sagt, seinen Schülern, wo er kann, den Grundsatz predigt: „Ein metaphysischer Schluß ist entweder ein Trugschluß oder ein versteckter Erfahrungsschluß," der „keine andre natur¬ wissenschaftliche Forschungsmethode kennt, als die, die Gesetze der Thatsachen dnrch Beobachtung kennen zu lernen, und zwar dnrch Induktion, durch sorg¬ fältige Aufsuchung, Herbeiführung, Beobachtung solcher Fülle, die unter das Gesetz gehören." ein Mann, der erklärt, „seine Generation habe noch unter dem Druck spiritualistischer Metaphysik gelitte», die jüngere werde sich wohl vor dem der materialistischen zu wahren haben," der endlich „vor den Leuten mit hinreichend gesteigertem Eigendünkel warnt, die sich einbilden, durch Blitze der Genialität leisten zu können, was das Menschengeschlecht nur durch mühsame Arbeit zu erreichen hoffen kann, vor Leuten, die Hypothesen erfinden, die, als Dogmen vorgetragen, alle Rätsel auf einmal zu lösen versprechen" — ein solcher Mann kaun unmöglich seine Zustimmung erklärt haben zu dem „Sub- stanzgesctz," das Häckel als neueste Errungenschaft der Wissenschaft an die Spitze seiner Religion stellt, das aber nicht einmal neu ist, sondern lediglich eine „exakte" Auffrischung des alten Begriffs, mit dem die MetaPhysiker von Leibniz bis Spinoza zur Belustigung der Naturforscher Fangball gespielt haben. Nein, Helmholtz hatte eine andre Auffassung von der Philosophie: er teilte ihr die Aufgabe zu, „das große und wichtige Feld der geistigen und seelischen Vor¬ gänge und ihrer Gesetze zu bearbeiten" und das „Hauptinstrumeut, mit dein wir arbeiten, das menschliche Denken, nach seiner Leistungsfähigkeit genau zu studiren." Auf beiden Gebieten hat er selbst ganz hervorragendes geleistet, trotzdem aber den Ausspruch gethan: „Selbstüberschätzung — das vergesse niemand, der sich der Wissenschaft widmet — ist der größte und schlimmste Feind aller wissenschaftlichen Thätigkeit." Man könnte mit Helmholtz darüber rechten, daß er die Aufgabe, die Gesetze der seelischen und geistigen Vorgänge zu bearbeiten, der Philosophie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/425>, abgerufen am 17.06.2024.